Nach Grünau geht’s nur in grünen Klamotten

In „Hektor und Omamascha. Der Aufräumtag“ dreht sich viel um Farben, Kompromisse und gegenseitiges Verständnis

Von Malte HorrerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Malte Horrer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fahren nach Farben, darauf ist die Deutsche Bahn noch nicht gekommen. Wäre ja auch echt blöd, wenn man nur braun gekleidet nach Braunschweig käme. Aber bei der Hektor-Bahn funktioniert es genau so. Der Zylinder fährt nach Schwarztal, das Plüschschwein nach Rosaberg, der in tausend Farben gemusterte Kreisel nach Buntburg. Das ist mehr als nur ein Spiel. Auf diese Weise räumt Hektor nämlich auf. Denn Hektors Eltern haben es Omamascha gemeiner Weise aufgetragen, dass sie und Hektor ausgerechnet am Dienstag, dem heiligen Omamaschatag, nicht spielen, sondern aufräumen.

Der Aufräumtag ist der erste Band der Bilderbuchreihe Hektor und Omamascha von Annette Roeder, in der die beiden Protagonisten immer dienstags ganz besondere Dinge erleben. Dieses Mal können die kleinen Leser dabei lernen, was ein guter Kompromiss ist. Denn ein Elternkompromiss wäre: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Und ein Kinderkompromiss: Erst spielen und nachher ist es hoffentlich zu spät zum Aufräumen. Ein guter Kompromiss müsste Aufräumen und Spielen wirklich miteinander verbinden. Aber das ist eine Kunst. Natürlich steht das nicht in einer theoretischen Abhandlung – ist ja schließlich ein Kinderbuch. Die Botschaften kommen gut verpackt daher, in einer wunderbaren Geschichte, in der viel aufzuräumen ist.

Da dürfte die Illustratorin Yayo Kawamura einiges zu tun gehabt haben, denn in Hektors Zimmer sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. So erinnert die erste Doppelseite eher an ein Wimmelbuch als an ein „normales“ Bilderbuch. Kreuz und quer verstreut liegen: Gitarre, Bobbycar, Saurierfiguren, Zauberwürfel, Bausteine, Plüschtiere, Roboter, Bälle, Rucksack, Trommel, Mensch-ärgere-Dich-nicht, Eisenbahn­schienen, angebissene Schokolade und natürlich Stinke­socken. Da können die jungen Betrachter viel entdecken und ihren Orientierungssinn trainieren. Gut so!

Der wimmelbuchartige Charakter bleibt. Die meisten Seiten hat Kawamura als Doppelseiten gestaltet, bis zum Blattrand ausgemalt und voll gepackt mit liebevollen kunterbunten Details. Aber auf viel Gewimmel folgt auch der Wechsel zu Ruhe, viel Weiß und reduzierter Motivik. Ein Buch also, das abwechselnd anregt und Ruhepausen bietet.

Aber heute wollen Eltern ja nicht nur, dass die Geschichte nicht langweilig ist und die Bilder schön sind, heute müssen Kinderbücher auch zur Weltanschauung der Eltern passen. Was könnte in diesem Buch von Belang sein? Hektors Mutter ist tagsüber nicht zuhause, geht also vermutlich einer beruflichen Tätigkeit nach, und überlässt ihren Sohn deshalb der Kita und der Oma. Der Vater trägt einen grobmaschigen grünen Strickpulli, offenbar auch auf der Arbeit, da er mit diesem Pulli bekleidet auch abends wieder zur Wohnungstür hereinkommt. Die Eltern beabsichtigen, den Sohn zum Aufräumen zu nötigen, hätten aber Grund genug, sich an die eigene Nase zu fassen, lagern doch Essig, Milch, Limo und ein 5-Liter-Kanister Olivenöl vor der Spüle auf dem Fußboden. In der Kita ist überall nur Tohuwabohu, Action und Geschrei. Die Oma fährt einen gar nicht schadstoffarmen VW-Käfer, ist schläfrig und vermag es nicht, eine erzieherische Maßnahme durchzuziehen, sodass stattdessen mit der Spielzeugeisenbahn gespielt wird, und der nach Farben getrennte Transport der Spielsachen könnte als pure Alibiaktion für das Aufräumen gewertet werden. Die Eltern sind inkonsequent und opportunistisch, da sie ihre Vorstellung vom Aufräumen über Bord werfen, als sie in Hektors spezieller Ordnung Mutters lange vermissten Ehering wiederfinden. Statt Schimpfe bekommt Hektor ein Eis.

Die Autorin zeigt uns also ein paar wichtige Dinge: dass Eltern und Großeltern eben auch Menschen sind und Schwächen haben, dass ein guter Kompromiss darin besteht, dass man zwei eigentlich unvereinbare Dinge (Spielen und Aufräumen) wirklich miteinander vereint , dass es zu einem guten Kompromiss Fantasie braucht (Fahren nach Farben), dass Kinder andere Vorstellungen von einer Sache haben können als Erwachsene und es sich lohnt, sich auf diese Vorstellungen einzulassen. Schöne Botschaften, die sowohl Eltern als auch Kinder inspirieren können.

Titelbild

Annette Roeder / Yayo Kawamura: Hektor und Omamascha. Der Aufräumtag.
Bastei Lübbe, Köln 2018.
32 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783414824516

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch