Der Deutsche Buchpreis und die deutschen Buchpreise

Zwischen literarischer Valorisierung und kreativökonomischer Kommerzialisierung

Von Dennis BorghardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dennis Borghardt und Sarah MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sarah Maaß

Der Deutsche Buchpreis

Am 8. Oktober 2018 wird, zum mittlerweile 14. Mal, zwei Tage vor Beginn der Frankfurter Buchmesse der Deutsche Buchpreis verliehen. Der Preis geht, wie in den Jahren zuvor, an den „besten deutschsprachigen Roman des Jahres“; seine Vergabe ist mit dem Ziel verknüpft, die „deutsche Gegenwartsliteratur in den Blickpunkt zu rücken“ und dabei „über Ländergrenzen hinaus Aufmerksamkeit zu schaffen für deutschsprachige Autoren, das Lesen und das Leitmedium Buch“ – so die Beschreibungen auf der Website deutscher-buchpreis.de. Dem Selbstverständnis des Preises ist außerdem zu entnehmen, dass seine Verleihung, wiewohl nicht Teil des offiziellen Programms, als „Auftakt“ der Frankfurter Buchmesse zu gelten habe. Er ist allerdings bei weitem nicht der einzige im Messe-Kontext verliehene Literaturpreis. Vielmehr hat es sich zu einer literaturbetrieblichen Konstante entwickelt, dass auf dieser größten deutschen Buchmesse nicht nur Bücher, Texte oder Autoren ausgezeichnet werden. Berücksichtigung finden beispielsweise auch DesignerInnen, IllustratorInnen und CartoonistInnen (vgl. etwa den Deutschen Cartoonpreis, den 2009 gegründeten Serafina-Preis und den Global Illustration Award, der 2018 zum dritten Mal von der Frankfurter Buchmesse und der International Information Content Industry Association vergeben wird). Zudem fallen Auszeichnungen für Publishing-Praktiken und -Technologien ins Auge, wie etwa der Deutsche Kindersoftwarepreis, der deutsche ‚Pitch‘ des Creative Business Cup, der Buchblog-Award, der die besten literarischen Blogs auszeichnet, oder der vom Börsenblatt des Deutschen Buchhandels in Kooperation mit Börsenverein und Buchmesse vergebene Young Excellence Award, der eigenständige und innovative „Macher und Macherinnen der Buchbranche“ auszeichnet.

Der Deutsche Buchpreis (im Sinne einer Praxis literarischer Wertung), die Preisträger und die ausgezeichneten Werke werden, wie andere prominente Preise auch, nicht selten zum Gegenstand von Kritik. Ein häufig wiederkehrender Punkt der Literaturwissenschaft lautet dabei, dass bereits durch die schiere Fülle beziehungsweise ‚Inflation‘ der Preisvergaben im deutschsprachigen Raum eine Nivellierung der Qualitätskriterien eintrete, wodurch Literaturpreise an Aussagekraft und Orientierungsfunktion verlören (vgl. Wilpert 2013, Hagestedt 2007). Hinzu kommt das noch häufiger vorgetragene Bedenken an einer zunehmenden Kommerzialisierung, welches sowohl seitens der feuilletonistischen Literaturkritik (vgl. Bartels 2017, Heidemann 2010, Schütte 2008, Jungen 2008, Soltau 2005) als auch aus der Betroffenheitsperspektive von SchriftstellerInnen (vgl. Berg 2013, Kehlmann 2008) angeführt wird. Gekoppelt wird dies gelegentlich mit Verunglimpfungen von Preisen wie dem Deutschen Buchpreis, aber auch dem Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, insofern es sich dabei um ein Autorinnen und Autoren „[e]ntwürdigende[s] Spektakel“ handle, das „außerliterarischen Mechanismen“ (Kehlmann 2008) gehorche – wobei solche Mechanismen bevorzugt als Tendenz zur Kommerzialisierung wahrgenommen werden. Die Vergabepraxis der genannten Preise gleiche darin einer regelrechten ‚Castingshow‘ (vgl. Berg 2013), die jeglicher Kunstform unangemessen sei (vgl. Bartels 2017). Auch Ralf Rothmann, der 2015 die Aufnahme seines Romans Im Frühling sterben auf die Longlist des Deutschen Buchpreises dezidiert ablehnte und dies damit begründete, dass Literaturpreise generell als „reines Marketinginstrument“ einzustufen seien, steht kommerziellen Interessen im Bereich der Kunst explizit ablehnend gegenüber. Man stecke „hinten einen Dichter rein, und vorne kommt ein Marketingpudel raus.“ (Rothmann 2018)

