Rede von Helke Sander auf der 23. Delegiertenkonferenz des „Sozialistischen Deutschen Studentenbundes“ am 13. September 1968 in Frankfurt am Main

Vorbemerkung der Redaktion: Die erneute Veröffentlichung des Redetextes von Helke Sander erfolgt mit ihrer freundlichen Genehmigung und versteht sich als dokumentarische Ergänzung eines Interviews, das Rolf Löchel mit ihr im Oktober 2018 geführt hat. Siehe https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=25003 ! Der Text basiert auf einem Tonbandmitschnitt, angefertigt von Holger Meins am 13. September 1968, Privatbesitz Helke Sander, und der Tonbandabschrift von Elisabeth Zellmer und Patrick Bernhard am 24. April 2006, die mit Kommentaren dazu auf der Seite https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0022_san_de.pdf der Bayerischen Staatsbibliothek öffentlich zugänglich ist.

Liebe Genossinnen, Genossen,

ich spreche für den Aktionsrat zur Befreiung der Frauen. Der SDS [Berlin] hat mir einen Delegiertenplatz gegeben. Nur wenige von uns des Aktionsrates sind Mitglieder des SDS. Wir sprechen hier, weil wir wissen, dass wir unsere Arbeit nur in Verbindung mit anderen progressiven Organisationen leisten können und dazu zählt unserer Meinung nach heute nur der SDS.

Die Zusammenarbeit hat jedoch zur Voraussetzung, dass der Verband die spezifische Problematik der Frauen begreift, was nichts anderes heißt, als jahrelang verdrängte Konflikte endlich im Verband zu artikulieren. Damit erweitern wir die Auseinandersetzung zwischen den Antiautoritären und der KP-Fraktion und stellen uns gleichzeitig gegen beide Lager, da wir beide Lager praktisch, wenn auch nicht theoretisch, gegen uns haben. Wir werden versuchen, unsere Positionen zu klären, und verlangen, dass unsere Problematik hier inhaltlich diskutiert wird. Wir werden uns nicht mehr damit begnügen, dass den Frauen gestattet wird, auch mal ein Wort zu sagen, das man sich, weil man ein Antiautoritärer ist, anhört, um dann zur Tagesordnung überzugehen.

Wir stellen fest, dass der SDS innerhalb seiner Organisation ein Spiegelbild gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse ist. [Applaus] Dabei macht man alle Anstrengungen, alles zu vermeiden, was zur Artikulierung dieses Konfliktes zwischen Anspruch und Wirklichkeit beitragen könnte, da dies eine Neuorientierung der SDS-Politik zur Folge haben müsste bzw. eine klare Strategie erzwingen würde. Diese Artikulierung wird auf eine einfache Weise vermieden, nämlich dadurch, dass man einen bestimmten Bereich des Lebens vom gesellschaftlichen Leben abtrennt, ihn tabuisiert, indem man ihm den Namen Privatleben gibt. In dieser Tabuisierung unterscheidet sich der SDS in nichts von den Gewerkschaften und den bestehenden Parteien. [Applaus] Diese Tabuisierung hat zur Folge, dass das spezifische Ausbeutungsverhältnis, unter dem die Frauen stehen, verdrängt wird, wodurch gewährleistet ist, dass die Männer ihre alte, durch das Patriarchat gewonnene Identität noch nicht aufgeben müssen. [Applaus] Man gewährt zwar den Frauen Redefreiheit, ergründet aber nicht die Ursachen, warum sie sich so schlecht bewähren, warum sie passiv sind, warum sie zwar in der Lage sind, die Verbandspolitik mit zu vollziehen, aber nicht dazu in der Lage sind, sie auch mit zu bestimmen. (Gestern hat eine Frau geredet, heute hat eine Frau einen Antrag formuliert.) Die Verdrängung wird komplett, wenn man auf diejenigen Frauen verweist, die innerhalb des Verbandes eine bestimmte Position erworben haben, in der sie aktiv tätig sein können. Es wird nicht danach gefragt, welche Versagungen ihnen das möglich gemacht haben, es wird übersehen, dass dies nur möglich ist durch Anpassung an ein Leistungsprinzip, unter dem ja gerade auch die Männer leiden und dessen Abschaffung das Ziel ihrer Tätigkeit ist. Die so verstandene Emanzipation erstrebt nur eine Gleichheit in der Ungerechtigkeit und zwar mit den von uns abgelehnten Mitteln des Konkurrenzkampfes und des Leistungsprinzips.

