Commissario Brunettis 27. Fall

Die amerikanische Autorin Donna Leon macht einmal mehr und unverändert niveauvoll Lust auf das kriminelle Venedig

Von Barbara TumfartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Tumfart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit 1993 veröffentlicht die amerikanische Schriftstellerin und Wahl-Venezianerin Donna Leon mit anhaltend großem Erfolg im Schnitt einmal pro Jahr einen Kriminalroman rund um den nach all den Jahren doch in überraschender Weise noch immer charismatisch anmutenden Commissario Brunetti. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Autorin – obwohl natürlich an einem großen, internationalem Lesepublikum interessiert – seit ihrem Erstling Venezianisches Finale – sowohl ihre Hauptfiguren als auch die jeweilige Handlung ihrer Kriminalromane einer tagespolitischen Aktualität in realistischer und zeitkritischer Weise anpasst.

So werden im neuesten, mittlerweile 27. Ermittlungsfall Brunettis einmal mehr geschickt und subtil kriminelle Machenschaften im Bereich des Gesundheitswesens und der Pharmaindustrie mit der Kritik am überhandnehmenden Massentourismus in der Lagunenstadt verwoben. Beinahe angewidert, seinem Alter entsprechend ernüchtert  und stets leicht deprimiert, muss Brunetti unterstützt von seinen Kollegen im vermeintlichen Fall von illegalem Drogenverkauf vor einer angesehenen Schule in Venedig ermitteln. Eine Kollegin seiner Frau Paola, selbst Architekturprofessorin an der Universität, wendet sich vertrauensvoll an den Commissario, da sie befürchtet, dass ihr eigener Sohn Drogen aus dem schulischen Umfeld bezieht und konsumiert. Anfänglich reagiert Brunetti in altgewohnter Manier kritisch und zurückhaltend. Als aber kurze Zeit später der Ehemann der Professorin einem Verbrechen zum Opfer fällt und auf der Intensivstation des örtlichen Krankenhauses landet, wird die Neugier des Commissarios doch geweckt. Alles deutet im ersten Moment darauf hin, dass das Opfer sich in einen Kampf mit dem vermeintlichen Drogendealer des Sohnes verwickeln ließ und deshalb brutal niedergeschlagen wurde. Wäre da nicht die hochbetagte Tante des Schwerverletzten, die von ihrem alteingesessenen, vertrauenswürdig erscheinenden Apotheker stapelweise scheinbar wertlose Coupons für teure Kosmetikprodukte hortet.

Allmählich wird dem geübten Brunetti-Fan klar, dass der aktuelle Fall größere Dimensionen hat. Bis der eigentliche Hauptfall von Brunetti, mit Unterstützung der über die Jahre liebgewonnenen Ermittlungshelfern wie Sergente Vianello, Signorina Elettra und der neuen agilen Kollegin aus Sizilien, Claudia Griffoni, aufgeklärt werden kann, wird der Leser mit einer gewohnt üppigen Mischung aus zeitkultureller Beschreibung, Hinweisen auf die italienische Küche und faszinierend authentisch wirkenden Einblicke in die typische Lebensweise der venezianischen Einwohner unterhalten.

Unterhaltung ist einmal mehr in dem aktuellen etwa 340 Seiten fassenden Krimi von Leon garantiert. Brutale Spannung und bluttriefende Thrilleraction werden hier bewusst nicht geboten. Subtile Zeitkritik, präsentiert von dem üblichen Repertoire sympathischer Hauptfiguren in Kombination mit einem wohl dosierten Spannungsaufbau garantieren auch in diesem 27. Fall des venezianischen Commissarios kurzweiligen Lesegenuss, passagenweise mit Tiefgang.

Titelbild

Donna Leon: Heimliche Versuchung. Commissario Brunettis siebenundzwanzigster Fall.
Übersetzt aus dem Englischen von Werner Schmitz.
Diogenes Verlag, Zürich 2018.
327 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783257070194

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