Kunst und Kommerz: Alte Gleichungen und neue Widersprüche

Die vorgebrachte Kritik an einem allzu hohen Kommerzialisierungsgrad wirft die Frage auf, wie sich Kunst und Ökonomie zueinander verhalten – oder, normativ gewendet, zueinander zu verhalten haben. So klingt in Rothmanns Einlassungen die Überzeugung an, dass eine grundsätzliche Diskrepanz bestehe zwischen dem künstlerischen Wert eines Werkes und dem ökonomischen Wert, der sich durch Vermarktungsstrategien zwar steigern lasse, aber nichts über die Qualität des Werks selbst aussage. Das kommerzielle Interesse wird vielmehr zu einer marginalen Eigenschaft des eigentlichen Kunstgegenstandes erklärt. Dass sich Kunst an der Ökonomie wie an einem Kontrapunkt abarbeitet, ist indes ein traditionell zu nennender Topos; er gibt Anlass, nicht nur die gegenwärtige Preislandschaft zu fokussieren. Ideengeschichtliche Betrachtungen dieser Art finden sich auch in Forschungsbeiträgen zum Deutschen Buchpreis wieder, wie etwa in Christoph Jürgensens Aufsatz Würdige Popularität? (vgl. Jürgensen 2013a, 285).

Ein historisch-kursorischer Blick zeigt, dass es nicht immer darum geht, Ökonomie-, Konkurrenz- und Kommerzdenken aus der Kunst auszuschließen. Vielmehr stand und steht ein facettenreiches Zusammenspiel literarischer und außerliterarischer Werte zur Rede: Die Idee eines Konkurrenzverhältnisses zwischen Dichtern findet sich bereits in den musischen Wettkämpfen der Antike, besonders in den aus der griechischen Tradition erwachsenen Theater-Agonen (ἀγῶνες, agônes; certamina) angelegt. Das aus dem Dichter-Wettbewerb fortentwickelte und besonders in der Frühen Neuzeit verbreitete Konzept des gekrönten Dichters (poeta laureatus) lässt sich indes mit dem Modell eines Gabentauschs erfassen: Der Dichter wird vom Fürsten materiell versorgt und verfasst als Gegengabe panegyrische Gesänge auf Herrscher und Hof. Dies begründet eine Form von Mäzenatentum, in dem die Kunst Erwartungshaltungen zu genügen weiß, die von außen an sie herangetragen werden. Demgegenüber formuliert das 18. Jahrhundert mit dem Geniebegriff und dem ästhetischen Idealismus Konzepte, die Kunst als immateriellen Wert ansetzen. Die idealistische Legitimierung der ‚reinen Kunst‘ entzieht sich nachgerade den Funktionen eines symbolischen Kapitals, das zuverlässig in ökonomisches Kapital umwandelbar wäre. Eine solche Autonomie-Erklärung wird in der Romantik noch forciert und beschwört im 19. Jahrhundert einen regelrechten Kult vom mittellosen Dichter, der ausschließlich seiner freigeistigen Bestimmung folge. Im Biedermeier finden sich Ikonisierungen wie Der arme Poet (1839), welche die materielle Armut als notwendige Kehrseite der Entscheidung für ein Leben als Künstler ausstellen; die Kunst fühlt sich demgemäß zuallererst ideellen Werten verpflichtet und zielt gerade nicht auf ökonomische (Eigen-)Interessen ab (vgl. auch Berr 2013). Zudem zeigt der Topos des armen Poeten eine Entfernung von der Gesellschaft, die verklärende Züge aufweist. Die Kippfigur hierzu kündigt sich in der Klassischen Moderne an. Dort lässt sich eine Zunahme an Künstlerkollektiven konstatieren, deren programmatische Manifest-Literatur sich in ein dezidiertes Verhältnis zur Gesellschaft setzt und dabei nicht selten auch einen reformatorischen (und gegenreformatorischen) Anspruch artikuliert.

