Was Frauen ihren Männern erzählen und wie viele Kalorien eine Banane hat

Wolf Haas fährt in „Junger Mann“ nach Griechenland

Von Mario HuberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mario Huber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was sich bereits in Das Wetter vor 15 Jahren (2006) und Die Verteidigung der Missionarsstellung (2012) angekündigt hat, ist jetzt endlich eingetreten: Wolf Haas schreibt nur noch über Wolf Haas. Vorbei sind die Spiele mit Sprache, Layout, Gattungs- und Erzählkonventionen, stattdessen schreibt Haas einen Entwicklungsroman und erkundet literarisch sein eigenes Erwachsenwerden.

Die Erzählung Junger Mann ist im Sommer 1974 angesiedelt, der Sohn eines gewissen Herrn Haas ist 13 Jahre alt und arbeitet im ländlichen Salzburg als Tankwart. Der namenlos bleibende Protagonist möchte über den Sommer einiges an Gewicht verlieren, da er sich zu dick fühlt. Eine Motivationsquelle für die Abmagerungskur samt der Freude am Kalorienzählen ist schnell gefunden: Im Sommer der Ölkrise, zwischen Reifendruckkontrolle und dem Ehrgeiz nach einer streifenfrei geputzten Windschutzscheibe besucht Elsa, die junge, hübsche Ehefrau eines Lastwagenfahrers, mit ihrem Renault R5 immer wieder die Tankstelle und will schließlich auch noch Englisch vom Tankwart lernen. Als kurz darauf ihr Ehemann, der „Tscho“, den jungen Tankwart und nun auch Englischlehrer mit dem Lkw nach Griechenland mitnehmen will, weil er für eine Zollangelegenheit einen Dolmetscher braucht, schwant dem Sohn von Herrn Haas Böses. Mit Vorstellungen vom eifersüchtigen Ehemann, der den Nebenbuhler im Hinterland der Balkanhalbinsel umbringen und verscharren möchte, beginnt der Roadtrip gen Süden.

Wie viele autobiografische Details tatsächlich in der Erzählung stecken, bleibt der Spekulation überlassen, schließlich halten Leserin und Leser einen Roman in den Händen. Aber Aussagen über sein Leben, die Haas bereits in Das Wetter vor 15 Jahren und Die Verteidigung der Missionarsstellung eingestreut hat, kehren wieder. Haas, wie der Protagonist von Junger Mann, besuchte in Salzburg ein Internat, arbeitete in den Ferien bei einer Shell‑Tankstelle und hat einen älteren Bruder. Sein Vater war Kellner und wurde als Alkoholkranker in die Landesnervenklinik Salzburg eingeliefert. Aber auch andere Themen, Motive und Konstellationen jenseits von einfach überprüfbaren Daten zur Person des Autors kehren aus den erwähnten Romanen wieder: Das Verliebtsein in eine vergebene Frau, das Weitererzählen von Geheimnissen als größte Sorge, ein ausgeprägter Zähl- und Ordnungszwang und etwas, das Haas selbst in Das Wetter vor 15 Jahren einen „Entjungferungskomplex“ genannt hat.

Gerade der Umstand, dass sich alle Figuren die geheimsten Dinge anvertrauen, stößt dem Heranwachsenden sauer auf. Der Versuch, sich in die anderen Figuren hineinzudenken, führt zu sehr jugendlichen Auswüchsen von Alltagsparanoia und Fehleinschätzungen. Seine elaborierten Theorien und Verdächtigungen zu bestimmten Vorgängen und Handlungen werden jedoch von Elsa kurz und bündig entkräftet: „Er ist mein Mann. Seinem Mann erzählt man alles.“ Ob der Protagonist die Tragweite des Satzes in diesem Moment und Zusammenhang durchschaut, bleibt offen; der Autor Haas, der indiskreteste Geheimnisse‑Weitererzähler von allen, zieht letztlich seine Schlüsse. Durch diese Selbstbezogenheit des Protagonisten – sie sei ihm gegönnt, auch im Sinne des Entwicklungsromansujets – bewegt sich die eigentliche Handlung, wie die Landschaft im Lkw nach Griechenland, an ihm vorbei – und damit auch an der Leserin und dem Leser.

Das Problem des Buchs ist aber, dass, sobald sich die Motivation verschiedener Figuren auch für den Leser herausstellt, deren Plausibilität abhandenkommt. Dass die Handlung in den Büchern von Haas, allen voran den mittlerweile acht Kriminalromanen um den Detektiv Simon Brenner, eher nebensächlich ist, ist keine Neuheit. Die Reise nach Griechenland, mit ihren Zwischenstopps und verschobenen, angedeuteten und schließlich zum großen Teil ausbleibenden Wendungen und Höhepunkten, ist für routinierte Haas‑Leserinnen und Leser nach bekannten Mustern gestaltet. Was in seinen anderen Büchern jedoch das Weiterlesen (trotz fehlender Handlung) zu einer Freude macht, ist die besondere formale Gestaltung, die in Junger Mann eher konventionell ausfällt. Haas‘ eigenwillige Art zwischen Objekt- und Metasprache spielerisch hin- und herzuwechseln fehlt hier ganz besonders.

Dabei wäre viel Potenzial vorhanden gewesen. Die Sprache Elsas, die den Dialekt des „übernächsten“ Dorfs spricht und Englisch lernen will, ist eine erste Abweichung von der dem Protagonisten bekannten Sprache, der sehr sensibel darauf reagiert. Im Laufe des Romans, durch die Reise nach Griechenland, wird er mit immer mehr Fremdheit konfrontiert: Slowenisch, Serbokroatisch, kyrillische Schriftzeichen und schließlich Griechisch samt der dazugehörigen Schrift wird im Roman nach und nach abgehandelt. Wenn am Ende dieser Kette das griechische Wort metaforá auf einem Lkw auftaucht und Tscho es mit „Transport“ übersetzt, hofft man, dass hier irgendwo ein doppelter Boden vorhanden sein könnte. Auch das Wiederholen von Sprüchen und Sprichwörtern, die deren Benutzer scheinbar an einer erwachsenen Sprache und erwachsenen Welt beteiligen lassen, bleibt ein Nebengeschehen.

Am interessantesten sind jene Stellen im Buch, die im erzählerischen Sinn mehr offenlassen, als sie erklären und durchleuchten. Vor allem die skizzenhafte Figur des Vaters und seine eigenartige „Therapie“, die er in der Landesnervenklinik in Salzburg erfährt, bleibt im Gedächtnis. Auch möchte man eigentlich mehr über die Mutter und den Bruder erfahren als über Elsa und Tscho.

Es bleibt also die Frage nach der Relevanz des Stoffs, gerade beim autobiografischen oder zumindest damit spielenden Schreiben. In eine Reihe mit Autoren, die zwischen Dichtung und Wahrheit mitunter sechs Bände mit Alltagssituationen füllen können, ohne sehr langweilig zu werden, sollte Haas nicht gestellt werden, dafür bleibt der Anspruch des Werks viel zu unklar. Am Ende ist der Sohn von Herrn Haas vielleicht ein etwas erwachsenerer Geschichtenerfinder und ‑dramatisierer, aber auch das ist nicht sicher. Eine Coming of Age-Geschichte, auf der die, seit der Flüchtlingskrise wieder bekannte, umgekehrte Balkanroute in den 1970er Jahren bereist wird, hätte ein spannenderes Buch ergeben können.

Titelbild

Wolf Haas: Junger Mann. Roman.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2018.
238 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783455003888

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