Wie funktionieren Comics?

Die Bildgeschichten des Comics sind (wieder) erstaunlich erfolgreich. Alexander Press fragt nach ihrer Funktionsweise – leider ohne Antwort

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt einige Medien und Gattungen, die eng mit der Moderne verknüpft sind: Dazu gehören der Film, die Fotografie, der Roman; im Roman vor allem der Krimi, in der Prosa die kleine Form, und schließlich Comics. Sie entstehen in engem Zusammenhang mit der Urbanisierung, der Massen- und Konsumgesellschaft, die eben auch eine Mediengesellschaft ist. Die „Comics“ genannten gezeichneten Bildgeschichten tauchen um 1900 in der amerikanischen Massenpresse auf. Die Idee wird bald in Europa aufgenommen, sehr nachhaltig, wie man weiß: Comics gehören heute zum festen Inventar der Mediengesellschaft. Trotz des Erfolgs bewegter Bilder hat der Comic in seinen zahlreichen Varianten überlebt, als knapper Strip in der Zeitung wie als umfassende, bändefüllende Geschichte.

Trotz aller Veränderungen ist das Grundprinzip des Comics bis heute erkennbar geblieben. Die Geschichte wird in einer iterativen Struktur von Einzelbildern getragen, die mit kommentierenden Texten und Sprechanteilen von Figuren (den Sprechblasen) versehen sind. Die Lücken zwischen den einzelnen Bildern können dabei unterschiedlich groß sein, bis hin zum thematischen Bruch. Dass Comics regelmäßig eine narrative Struktur zugrunde liegt, ist ebenso offensichtlich wie der Umstand, dass das narrative Verfahren von Comics fraglos vorausgesetzt wird. Ein induktives Verfahren, das von den angebotenen Bild- und Textdaten aus extrapoliert und die Geschichte konstruiert, wird auch in der Studie Die Bilder des Comics von Alexander Press angeschnitten und weist in die richtige Richtung. Auch der Verweis auf die Notwendigkeit von Kultur-, Sozial- und Alltagswissen für die Konstruktion von Narrativen sollte konsensfähig sein.

Allerdings bleibt zu fragen, worauf eine Studie hinauswill, die das „Wesentliche des Comics“ zu fassen versucht, wenn sie sich nicht intensiv mit der Konstruktion des Narrativs aus dem Zusammenspiel von Text und Bild-Abfolgen beschäftigt. Denn es dürfte nicht von der Hand zu weisen sein, dass sich die mediale Eigenständigkeit des Comics daraus ergibt, dass er Geschichten aus Einzelbildern erzählen kann, die mit Textanteilen versehen sind (wenngleich nicht notwendig sein müssen). Das verweist im Übrigen auf die Bedeutung der Textanteile im Comic ebenso wie auf die in Fotoreportagen, die auf Bildlegenden in der Regel nicht verzichten wollen, um die Interpretation der Fotografien, gerade auch bei größeren Fotostrecken, präziser steuern zu können.

Nicht die Frage, ob Comics eigenständige Mittel verwenden oder sich bei anderen Genres bedienen, ist also zentral, sondern die strikte, genrespezifische Analyse des Narrativen im Comic. Das aber lässt Press’ Studie schmerzlich vermissen. Es ist bereits irritierend, dass Press randständige Fragen wie den Stilmix oder den Status der Sprechblase an den Anfang stellt und erst dann auf zentrale Fragen wie die Integration von Bild und Text wie die Entstehung der Narration aus Text und Bild zu sprechen kommt. Befremdlich ist auch, wenn Press in den vorgeblich einschlägigen Abschnitten seiner Studie die Analysen und Thesen, die hier zu erwarten wären, nicht folgen lässt.

Stattdessen referiert Press isoliert Theorien etwa zur Intertextualität, um daraus vorgeblich Schlüsse für die Integration von Text und Bild ziehen zu können. Oder er kommt im Abschnitt der narratologischen Kapitel auf Theorien Wolfgang Isers, Gerard Genettes, Erwin Panofskys bis hin zu Hans Joas zu sprechen. Was aber der Begriff der Leerstelle bei einer funktionalen Analyse des Comics zu suchen hat, wird nicht erläutert. Es ist schließlich vergleichsweise irrelevant, ob ein Comic eine eigenständige Geschichte zu entwickeln versucht oder eine bereits vorliegende Geschichte in sein Genre überträgt. Weder der Verweis auf das Phantastische noch auf das Reale als Referenz ist für den Comic wie überhaupt für jedes fiktionale Genre relevant. Die Diskussion von angeblichen historischen Vorläufern wie antiken Vasenbildern oder den frühzeitlichen Höhlenmalereien läuft mithin ins Leere. Dass die Comic-Geschichtsschreibung auf solche Vorläufer zu sprechen kommt, ohne sie als direkte Ableitung in Anspruch nehmen zu können, ist nicht zu bemängeln. Der Charakter der Bilderzählung, also der Abfolge mehrerer Bilder, die – mit oder ohne Text – eine Geschichte zu erzählen versuchen, ist ihnen schließlich nicht abzusprechen. Die Frage zielt ja eben darauf, wie diese Form der Narration entsteht, die weder auf Text allein, noch auf dem Einzelbild, noch auf dem bewegten Bild beruht (Medien, die jeweils eigene Fragen aufwerfen). Statt also solche Bezugnahmen abzuwehren, hätte Press wohl besser daran getan, sich auf das tatsächlich Essentielle des Comic zu fokussieren.

Titelbild

Alexander Press: Die Bilder des Comics. Funktionsweisen aus kunst- und bildwissenschaftlicher Perspektive.
Transcript Verlag, Bielefeld 2018.
196 Seiten, 29,99 EUR.
ISBN-13: 9783837642933

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