Was genau steht also, jenseits stereotyper Vorwürfe wie demjenigen der Kommerzialisierung, im Feld der Literaturpreise zur Debatte? Bedeutet eine Kommerzialisierung automatisch die Einschränkung der beschriebenen künstlerischen Freiheit und/oder der Qualität? Und ist der Deutsche Buchpreis für das Phänomen der Kommerzialisierung tatsächlich – das heißt: empirisch valide – exemplarisch zu nennen? Fragen dieser Art hinreichend zu beantworten, erfordert, die Empirie in den spezifischen Rahmenbedingungen der Preisvergaben mit einzubeziehen, um so treffendere Erklärungsmodelle zu gewinnen, als es eine Theorie zu leisten vermag, die literarischen Wert auf essentielle Textqualitäten verengt. Der Begriff der Valorisierung (vgl. Reckwitz 2017; Hutter 2012) – der auf Prozesse der Wertgenerierung statt der Wertermittlung abzielt – weist in dieser Hinsicht einen analytischen Vorzug auf gegenüber einer im Grunde idealistischen Vorstellung, in der sich Kunst von ihren sozialen Rahmenbedingungen entrückt begreift. Wenn einer ‚Inflation‘ an Literaturpreisen das Wort gesprochen wird, so ist es vielversprechender, heuristisch eine Heterarchisierung des Literaturpreis-Feldes anzusetzen, die eine Überwindung vormals hierarchisch organisierter Diskurse (‚hohe Kunst‘ vs. Kommerz; Höhenkamm vs. Kitsch; ‚E-‘ vs. ‚U-Literatur‘ etc.) bedeuten kann. Diese Gegensatzpaare erweisen sich demnach nicht als unüberwindbare Hindernisse auf dem Weg zu einer ‚wahrheitsgetreuen‘ Bewertung von Literatur, sondern werden in immer neuen Zusammenhängen angebracht oder suspendiert und damit funktionalisiert. Im Falle des Deutschen Buchpreises ist es der Kontext der Frankfurter Buchmesse und der Konnex zwischen beidem, Preis und Messe, der eine nähere Betrachtung lohnt.

Der Deutsche Buchpreis und die Frankfurter Buchmesse

Jenseits von Dichotomien und jenseits einer isolierenden Betrachtung einzelner Preise stellt sich die Frage, wie genau sich literarische und außerliterarische (etwa ökonomische oder soziopolitische) Wertmaßstäbe in Literaturpreisvergaben verschränken und wie sich ihre Funktionalität jeweils entfaltet. Die Kommerzialisierung von Literatur beziehungsweise die Transformation literarischer Texte in Waren erscheint dabei nur als eine Funktion unter vielen. Einen Ausgangspunkt zur nuancierteren Untersuchung solcher Fragen stellt der selten reflektierte oder problematisierte, sondern allenfalls konstatierte Vergabekontext des Deutschen Buchpreises dar: die Frankfurter Buchmesse, durchgeführt von der Frankfurter Buchmesse GmbH, Tochtergesellschaft des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Auch wenn die Verleihung des Buchpreises vor offiziellem Messebeginn erfolgt: Nicht nur die personellen ‚Interferenzen‘ von Börsenverein und Frankfurter Buchmesse GmbH (die einer der Preis-Sponsoren ist) verbinden Preis und Messe. Auf der offiziellen Buchpreis-Homepage wird die Verleihung explizit als „Auftakt“, mithin als Eröffnung der Buchmesse bezeichnet, und das Messeprogramm reserviert ein Zeitfenster für ein Interview mit der/dem (bei Programmveröffentlichung noch unbekannten) PreisträgerIn. Wenn ein Auftakt stets auch eine repräsentativ-programmatische Funktion für die zu eröffnende Veranstaltung innehaben soll, so exponiert der Deutsche Buchpreis die Frankfurter Buchmesse als literarische Veranstaltung. Eine solche ist die Buchmesse – mit Blick auf Akteure und Programm – jedoch nur bedingt; eine repräsentative Funktion kann dem Deutschen Buchpreis somit nur eingeschränkt zugesprochen werden.

Mit Blick auf die strategische Ausrichtung der Messe nimmt sich der Buchpreis vielmehr geradezu konservativ aus – und zwar nicht nur, weil die Juryentscheide Jürgensen zufolge das „emphatische Konzept bildungsbürgerlicher Kultur“ (Jürgensen 2013b, 338f.) reproduzieren, sondern auch wegen seiner programmatischen Bindung an das „Leitmedium Buch“ (wie es auf der Homepage heißt) – das freilich auf die Gattung des Romans reduziert wird – und die Zielsetzung der Autoren- und Leseförderung. Das Preisprofil spricht Literatur demnach durchaus axiologischen Wert zu beziehungsweise suggeriert eine dominant nach literarischen Werten operierende Wertungspraxis. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass beispielsweise Terezia Mora, noch bevor sie den Büchner-Preis erhielt –  der als dezidiert literarästhetisch ausgerichtet gilt (vgl. Dotzauer 2016) –  schon 2013 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Auch im Vergleich mit dem Selbstverständnis der Messe sowie den zahlreichen weiteren dort vergebenen Preisen scheint der Buchpreis einen nachgerade engen, unkommerziellen Literaturbegriff zu implizieren.  Eine genauere Betrachtung der Messe-Programmatik und ihrer Preise verspricht daher größeren Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Verzahnung von literarischen und außerliterarischen (vor allem ökonomischen) Werten als ein auf Vorurteilen fußendes ‚Buchpreis-Bashing‘.