Die Trennung zwischen Privatleben und gesellschaftlichem Leben wirft die Frau immer zurück in den individuell auszutragenden Konflikt ihrer Isolation. Sie wird immer noch für das Privatleben, für die Familie, erzogen, die ihrerseits von Produktionsbedingungen abhängig ist, die wir ablehnen. Die Rollenerziehung, das anerzogene Minderwertigkeitsgefühl, der Widerspruch zwischen ihren eigenen Erwartungen und denen der Gesellschaft erzeugen das ständige schlechte Gewissen, den an sie gestellten Anforderungen nicht gerecht zu werden, bzw. zwischen Alternativen wählen zu müssen, die in jedem Fall einen Verzicht auf vitale Bedürfnisse bedeuten.

Frauen suchen ihre Identität. Durch Beteiligung an Kampagnen, die ihre Konflikte nicht unmittelbar berühren, können sie sie nicht erlangen. Auch das ist nur Scheinemanzipation. Sie können sie nur erlangen, wenn die ins Privatleben verdrängten gesellschaftlichen Konflikte artikuliert werden, damit sich dadurch die Frauen solidarisieren und politisieren. Die meisten Frauen sind deshalb unpolitisch, weil Politik bisher immer einseitig definiert worden ist und ihre Bedürfnisse nie erfasst wurden. Sie beharrten deshalb im autoritären Ruf nach dem Gesetzgeber, weil sie den systemsprengenden Widerspruch ihrer Forderungen nicht erkannten.

Die Gruppen, die den Widerspruch erkannt haben und die am leichtesten politisierbar sind, sind die privilegierten Frauen mit Kind und verkrachter Ehe. Bei ihnen sind die Aggressionen am stärksten und [ist] die Sprachlosigkeit am geringsten. Wenn Frauen heute studieren können, haben sie das nicht so sehr der bürgerlichen Emanzipationsbewegung zu verdanken, sondern vielmehr ökonomischen Notwendigkeiten. Wenn diese Privilegierten unter den Frauen nun Kinder bekommen, werden sie auf Verhaltensmuster zurückgeworfen, die sie meinten, dank ihrer Emanzipation schon überwunden zu haben. Das Studium wird abgebrochen oder verzögert, die geistige Entwicklung bleibt stehen oder wird stark gemindert durch die Ansprüche des Mannes und des Kindes. Dazu kommt die Unsicherheit, dass man es nicht fertig gebracht hat, zwischen Blaustrumpf und Frau fürs Haus zu wählen, entweder eine Karriere aufzubauen, die mit einem weitgehenden Verzicht auf Glücksanspruch erkauft werden muss oder eine Frau für den Konsum zu sein. Das heißt, es sind eben jene privilegierten Frauen, die die Erfahrung gemacht haben, dass der bürgerliche Weg zur Emanzipation der falsche war, die erkannt haben, dass sie sich nicht emanzipieren können, wenn sie mit dem Mann konkurrieren, die erkannt haben, dass sie sich nicht emanzipieren können, wenn das allgemeine Leistungsprinzip auch zum bestimmenden Faktor innerhalb der jeweiligen Verhältnisse wird.

Diese Frauen merken spätestens, wenn sie Kinder bekommen, dass ihnen alle ihre Privilegien nichts nützen. Sie sind am ehesten dazu in der Lage, den Abfallhaufen des gesellschaftlichen Lebens ans Licht zu ziehen, was gleichbedeutend damit ist, den Klassenkampf auch in die Ehe und in die Verhältnisse zu tragen. [Applaus] Dabei übernimmt der Mann die objektive Rolle des Ausbeuters oder Klassenfeindes, die er subjektiv natürlich nicht will [Applaus], da sie ihm ja auch wiederum nur aufgezwungen wird von einer Leistungsgesellschaft, die ihm ein bestimmtes Rollenverhalten und Autorität auferlegt.

Die Konsequenz, die sich daraus für den Aktionsrat zur Befreiung der Frauen ergab, ist folgende:

Wir können die gesellschaftliche Unterdrückung der Frauen nicht individuell lösen. Wir können damit nicht auf Zeiten nach der Revolution warten, da eine nur politisch-ökonomische Revolution die Verdrängung des Privatlebens nicht aufhebt, was in allen sozialistischen Ländern bewiesen ist. [Applaus]

Wir streben Lebensbedingungen an, die das Konkurrenzverhältnis zwischen Mann und Frau aufheben. Dies geht nur durch Umwandlung der Produktionsverhältnisse und damit der Machtverhältnisse, um eine demokratische Gesellschaft zu schaffen.

