Auf Wanderung mit den Kröten

Mit Beatrix Langner auf den Spuren einer Existenz zwischen Märchen und Laboratorium

Von Carla SwiderskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carla Swiderski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fast wie ein Wintermärchen beginnt das Porträt Kröten von der promovierten Germanistin und Schriftstellerin Beatrix Langner. Die Eis- und Schneelandschaft verdichtet sich geradezu um einen herum und lässt die Umgebung wattig-weiß erscheinen, während man sich gedanklich zu den in ihren unterirdischen Schlafkammern überwinternden Kröten begibt. Doch bis es auch thematisch um Märchen geht und der Froschkönig im vorletzten Kapitel vorgestellt wird, nimmt Langner die Leserinnen und Leser mit auf eine Reise durch die Geschichte der biologischen Forschung und künstlerischen Darstellung der Kröte, die Familie der Bufonidae, benannt nach Bufo, der Echten Kröte.

Die Spezialität der Naturkunden-Reihe bei Matthes & Seitz sind kleine, hochwertige, hübsch gestaltete Bändchen, die sich aus natur- und kulturgeschichtlicher Perspektive einem Tier, einer Pflanze oder auch einem mit der Natur verbundenen Phänomen widmen. Dabei fällt die Auswahl der Porträts auf unterschiedlich populäre Arten. Wie Fliegen und Brennnesseln ergreift auch Kröten das Wort für einen Außenseiter mit geringem Sympathiewert. Die mit Warzen und Flecken übersäte glitschige Haut, zusammen mit der halslosen, breitmäuligen, unförmigen Erscheinung schreckt viele ab – was ich des Öfteren bemerkt habe, wenn mir beim Lesen jemand über die Schulter geguckt und sich angesichts der zahlreichen Darstellungen, die den Band zieren, angeekelt abgewendet hat. Trotz der schönen farbigen Porträt-Zeichnungen von Falk Nordmann, die im hinteren Teil mit einer Übersicht zu einzelnen Krötenarten den Band abschließen, kann sich offensichtlich nicht jeder für die Bewohner des Feuchten und Dunklen erwärmen – zumindest nicht auf den ersten Blick.

Doch kann nicht allein das äußere Erscheinungsbild für die ablehnende Reaktion verantwortlich gemacht werden, denn auch ästhetisches Empfinden ist kulturell geprägt. Wurden Kröten und andere Familien der Froschlurche – denn so genau wurde lange nicht zwischen ihnen unterschieden – im alten Ägypten und Japan verehrt, genießen sie im europäischen Raum kein hohes Ansehen. Das liegt nicht zuletzt an der christlichen Ikonographie, in der die als unrein und lasterhaft bestimmten Kröten mit anderen Bewohnern des Erdreichs am untersten Rand der göttlichen Schöpfung platziert wurden und ein Symbol für das weltliche, das niedere und sterbliche Leben waren. In der Malerei wurde die Kröte daher „als Totemtier der Melancholie und des Lebensekels“ eingesetzt, das von seiner am Boden lauernden Position an Vergänglichkeit und Triebhaftigkeit erinnert.

Abneigung und Verachtung, bestärkt durch die negativen symbolischen Zuschreibungen, haben neben diversen Vorurteilen und übler Nachrede zu einem brutalen Umgang mit den realen Tieren geführt. In dem von Aberglauben geprägten Hausgebrauch sowie in der Zubereitung von Hausmittelchen und der biologischen Forschung wurde mit meist noch lebendigen Kröten auf das Rücksichtsloseste verfahren, sodass sich ihre Geschichte bald wie ein Horrorkabinett präsentiert. Das ändert sich auch durch die Aufwertung der Amphibien als paradigmatische Lebewesen der Metamorphose in Folge von Charles Darwins Evolutionstheorie nicht, die sie erst recht zum beliebten Forschungsobjekt werden ließ. Das gesteigerte Interesse an Fortpflanzungsbiologie und Embryologie brachte sie ab dem 18. Jahrhundert in großer Zahl auf die Seziertische, wo am lebenden Tier experimentiert wurde. Langner stellt resümierend fest: „Kaum eine andere Tierfamilie ist gehässiger verfolgt und grausamer zugerichtet worden.“ Sucht man nach Kröten in historischen Dokumenten, stößt man also auf eine „Leidensprozession durch die Jahrhunderte“.

Wer sich umfassend über Kröten und ihre Leidensgeschichte, aber auch über ihre Einzigartigkeiten und Besonderheiten sowie ihre Darstellung in Kunst, Literatur und Musik informieren möchte, ist mit Langners Porträt sehr gut beraten. Inzwischen sind viele Arten dieser ältesten Land-Wirbeltiere der Welt bedroht. Nur noch 14 Froschlurcharten sind in ganz Deutschland zu beobachten. Das liegt vor allem an dem schwindenden Lebensraum, aber auch an der geringen Wertschätzung, die den noch lebenden Tieren entgegengebracht wird. Denn, wie Langner schreibt, „die Welt aus den Augen der Kröte zu sehen heißt also, ganz unten zu sein. Und wer ganz unten ist, hat eben wenig Freunde.“ Wer sich auf eine Begegnung einlässt, wird Kröten ebenso wie den Hinweisschildern zur Beachtung der Krötenwanderung von nun an mehr Beachtung schenken – und vielleicht ist Langners Einschätzung dann doch nicht so unumstößlich wie es zunächst scheint und es gesellen sich ein paar neue Freunde zu ihnen.

Titelbild

Beatrix Langner: Kröten. Ein Portrait.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2018.
164 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783957575463

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