Auf der Frankfurter Buchmesse werden nicht nur ‚klassische‘ und teils traditionsreiche Preise wie der Paul-Celan-Preis, der LiBeratur-Preis, der Deutsche Jugendliteraturpreis oder die Übersetzerbarke verliehen, sondern auch eine Vielzahl weiterer, kleinerer Preise, die zwar an den Rändern des literarischen Feldes anzusiedeln sind, dabei aber – trotz ihrer Marginalität –  durchaus als wegweisend für allgemeine Trends und Entwicklungen dieses Feldes einzustufen sind. Diese Preise verorten sich, ebenso wie die Buchmesse im Ganzen, nicht im Kerngebiet des literarischen Feldes; sie sind strategisch weniger darauf ausgerichtet, literarisches Leben, Literaturbetrieb oder Verlagslandschaft zu fördern, als vielmehr diese innerhalb des übergeordneten Feldes der Kreativökonomie zu positionieren. Dass das Profil der Frankfurter Buchmesse Literatur weniger als Kunstform denn als kreativökonomische Branche konzipiert und dadurch die traditionellen literaturbetrieblichen Tätigkeiten, Professionen und Praktiken in den Hintergrund drängt, vermittelt bereits der Blick auf den Werbetext der Messe-Homepage unter der Rubrik „Über uns“. Hier wird die Messe nicht als Treffpunkt der Verlagsbranche oder des Buchhandels beworben, sondern als „Welthauptstadt der Ideen“ und „internationale[r] Handelsplatz für Inhalte aller Art“. In Rede stehen also Inhalte, die noch unabhängig von ihrer medialen Distributionsform betrachtet werden. Dementsprechend ist nicht von ‚Verlegen‘ die Rede, sondern von „Publishing“, das es mit der „Technologiebranche und den angrenzenden Kreativindustrien wie Film und Games“ zu vermitteln gelte, um zu „neue[n] Kooperationen und Geschäftsmodellen“ anzuregen. Sehr deutlich spricht aus diesem Profil das Programm einer Anpassung des Literaturbetriebs an ein sich veränderndes kulturelles Feld vor dem Hintergrund von Digitalisierung, postfordistischem Strukturwandel und ‚ästhetischem Kapitalismus‘ (vgl. hierzu etwa Böhme 2016 und Wuggenig/Raunig 2007). Dabei inszeniert sich die Buchmesse als Träger einer „Mission“, deren Ziele im Bezug zu den Messe-Preisen einen genaueren Blick wert sind. Diese „Mission“ ist in drei Punkte gegliedert, die als Indikatoren des genannten Struktur- und Strategiewandels des literarischen Feldes lesbar sind. Sie korrelieren zudem mit spezifischen Messe-Preisen, die durch ihre Profile und Vergabemodalitäten nicht nur als Repräsentationen, sondern auch als Operatoren aktueller Entwicklungen kenntlich werden.

Literaturbetrieb und Kreativökonomie

Im ersten Punkt positioniert die „Mission“ den Buchhandel beziehungsweise den Literaturbetrieb durch ihre Fokussierung auf medientechnologische und betriebswirtschaftliche Innovation als kreativökonomischen Sektor:

Wir wollen als Frankfurter Buchmesse der zentrale Handelsplatz für unsere Kunden sein und ihnen die relevanten Elemente für ihr Geschäft an die Hand geben: indem wir die wichtigen Trends und Themen aufzeigen, Schnittstellen zu den wichtigen Playern in den jeweiligen Märkten herstellen und vor allem den Weg zu innovativen Geschäftsmodellen in der Buch- und Medienbranche ebnen. Ganzjährig und international.

Ablesen lässt sich die genannte Verortung auch an einer konzeptionellen Veränderung der Buchmesse, dem 2016 neu in die Messe integrierten „Business Festival“ THE ARTS+:

Das 2016 entwickelte Format THE ARTS+ ist Messe, Business Festival und ein internationaler Treffpunkt der Kultur- und Kreativindustrie. Ziel ist es, die Potentiale der Digitalisierung für kreative Inhalte zu nutzen und neue Geschäftsfelder zu erschließen.