Da die Bereitschaft zur Solidarisierung und Politisierung bei den Frauen mit Kindern am größten ist, weil sie nämlich den Druck am meisten spüren, haben wir uns in der praktischen Arbeit bisher auf ihre Konflikte konzentriert. Das heißt nicht, dass wir die Konflikte der Studentinnen ohne Kinder nicht wichtig nehmen, heißt nicht, dass wir nicht trotz der gemeinsamen Merkmale aller Frauen in der Unterdrückung die klassenspezifischen Unterdrückungsmechanismen übersehen. Es heißt lediglich, dass wir eine möglichst effektive Arbeit leisten wollen und uns einen Ansatzpunkt schaffen müssen, der es uns erlaubt, die Problematik systematisch und rational anzugehen.

Da die anfänglichen Bemühungen, die wir machten, diese Konflikte mit dem SDS und innerhalb des SDS anzugehen, scheiterten, haben wir uns zurückgezogen und alleine gearbeitet. Als wir vor einem halben Jahr mit der Arbeit anfingen, reagierten die meisten Genossen mit Spott, mit Diffamierung oder Verdrängung, das heißt mit Schweigen. Heute nehmen sie uns übel, dass wir uns zurückgezogen haben und versuchen uns zu beweisen, dass wir überhaupt ganz falsche Theorien haben, sie versuchen uns unterzujubeln, dass wir behaupten, wir könnten uns auch alleine emanzipieren – ohne die Männer – und all den Schwachsinn, den wir nie verbreitet haben. Sie pochen darauf, dass auch sie unterdrückt sind, was wir ja wissen. [Gelächter] Wir sehen es nur nicht mehr länger ein, dass wir ihre Unterdrückung, mit der sie uns unterdrücken, weiter wehrlos hinnehmen sollen. Eben weil wir der Meinung sind, dass eine Emanzipation nur gesamtgesellschaftlich möglich ist, sind wir ja hier. Wir müssen hier nämlich mal feststellen, dass an der Gesamtgesellschaft etwas mehr Frauen als Männer beteiligt sind und finden es nicht unbescheiden, dass wir die sich daraus ergebenden Ansprüche auch einmal anmelden und fordern, dass sie berücksichtigt werden. Sollte dem SDS der Sprung nach vorn zu dieser Einsicht nicht gelingen, dann wären wir allerdings auf einen Machtkampf angewiesen, was eine [Unruhe und Applaus] ungeheure Energieverschwendung bedeuten würde [Unruhe], denn wir würden diesen Machtkampf gewinnen, da wir historisch im Recht sind. [Applaus]

Die Hilflosigkeit und Arroganz, mit der wir hier auftreten müssen, macht keinen besonderen Spaß. Hilflos sind wir deshalb, weil wir von progressiven Männern eigentlich erwarten, dass sie die Brisanz unseres Konfliktes einsehen. Die Arroganz kommt daher, dass wir sehen, welche Bretter Ihr vor den Köpfen habt, weil Ihr nicht seht, dass sich Leute jetzt ohne Euer Dazutun politisieren – und zwar in einer Zahl, die Ihr für den Anbruch der Morgenröte ansehen würdet, wenn es sich jetzt um Arbeiter handeln würde. [Gelächter und Beifall]

Eure Veranstaltungen sind ziemlich unerträglich. Die Aggressionen [Applaus], die hier alles bestimmen, kommen nur teilweise aus politischen Einsichten in die Dummheit des anderen Lagers. Sagt doch endlich, dass Ihr Euch die neue Strategie solange nicht aus der Nase ziehen könnt, als Ihr noch so kaputt seid vom letzten Jahr, sagt, dass Ihr den Stress nicht länger ertragen könnt, Euch in politischen Aktionen zu verausgaben, ohne damit einen Lustgewinn zu verbinden. Und sagt doch, dass man dies eigentlich auch im SDS diskutieren sollte. Warum kauft Ihr Euch denn alle den Reich? Warum sprecht Ihr denn vom Klassenkampf hier und von Orgasmusschwierigkeiten zu Hause? [Unruhe, Gelächter]

