Von Engeln und Untoten

In seinem Roman „Der aufblasbare Engel“ demonstriert Zaza Burchuladze auf satirische Weise die Zerrissenheit der modernen georgischen Gesellschaft

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zaza Burchuladze gilt als enfant terrible der georgischen Literatur. Sein in den Augen vieler Georgier ketzerischer Tonfall, mit dem er die Kirche und ihre Traditionen scharf angreift, sowie die oft explizite Darstellung von Sexualität, gepaart mit der beißenden Kritik an Politik und Gesellschaft, haben nicht nur dazu geführt, dass er vom damaligen Präsidenten Saakaschwili im Fernsehen zur besten Sendezeit angegriffen wurde, sondern auch, dass der heute 45-jährige Autor und seine Familie bereits vor sechs Jahren aus Angst vor einem Attentat ihr Heimatland verlassen mussten und nach Deutschland übersiedelten. Burchuladzes ebenfalls ins Deutsche übertragener Roman adibas war hier der besondere Stein des Anstoßes; die explizit beschriebenen Sexszenen gingen vielen gläubigen Georgiern zu weit.

Auch Der aufblasbare Engel erschien vor seiner Auswanderung, im Jahr 2011, und wird aufgrund seiner bitterbösen Sozialkritik einerseits und seinem augenzwinkernden Spiel mit religiöser Symbolik andererseits kaum für Erheiterung der konservativen Gemüter gesorgt haben. Das schmale Buch steckt jedoch voller origineller Ideen, wahnwitziger Entwicklungen und skurriler Figuren, und selbst der in der georgischen Kultur wenig bewandte Leser merkt schnell, dass es zahlreiche Anspielungen auf Religion, Geschichte und Gesellschaft des Landes beinhaltet, die man leider hierzulande größtenteils nicht verstehen wird. Und trotzdem ist Der aufblasbare Engel ein großes, surreales Lesevergnügen.

Es ist dabei nicht einfach, den Plot zu umreißen: Das gelangweilte Ehepaar Nino und Niko ruft in einer spiritistischen Sitzung in ihrer Tifliser Wohnung den berühmten doch bis heute umstrittenen Mystiker und Spiritisten Georges Gurdjeff ins Leben zurück. Dieser taucht plötzlich in Fleisch und Blut vor ihnen auf, wundert sich, dass er nicht, wie sonst nach einer Anrufung, verschwindet, und nistet sich bei dem Ehepaar ein. Zunächst erfüllt er ihnen den Wunsch, reich zu werden. Doch der Preis ist höher, als Nino und Niko zunächst erwarten: Sie müssen einen reichen Geschäftsmann entführen, dessen Geliebte in ihrem Mietshaus wohnt. Zunächst geht alles gut, dank Gurdjeffs Hypnose-Künsten schafft der Mann auch die gewünschte Summe heran, doch irgendwie scheint er bei dieser Aktion zum Zombie geworden zu sein und zieht nun, in einem steten Zustand der Verwesung, jedoch noch am Leben, ebenfalls in die kleine Wohnung. Gurdjeff beginnt nun, den Untoten religiös zu schulen: Er bringt ihm Kirchenlieder und Predigten bei. Während Nino und Niko mit ihrem neuen Reichtum eine Luxuswohnung kaufen und sich ihren Wunsch, eine Bäckerei zu eröffnen, erfüllen, bleiben Gurdjeff und der Untote in der Wohnung. Als sie sich entscheiden, beide loszuwerden, geschehen plötzlich seltsame Dinge.

Diese kurze Zusammenfassung des Ausgangsplots zeigt bereits, dass Burchuladze gleichzeitig eine Satire auf die zeitgenössische, westlich orientierte georgische Gesellschaft, die von der Gier nach Reichtum getrieben ist, verfasst hat, wie auch eine sarkastische Beobachtung des georgischen Glaubens (Letzteres wird im vierten und fünften „Akt“ des Romans in den Mittelpunkt der Handlung rücken). Er zeigt dabei auf höchst komische Weise, wie zerrissen zwischen Moderne und Tradition die georgische Gegenwart in seinen Augen ist, wie sehr progressive Kräfte und traditionsorientierte Kräfte sich gegenseitig zerreiben und wie das durchschnittliche Individuum gefangen scheint zwischen diesen beiden Polen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Zaza Burchuladze: Der aufblasbare Engel. Roman.
Aus dem Georgischen von Maia Tabukaschwili.
Blumenbar Verlag, Berlin 2018.
224 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783351050580

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