Eine Reihe von Preisverleihungen auf der Buchmesse spiegeln die ‚Überlagerung‘ des literarischen mit dem kreativökonomischen Feld nicht nur wider, sondern sind als Instrumente der Etablierung und Förderung dieser Entwicklung zu verstehen, etwa die Gruppe der Preise und Wettbewerbe im eBook-Sektor, die als ‚Triebkräfte‘ generativer Prozesse oder Produktionslogiken im Literaturbetrieb als ökonomischem Sektor gelten können – mithin des literarischen (Re-)Produktionzyklus (vgl. Link 2016, 19–21). So profiliert sich der 2018 ins vierte Jahr gehende Kindle Storyteller-Award von Amazon, der Self-Publishing-Autoren für ein eBook auszeichnet, in seinem formalen Rahmen (Shortlist, Jury, Dotierung mit 10.000 €, feierliche Verleihung, Ausrichtung nach ‚herausragender Qualität‘) einerseits als ‚ernstzunehmende‘ und legitime Konsekrationsinstanz von „Independent-Autoren“ im literarischen Feld. Andererseits repräsentiert er die medientechnologischen Umbrüche der Buchbranche und arbeitet der Etablierung von digitalen Praktiken zu, etwa indem die drei Bücher umfassende Shortlist algorithmisch generiert wird, nämlich „auf Grundlage ihrer Beliebtheit […], zu der unter anderem Bewertungskriterien wie Verkaufszahlen, gelesene Seiten, positive Kundenbewertungen oder Zugriffszahlen gehören“. Neben dem Preisgeld wird das Gewinnerbuch von Amazon Publishing im deutschsprachigen Raum verlegt und vertrieben. Zusätzlich wird das Buch vom Amazon-Imprint Amazon Crossing ins Englische übersetzt, als englisches Taschenbuch und eBook weltweit verfügbar gemacht sowie von der Amazon-Tochter Audible als Hörbuch zum Download bereitgestellt. Geradezu harmlos wirken im Vergleich dazu die ‚außerliterarischen Mechanismen‘ des Deutschen Buchpreises. Noch konsequenter verwirklicht der 2018 und voraussichtlich einmalig von der Firma QualiFiction ausgerichtete Wettbewerb „Bestseller-Autor 2.0“ die Paradigmen eines digitalisierten Buchmarkts: Eingereicht werden können Romanmanuskripte, dem Sieger winken Verlagsvertrag, „Garantiehonorar“ von 2000 Euro, Fachtickets für die Buchmesse und „Einladungen zum Event im Wert von 425 Euro“ – ausgewählt wird der Sieger von der QualiFiction-Software „zur Analyse von Texten und Vorhersage von Bucherfolgen“. Auch mit dem seit 2001 vergebenen getAbstract International Book Award, der jeweils zwei englische und zwei deutsche „Businessbücher“ auszeichnet, vergibt ein kommerzieller Akteur einen Buchpreis und nutzt dabei die eigenen Unternehmenskanäle und Produkte: getAbstract liefert laut Selbstaussage „via Internet Zusammenfassungen herausragender Wirtschaftsbücher. Unser Anliegen ist es, Manager und Führungskräfte weltweit mit hochkarätigen und aktuellen Business-Informationen zu versorgen. Dieses Wissen wird in Form fünfseitiger Zusammenfassungen geliefert. Sie enthalten die Kernaussagen und Grundgedanken aktueller, relevanter und innovativer Bücher.“ Die Firma positioniert sich dabei explizit in einer flexibilisierten, mobilisierten, globalisierten und digitalisierten Arbeits- und Lebenswelt und bewirbt aktuell vor allem ihre mobile Anwendungssoftware, die mithilfe derart komprimierten Wissens „eine smarte Lösung für die viel beschäftigte Führungskraft“ biete. Im Vergleich zum traditionellen Buchmarkt stellt dieser neue Buchmarkt seine eigene Kommerzialität selbstbewusst aus.

