Der Name muss gefunden werden

Bringt Teresa Präauer die Lesenden mit „Tier werden“ an die abgründigen Grenzen, die Gilles Deleuze, Félix Guattari und Jaques Derrida bereits beschrieben?

Von Dafni TokasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dafni Tokas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die bildende Künstlerin und Schriftstellerin Teresa Präauer ist vor allem für ihre Romane, Dramen, Skulpturen und Ausstellungen bekannt. Noch im Mai gab es im Schauspiel Frankfurt die Premiere ihres Dramas Ein Hund namens Dollar zu sehen. Ihrem kürzlich erschienenen Essay Tier werden merkt man die Gastprofessur in Berlin, deren Thema die Poetische Ornithologie war, sofort an: Der Einstieg wird mit der „Harpyia“ gemacht, dem aus der griechischen Mythologie bekannten, schrecklichen Mischwesen zwischen Vogel und Mensch. Doch wie schrecklich ist dieses Wesen wirklich? Was bedeutet es, dass derartige mythologische Gestalten überhaupt erdacht werden? – Es geht zügig weiter mit Blicken auf Carl von Linnés Anthropomorpha, Ovids Metamorphosen, Thomas Nagels Fledermausproblem, Charles Darwins Neubestimmung des Menschen, Martin Heideggers Marginalisierung tierlichen Daseins als „weltarm“ und mit der Analyse etlicher Kunstwerke, die das Mensch-Tier-Verhältnis aushandeln, bis man zu Kinderspielzeug, Serien, Cosplays und Hundesalons gelangt. Das alles auf noch nicht einmal hundert Seiten – mit einprägsamer Leichtigkeit, einer konsistenten Linie und linguistischem Charme.

Die sprachliche Eloquenz der Literatin kommt nicht von ungefähr. „Vielleicht“, so schreibt Präauer, „meint das, was Deleuze und Guattari als Tier-Werden verzeichnen, eben auch, an den singenden, heulenden, lärmenden Rand der Sprache zu gehen“. Wir kennen diese Sätze von Antonin Artaud und Jaques Derrida – und dürfen sie nicht vergessen. Das Tier, so zeigte schon Derrida, kann es nicht geben. Was wir mit unserer Sprache machen, wenn wir „sie“ benennen, bedeutet mehr als nur ein simples Sprachspiel der schon in der Schöpfungsgeschichte durch Gott befohlenen Namensgebung. Es bedeutet menschlich-kulturelle Identität und Abgrenzung von Tier und Natur zugleich. Wie Menschen wieder zu Tieren werden – oder auch nicht –, das zeigt Präauer anhand einiger Beispiele aus der Kunst, nicht zuletzt aber auch am „Untier des Textes“, den sie vorlegt. Wer dieses Buch liest, soll Tier werden, verspricht Präauer in einem Interview mit der FAZ. Ist das so? Es ist fraglich, ob dieses Projekt gelingen kann bei einem hochästhetischen, rundum stilisierten Text, der trotz oder gerade wegen seiner Eloquenz nicht in die Wunden der menschlichen Selbstwahrnehmung greift, nicht die Lesenden dazu anspornt, sich selbst von ihrer sterilen, lackierten Menschhaftigkeit zu lösen, sondern als sprachliches Werk weiterhin spricht wie ein Mensch und als ein solch menschlicher Text auch zurückbleibt. Nicht ein einziges Mal kommt die Forderung, die eigenen Handlungsmuster als tierliche zu denken. Und nie fragt Präauer die Lesenden danach, einmal in den Spiegel zu blicken und sich mutig als Tier unter Tieren in die Augen zu schauen.

Dennoch: Als eine Poetik des Animalischen ist der Essay durchaus zu lesen, kreativ umgesetzt und spannend im reinsten Sinne des Wortes. Man kann das Buch nicht einfach zwischendurch weglegen: Der Bogen, den Präauer spannt, ist geschmeidig, fast schon zu angenehm. Die von der Autorin beschriebenen Bilder eröffnen sich lebhaft im Prozess des Lesens. All die Märchengestalten, die Kröten, Füchse und sprechenden Fabelwesen tauchen im Essay auf – doch nicht als solche, sondern als hyperreale Figurationen dessen, was wir von Mensch-Tier-Relationen noch längst nicht begriffen haben.

Titelbild

Teresa Präauer: Tier werden.
Wallstein Verlag, Göttingen 2018.
100 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783835333376

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