Oberleutnant Fuchs und die deutsche „Leitkultur“

38 Texte aus Alexander Osangs „Spiegel“-Kolumne sind gesammelt zwischen zwei Buchdeckeln erschienen

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit geraumer Zeit zeichnet Alexander Osang für die Spiegel-Kolumne „Leitkultur“ verantwortlich – und hat sich damit viele Freunde, aber auch Gegner gemacht. 38 Texte zwischen vier und sieben Seiten versammelt nun das im Christoph Links Verlag erschienene Bändchen Darf man um seine Katze trauern, wenn Deutschland Weltmeister wird? Texte, deren Themen weit gespannt sind: Sie reichen von „Problembären“ über die „Lügenpresse“ bis zu Adolf Hitlers Bart oder Fragen der Astrologie. Es wird versucht, zu klären, was den Ostmann vom Westmann unterscheidet, und der Frage nachgegangen, wo die Grenze zwischen Pilzsammlern und solchen verläuft, denen das Sich-Bücken im Wald zu beschwerlich ist.

Osang (Jahrgang 1962) ist in der DDR aufgewachsen und hat bis dato vier Romane und zahlreiche Bände mit seinen Reportagen und Kolumnen für die Berliner Zeitung, den Spiegel und andere veröffentlicht. Seit 2018 berichtet er für das Hamburger Nachrichtenmagazin aus Tel Aviv, nachdem er um die Jahrtausendwende herum acht Jahre lang im New Yorker Spiegel-Büro zu Hause war und dort auch die Anschläge vom 11. September 2001 aus nächster Nähe erlebte. Eine 2009 geschriebene Reportage über Angela Merkel brachte dem mehrmaligen Egon-Erwin-Kisch-Preisträger den Titel „Journalist des Jahres“ ein und ließ die 60-köpfige Fachjury des medium magazin von einem „Meisterstück des Portraits“ und der „Ausnahmequalität dieses Reporters“ schwärmen. Von Letzterer kann sich der Leser auch in dem vorliegenden Bändchen überzeugen.

Aus dem Handgelenk gelingt Osang in seinen Kolumnen die Verknüpfung des scheinbar Disparatesten. Da passen eine Auszeit im amerikanischen Herbstwald, die Grünen Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckhardt sowie des Reporters Leidenschaft fürs Pilzesammeln problemlos unter den Hut eines einzigen Textes. Und der enthält ganz nebenbei auch noch ein paar spitze Bemerkungen zum „Ostmann“: „Kahler Krempling klingt fast wie ein westdeutsches Synonym für den Ostmann. Leute, die sowas gegessen haben, wählen nicht zwangsläufig Volksparteien.“

Oft genügen Alexander Osang wenige Federstriche für ein Porträt mit Wiedererkennungswert. Und natürlich – die Textsorte der Kolumne erlaubt das, gebietet es vielleicht sogar – hält sich der Reporter nicht zurück, wenn ihm etwas in Welt und Politik gegen den Strich geht. Mag seine Meinung auch gelegentlich die Grenze zur politischen Korrektheit touchieren, unterhaltsam ist sie auf jeden Fall.

Dass Osang aus dem Osten kommt und diese Herkunft nicht verleugnet, sondern, wo es geht, noch betont – „Meine besten Freunde sind Ausländer oder Ostler“ –, macht ihn sensibel für deutsch-deutsche Widersprüche, die nach der Wiedervereinigung nicht verschwunden sind, sondern allenfalls für die Zeit des Sich-Hineinfindens der Ostler ins Neue überdeckt wurden, gerade in letzter Zeit aber in ungewohnter Schärfe wieder aufkommen. Für generelles Sachsen-Bashing à la Jan Böhmermann – „Ich glaube aber nicht, dass ganze Landstriche wütend sind.“ – und eine Vereinfachung des Blicks auf die geteilte deutsche Vergangenheit, wie ihn (im Grunde durchaus wohlmeinende) Serien wie Weissensee praktizieren – „‚Weissensee‘ ist eine Migrantenfarce wie ‚My Big Fat Greek Wedding‘.“ –, bringt er deshalb nur wenig Verständnis auf. Und wenn es eine honorable Wochenzeitung wie Die Zeit für nötig befindet, für ihre Leser in den neuen Ländern ein paar Extraseiten unter dem Titel Zeit im Osten ins Programm zu nehmen, kommt dem Kolumnisten das so vor, „als zöge sich die Zeitung gelegentlich einen gelben Pullunder über, um in den Ostgebieten nicht erkannt zu werden“.

Was schließlich die berühmte „Leitkultur“ betrifft, die für Osangs Rubrik im Spiegel den Titel hergibt, so bekennt der Autor frei heraus seine Unsicherheit im Umgang mit diesem Begriff und den unterschiedlichen Deutungen, die er aus berufenen wie unberufenen Mündern in letzter Zeit erfahren hat. Die besten Erklärungen scheinen jedenfalls auch hier die einfachen zu sein. Deshalb erinnert sich der Reporter an ein Erlebnis, welches er 1989 im fernen Pjöngjang beim Ansehen einer für koreanische Fernsehzuschauer synchronisierten Episode der ostdeutschen Fernsehserie Polizeiruf 110 hatte: „Oberleutnant Fuchs, unser bekanntester Kommissar, sprach koreanisch. Er wirkte wie ein anderer Mensch. Sanfter. Weiser. Geheimnisvoller.“

Ganz nebenbei erfährt man aus den 38 Kolumnen auch viel über den 56-Jährigen persönlich. Und natürlich darf man, um auf die titelspendende Frage zu kommen, um eine im hohen Alter friedlich eingeschlafene Katze auch dann trauern, wenn Deutschland nicht wieder Weltmeister geworden ist. Mit einer Holländerin anzustoßen, wenn die eigene Nationalelf gerade unrühmlich aus dem 2018er Turnier geflogen ist, geht natürlich auch – selbst wenn Osang der eine Leser oder die andere Leserin in diesem Punkte nur mit einem schweren Seufzer folgen dürften.

Titelbild

Alexander Osang: Darf man um seine Katze trauern, wenn Deutschland gerade Weltmeister wird? Wundersame Fragen der Leitkultur.
Ch. Links Verlag, Berlin 2018.
171 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783962890070

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