Symptomatisch für den kreativökonomischen Reproduktionszyklus sind die Buchmesse-Preise auch dadurch, dass sie größtenteils als Wettbewerbe angelegt sind und so sich dem Modus von Projektausschreibung und -förderung beziehungsweise projektförmigem Arbeiten annähern. Einhergehend mit der Zunahme von nicht-monetären Dotierungen wie Mentoring-Programmen, Workshop-Teilnahmen oder -Gutscheinen, Buchmesse-Tickets u.ä. indiziert die Konjunktur des Wettbewerbsformats eine Professionalisierung künstlerischen Arbeitens (vgl. zum Beispiel Amlinger 2016) im Sinne eines „Cultural Entrepreneurship“ (Konrad 2010, 17). Derartige Entwicklungen im Feld der Literaturpreise könnten folglich einen lohnenswerten Ausgangspunkt bieten für die Untersuchung literarischer Praxis und entsprechender Valorisierungsprozesse im Kontext des gegenwärtigen Kreativitätsdispositivs (vgl. Reckwitz 2014), das sich nicht nur auf wettbewerbsförmige Innovationsintensivierung gründet, sondern auch ein Subjektivierungsdispositiv darstellt. Letzteres zielt auf kreative Selbstverhältnisse vor dem Hintergrund prekarisierter Arbeits- und Lebensbedingungen ab. Die Ausweitung der Auszeichnungen von Texten und AutorInnen auf andere Praktiken des Literaturbetriebs beziehungsweise der Kreativökonomie führt außerdem eine Heterarchisierung des literarischen Feldes vor Augen. Hiermit ist die Einführung neuer Wertungskriterien und -maßstäbe gemeint, die über die Diversifizierung von konsekrationswürdigen literarischen Genres und Formen hinausgeht. Indem beispielsweise Jurys durch Software ersetzt werden, indem nicht nur Schulbücher, sondern medientechnologische Unterrichtsmaterialien ausgezeichnet, Verleger als kreative Unternehmer adressiert oder Blogs als neu etabliertes Genre gewürdigt werden, wird das literarische Feld innerhalb des kreativökonomischen positioniert, und seine Konturen ebenso wie diejenigen der literarischen Wertung verschieben sich. Dabei weisen die heterarchisierten Wertmaßstäbe durchaus Widersprüchliches auf – wenn beispielweise der Young Excellence Award besonders kreative beziehungsweise innovative unternehmerische Akteure der Buchbranche auszeichnet, wohingegen der Preis für den Bestseller-Autor 2.0 in extremer Weise auf ‚Schema-Literatur‘ setzt. Vor diesem Hintergrund nimmt sich der Deutsche Buchpreis weniger als Repräsentant von Kommerzialisierungstendenzen als vielmehr als Repräsentant traditionellerer Kunst- und Literaturbegriffe aus. Buchpreis und Buchmesse-Preise führen eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen im literarischen Feld vor Augen: Es sucht einerseits den Anschluss an Digitalisierung und Kreativökonomie, andererseits zeitigt es konservierende Impulse und Bemühungen, Literatur und Buch als Leitmedien zu bewahren.

Literarische Wertung und außerliterarische Wertmaßstäbe

Gewissermaßen nostalgische Aspekte bilden also einen integralen Bestandteil der skizzierten Kreativökonomie.  Auch hier muss offenbar auf spezifische Ressourcen nicht-ökonomischer Wertung Rücksicht genommen werden, wodurch literarische Wertung und kreativökonomische Funktion in ein Spannungsverhältnis gesetzt werden.  Das Modell der Kreativökonomie besteht gerade nicht nur darin, Preisverleihung und Markterfolg schlicht in eins fallen zu lassen, sondern die ‚traditionelle‘ (literarische) Wertung als eine diskursethische Praxis zu etablieren. Hiervon zeigt sich der zweite Punkt der ‚Messe-Mission‘ motiviert. Er adelt die Kreativökonomie zum Ort reflexiver gesellschaftlicher Verständigung:

Die Frankfurter Buchmesse steht als eine der weltweit wichtigsten Bühnen für die Auseinandersetzung um das internationale gesellschaftspolitische Geschehen. Wir versammeln in Frankfurt Menschen, die ihre Ideen verhandeln wollen, einen konstruktiven Dialog zu drängenden Fragen beginnen und sich auf Augenhöhe auch mit anderen Perspektiven auseinandersetzen.