Diese Verdrängungen wollen wir nicht mehr mitmachen. [Applaus]

In unserer selbstgewählten Isolation machten wir also folgendes: Wir konzentrierten unsere Arbeit auf die Frauen mit Kindern, weil sie am schlechtesten dran sind. Frauen mit Kindern können über sich erst wieder nachdenken, wenn die Kinder sie nicht dauernd an die Versagungen der Gesellschaft erinnern, die sie auszutragen haben. Da die politischen Frauen ein Interesse daran haben, dass ihre Kinder eben nicht nach dem Leistungsprinzip erzogen werden, war die erste Konsequenz für uns die, dass wir den Anspruch der Gesellschaft, dass die Frau die Kinder zu erziehen hat, zum ersten Mal ernst nehmen. Und zwar in dem Sinne, dass wir uns weigern, unsere Kinder weiterhin nach den Prinzipien des Konkurrenzkampfes und des Leistungsprinzips zu erziehen, von denen wir wissen, dass auf ihrer Einhaltung die Voraussetzung des kapitalistischen Systems überhaupt beruht. [Applaus]

Wir wollen versuchen, schon innerhalb der bestehenden Gesellschaft Modelle einer utopischen Gegengesellschaft zu entwickeln. In dieser Gegengesellschaft müssen aber unsere eigenen Bedürfnisse endlich einen Platz finden. So ist die Konzentration auf die Erziehung nicht ein Alibi für die verdrängte eigene Emanzipation, wie es uns von den Genossen vorgeworfen wird, sondern die Voraussetzung dafür, die eigenen Konflikte produktiv zu lösen. Indem man nämlich versucht, die Reptationen, die das Kind auf die Eltern und die Eltern auf das Kind ausüben, so umzuleiten, dass Formen geschaffen werden, in der sich jeder gegen die Unterdrückung des anderen wehren kann. Die Hauptaufgabe besteht darin, dass unsere Kinder nicht auf Inseln fernab aller gesellschaftlichen Realität gedrängt werden, sondern darin, den Kindern durch Unterstützung ihrer eigenen emanzipatorischen Bemühungen die Kraft zum Widerstand zu geben, damit sie ihre eigenen Konflikte mit der Realität zugunsten einer zu verändernden Realität lösen können.

Augenblicklich arbeiten schon fünf dieser Kinderläden, vier weitere organisieren sich und einige andere sind im organisatorischen Vorstadium. Wir arbeiten am Modell für den FU-Kindergarten und organisieren Kindergärtnerinnen. Andere Arbeitskreise, die mehr theoretisch arbeiten, gibt es auch.

Wir haben einen so ungeheuren Zustrom, dass wir ihn kaum organisatorisch verkraften können. Unser Ziel ist zunächst, die Frauen zu politisieren, die schon ein bestimmtes Problembewusstsein haben. Dies ist am besten möglich innerhalb der Universitäten. Wir müssen diese unsere Gegenmodelle zunächst weiterentwickeln und auf eine größere Basis stellen, damit wir Methoden einer kollektiven Erziehung finden, die nicht nur den sowieso Privilegierten zugute kommt. Diese Kader und diese Erkenntnisse haben wir noch nicht. Darum können wir unsere Arbeit nicht dadurch gefährden, dass wir halbe Aktionen in Arbeitervierteln machen. Es sind nämlich besonders die Männer, die sich nach und nach bei uns eingefunden haben, die für eine schnellere Vermittlung nach außen in die Arbeiterschaft eintreten. Hier gibt es wieder zwei Probleme. Zum einen haben verschiedene Männer gesehen, dass plötzlich etwas gemacht wird, was eine Perspektive hat. Aufgrund ihrer gewandteren Formulierungen übernehmen sie bei manchen Arbeitskreisen wieder die Führung, wogegen viele Frauen nach wie vor hilflos sind. Sie tun so, als sei der Gedanke der Kinderläden ihre eigene Erfindung, sie sehen die politische Relevanz und sagen jetzt den Frauen, sie würden ihre Probleme verdrängen, wenn sie sich mit der Erziehung beschäftigen, obwohl wir bemerkt haben, dass sich die Frauen, gerade weil sie an ihren Problemen interessiert sind, sich zuerst mit den Kindern auseinandersetzen müssen. Der Versuch, möglichst schnell andere Bevölkerungsschichten mit unseren Kinderläden zu erfreuen, mag darauf zurückzuführen sein, dass sich die Männer nach wie vor weigern, ihre eigenen Konflikte durch die Arbeit mit den Kindern zu artikulieren. Im Augenblick haben wir der Arbeiterschaft noch nichts zu bieten. Wir können nicht Arbeiterkinder in unsere Kindergärten nehmen, wo sie ein Verhalten lernen, für das sie zu Hause bestraft werden. Die Kinder sind oft nur eine Last, die man, um sie erträglich zu machen, disziplinieren und reglementieren muss.