Auch diese Konzeption von Literaturbetrieb und Kreativökonomie als Sphären eines gesellschaftspolitischen, ja humanistisch-moralischen „Dialog[s]“ zwischen Menschen zeichnet sich in den Literaturpreisen der Messe ab, in denen literarische durch außerliterarische Wertmaßstäbe überlagert werden. Prominentestes Beispiel ist der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, dessen Verleihung während der Buchmesse in der Paulskirche stattfindet und der an eine „Persönlichkeit“ verliehen wird, „die in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat“. Auch der LiBeraturpreis, der „jährlich einen besonders beliebten Titel einer Autorin aus Afrika, Asien, Lateinamerika oder der arabischen Welt“ auszeichnet, stellt sich (und die ausgezeichnete Literatur) in den Dienst außerliterarischer axiologischer Werte und versteht sich als „Katalysator der Vielstimmigkeit“ und des Dialogs. Eine ähnliche Politik der Sichtbarmachung von Minoritäten verfolgt die Auszeichnung BücherFrau des Jahres, und auch das Selbstverständnis des Deutschen Jugendliteraturpreises geht über die Auszeichnung der ‚besten‘ Jugendliteratur hinaus, insofern er sich als Mittel versteht, „Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeit zu stärken“.  Mit der Auszeichnung gemäß außerliterarischer (ökonomischer und soziokultureller) Werte ist der Deutsche Buchpreis folglich weder im Kontext der Buchmesse noch in der restlichen Preislandschaft singulär. Die Klage über seine mangelnde literarästhetische Ausrichtung bestätigt vor diesem Hintergrund vielmehr das Diktum Renate von Heydebrands, dass axiologische Werte immer in (hierarchisch strukturierten) Wertbündeln Geltung erlangen (vgl. Heydebrand 2001, 833). Eine vergleichende Untersuchung der deutschen beziehungsweise deutschsprachigen Preislandschaft hinsichtlich ihrer Wertungskriterien und -programme, welche die quantitative und qualitative Analyse empirischer Daten mit diskursanalytischer Methodik koppelt, könnte solche gegenwärtigen, hegemonialen Wertbündel herauskristallisieren.

 Literatur als Storytelling

Der dritte und letzte Punkt der Mission, mit der sich die Frankfurter Buchmesse beauftragt sieht, führt – neben der Engführung von AutorInnen mit Stars – einen programmatischen Schnittpunkt von Messe und Deutschem Buchpreis vor Augen, nämlich einen spezifischen Literaturbegriff in Form des Storytelling, das wiederum mit Blick auf die bereits aufgeführten eBook-Preise an Kontur gewinnt:

Wir wollen auf der Frankfurter Buchmesse unsere Leidenschaft für gute Geschichten und für kreative Ideen als Erlebnis für alle Sinne inszenieren. Hier sollen die Freunde und Freundinnen einer guten Story die Autorinnen und Autoren treffen und auf Tuchfühlung mit ihren Idolen gehen. Im Zentrum steht dabei immer die Begegnung zwischen Menschen und Kulturen.

Wie die Genrebegrenzung des Deutschen Buchpreises auf die Subgattung Roman in Widerspruch zu seinem gattungsunbestimmten Namen steht, verengt auch die zitierte ‚Mission‘ Literatur und Buch tendenziell auf erzählende Gattungen. Dasselbe ist der Fall beim Bestseller-Autor 2.0, beim Kindle Storyteller Award und beim Schreibwettbewerb für „All-Ager-Autoren“, den das Carlsen-Imprint Impress und tolino media 2018 zum zweiten Mal ausgeschrieben haben. Zusammengenommen ist hier offenbar nicht nur eine Aufwertung des Erzählens als anthropologisches Merkmal und diskursethische Gattung am Werk, die die „Begegnung zwischen Menschen und Kulturen“ ermöglicht oder eine pragmatische Applikation von Erkenntnissen des narrative turn in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Bereits die Fokussierung auf „gute Geschichten und Ideen als Erlebnis für alle Sinne“ (Hervorh.: DB/SM) verdeutlicht, dass Literatur im Selbstverständnis der Buchmesse im Wesentlichen als eine unter vielen medialen Erscheinungsformen des Storytelling auftritt, wodurch Medium und Form tendenziell auf ihre Funktion als Distributionsmittel von Information reduziert werden. Bezeichnend hierfür ist die Proliferation des aus den Fachsprachen der Informatik und des Online-Marketings stammenden Begriffs des content im Sinne von (nützlichem) Inhalt, wie er etwa in der Ausschreibung des genannten Wettbewerbs für ‚All-Ager-Autoren‘ verwendet wird, wo sich tolino media als „zentrale[r] Content-Lieferant für digitalen Lesestoff“ profiliert. Der getAbstract International Book Award basiert auf dem massenhaften Screening von Sachbüchern und bewirbt damit gleichzeitig getAbstracts Dienstleistung der Zusammenfassung solcher Bücher – content in verdichteter Form – auf deren zentrale Kernaussagen. Der Award nimmt sich als Extrembeispiel für eine umfassende Inhaltszentrierung des literarischen beziehungsweise kulturellen Feldes aus. Paradoxerweise hat somit gerade die entdifferenzierende Ein- und Unterordnung der literarischen Praxis des Verlegens in die des Publishing und die Entgrenzung literarischer Narration auf Storytelling einen einseitig verengten Literaturbegriff zur Folge.