Die Voraussetzungen für eine Arbeiterkampagne müssen geschaffen werden und sind von uns nicht alleine zu leisten. Wir machen mit der Artikulierung unserer Konflikte eigene Basisarbeit.

Aus den Arbeiten an den Kinderläden ergeben sich für uns weitere Arbeiten, die damit in engerem Zusammenhang stehen. Die Kinder, die jetzt in unseren Läden sind, werden sich nicht mehr in die gewöhnlichen Schulen einfügen. Die Eltern dieser Kinder werden die bestehenden Schulen nicht mehr hinnehmen. Durch die breite Basis, die wir den Läden geben wollen, versuchen wir eine breite Basis für den Konflikt in den Volksschulen zu schaffen. Dieser Konflikt wird Wirkungen haben, die sich zeigen werden auch bei den Kindern und den Eltern, die nicht durch unsere Läden gegangen sind. Wir müssen dann verhindern, dass Kinder ausgebildet werden, um das zu lernen, was eine kapitalistische Gesellschaft ihnen zu lernen erlaubt.

Wir wissen, unproduktive Arbeiten können abgeschafft werden, wir wissen, wir werden einen ungeheuren Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern, Kindergärtnerinnen und Kindergärtnern haben. Es ist nicht mehr nötig, dass 90% aller Arbeiterinnen ungelernte Arbeiterinnen sind.

Genossen, Ihr seht, dass unsere Arbeit andere Schwerpunkte hat als die Verbandsarbeit.

Wir haben unsere Arbeit beschränkt auf Erziehungsprobleme und alles, was damit zusammenhängt – also vorläufig.Das heißt nicht, dass wir uninteressiert sind an den anderen Arbeiten. Wir geben im Augenblick nur kein Geld dafür. Alles Geld geht im Augenblick in die Läden und die dafür notwendigen Vorbereitungsarbeiten.Wir nehmen uns Zeit für die Vorbereitungsarbeiten, d.h. für die Politisierung des Privatlebens.Wenn die Kinderläden wenigstens den Studenten und Demonstranten zu einer Selbstverständlichkeit geworden sind, werden wir uns auf die Schulen konzentrieren müssen.Daneben gibt es natürlich Kampagnen, die in engem Zusammenhang damit stehen, auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden soll.

Damit kommen wir jetzt auf die Frage der Prioritäten. Wir müssen diskutieren:

Soll sich eine Gruppe hier und eine Gruppe da auf ein Lehrlings- bzw. Schülersekretariat konzentrieren oder sollen wir uns konzentrieren auf die Verbreiterung der Basis bei den Kindergärten.

Ein Lehrlingssekretariat fängt die wenigen glücklichen und männlichen Volksschulabgänger auf, die das Glück hatten, eine Lehre beginnen zu können, wie schlecht sie im Einzelnen auch sein mag. Ein Schülersekretariat fängt die wenigen Ober- und Berufsschüler auf, die das Glück hatten, liberale Eltern zu haben und materiell gesicherte Eltern, die sie auf eine Schule schicken konnten. Das Lehrlingssekretariat wird immer wieder genährt durch die Leute, die immer wieder die gleichen Voraussetzungen mitbringen, nämlich die, die wir abschaffen wollen. Soll hier eine Gruppe eine Nato-Kampagne und da eine Gruppe eine Bundeswehrkampagne machen oder sollen wir uns darauf konzentrieren, neue Wohnmodelle zu schaffen, die uns nicht mehr länger architektonisch vergewaltigen und die Besitzverhältnisse und die Machtstrukturen verewigen? Es geht um die Artikulierung der eigenen Konflikte gegen deren Verdrängung.

Wenn Ihr zu dieser Diskussion, die inhaltlich geführt werden muss, nicht bereit seid, dann müssen wir, der Aktionsrat zur Befreiung der Frauen, feststellen, dass der SDS ein konterrevolutionärer Verband ist. [Applaus und Buhrufe]