 Valorisierungen in der deutschsprachigen Preislandschaft

Selbst das kreativökonomischste System bedarf also offenbar Praktiken der Valorisierung. In Frage stehen mithin die Wertmaßstäbe oder – mit Heydebrand gesprochen – die axiologischen Werte (vgl. Heydebrand 2012), die den Preisvergaben zugrunde liegen, wobei diese nicht immer explizit gemacht werden. Will man nicht (nur) in inhaltliche, literatur(betriebs)kritische Diskussionen einsteigen, sondern eine umfassendere Perspektive auf (synchrone wie diachrone) Mechanismen, Praktiken und Funktionen von Literaturpreisen als zentrale Elemente des künstlerischen beziehungsweise literarischen Feldes einnehmen, so ist zuallererst die steigende Vielzahl und Vielfalt von im deutschsprachigen Raum vergebenen Literaturpreisen – die sich auf über tausend belaufen – zur Kenntnis zu nehmen. Sie erreichen zwar nicht alle den Bekanntheitsgrad des Deutschen Buchpreises, des Büchnerpreises oder des Ingeborg-Bachmann-Preises, sind deswegen aber längst nicht als ‚belanglos‘ (vgl. Wilpert 2013, 477) einzustufen. Ihre Heterogenität betrifft ganz unterschiedliche Dimensionen der Institution Literaturpreise: Sie unterscheiden sich hinsichtlich Bewerbungs- und Auswahlverfahren, Dotierung, Juryzusammensetzung, Format, Rahmen der Verleihung, ihrer programmatischen Ausrichtung, ihrer regionalen Reichweite und eben auch hinsichtlich ihrer Vergabekriterien – und damit hinsichtlich ihrer Wertungsmaßstäbe sowie ihrer Relationen zu anderen sozialen Feldern, außerliterarischen Diskursen und inner- wie außerliterarischen Macht- und Kräfteverhältnissen.

Literaturangaben:

Amliger, Carolin: „Schreiben. Eine Soziologie literarischer Arbeit“. Soziopolis. Gesellschaft beobachten (01.02.2016) < https://soziopolis.de/beobachten/kultur/artikel/schreiben/> (21.09.2018).

Berr, Karsten: Hegels Bestimmung des Naturschönen. Zur Betrachtung und Darstellung schöner Landschaft und Natur. Riga 2013.

Böhme, Gernot: Ästhetischer Kapitalismus. Frankfurt am Main 2016.

Hagestedt, Lutz: „Autorenpräsentation und -förderung: Lesungen, Ausstellungen, Preise“. In: Thomas Anz (Hg.): Handbuch Literaturwissenschaft. Bd. 1: Gegenstände und Begriffe. Stuttgart / Weimar 2013, 296–306.

Heydebrand, Renate von: „Wertung, literarische“. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, begr. von Paul Merker und Wolfgang Stammler. Bd. 4., hrsg. von Klaus Kanzog und Achim Masser. Berlin 22001, 828–871.

Hutter, Michael: „Infinite Surprises: On the Stabilization of Value in the Creative Industries“. In: Jens Beckert / Patrik Aspers (Hg.): The Worth of Goods. Valuation and Pricing in the Economy. New York 2011, 201–220.

Jürgensen, Christoph: „Würdige Popularität? Überlegungen zur Konsekrationsinstanz ‚Literaturpreis‘ im gegenwärtigen literarischen Feld“. In: Silke Horstkotte / Leonhard Herrmann (Hg.): Poetiken der Gegenwart. Deutschsprachige Romane nach 2000. Berlin 2013, 285–302. [Jürgensen 2013a]

Jürgensen, Christoph: „‚Ihre Fragen sind unsere Fragen‘. Der Deutsche Buchpreis und seine Preisträger(innen)“. In: Maike Schmidt (Hg.): Gegenwart des Konservatismus in Literatur, Literaturwissenschaft und Literaturkritik. Kiel 2013, 321–340. [Jürgensen 2013b]

Konrad, Elmar D.: Kulturmanagement und Unternehmertum. Stuttgart 2010.

Link, Jürgen: „Normalismus und Antagonismus in der Postmoderne. Auch ein Beitrag zur Diagnose der Krise“. kultuRRevolution 70 (1/2016), S. 7–56.

Raunig, Gerald / Wuggenig, Ulf (Hg.): Kritik der Kreativität. Wien u.a. 2016.

Reckwitz, Andreas: Die Gesellschaft der Singularitäten.  Zum Strukturwandel der Moderne. Frankfurt am Main 2017.

Reckwitz, Andreas: Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung. Frankfurt am Main 42014.

Wilpert, Gero von: „Literaturpreise“. In: Ders.: Sachwörterbuch der Literatur. Sonderausgabe der 8., verbesserten und erweiterten Auflage 2001. Stuttgart 2013, 477.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen