Ohne Moral von der Geschicht’

In seinem Kurzprosaband „Das Teemännchen“ erzählt Heinz Strunk das Leben aus der Hartz-IV-Perspektive

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine billige Floskel im Fußball fordert von einem Angreifer, dass er dahin gehe, „wo es weh tut“. Solche Angriffslustigkeit kennt im übertragenen Sinn auch der Autor Heinz Strunk. Aus Erfahrung im täglichen Leben weiß er – wie wir alle –, dass es Idioten zuhauf gibt auf der Welt. Man ist ihnen schutzlos ausgeliefert, weil sie das Gesetz des Handelns bestimmen. Jede Konfrontation mit ihnen müsste genauso idiotisch ausfallen. Wie damit umgehen? Strunk hat für sich einen Weg gefunden, um solche Erlebnisse abzureagieren und zu verarbeiten. Seine Erzählungen stecken voll von Zeitgenossen, die mal schön blöd, mal auch nur naiv oder auf den Hund gekommen sind.

Zur ersten Kategorie gehören gleich eingangs Marion und Michael, aka Mike, ein seit 24 Jahren eingespieltes Paar, wenn es darum geht, sich gegenseitig etwas zuleide zu tun. An einem 12. Mai geht Mike aufs Ganze. Während einer Fahrt nach Südtirol vermindert er auf der Autobahn sukzessive die Geschwindigkeit: auf 100, auf 85 Stundenkilometer. Er findet Gefallen daran, „die anderen Verkehrsteilnehmer zu nerven“, und obendrein ist es sein gutes Recht, so langsam zu fahren, wie er will. Marion regt sich gewaltig darüber auf, bis sie schließlich versucht, ihm ins Steuer zu greifen und das Auto vor einen Lastwagen zu lenken. Mike kann es geistesgegenwärtig verhindern – jetzt aber wird er erst recht langsam fahren, auf dass sie nie ankommen.

Mike ist der „Prototyp des unbelehrbaren, humorlosen, linken Spießers, Überbleibsel einer Post-68-irgendwas Generation“, die Strunk speziell aufs Korn nimmt. Von ihnen geistern etliche durch die 50 Erzählungen in Das Teemännchen, die manchmal weniger als eine Seite und selten mehr als sieben, acht Seiten umfassen. Schnörkellos direkt, manchmal auch schnoddrig und boshaft erzählt er Geschichten und Anekdoten aus dem Leben jener, die nicht mehr viel zu verlieren haben. Manchmal spielen sie anderen übel mit, manchmal widerfährt ihnen eine solche Behandlung. So hat der schlaffe, gänzlich unsportliche 60-Jährige auf seinen Laufrunden keine Chance, als ihn ein jüngerer durchtrainierter Läufer brutal aus dem Weg räumt, weil dieses „alte, morsche Schwein“ den Aktiven nur im Weg stehe.

In vielen dieser Texte geht es ungehemmt und unschön zu. Der Erzähler mag diese Typen Marke „Fit“ ebenso wenig wie die abgelöschten Althippies. Er zahlt es ihnen genauso kraftvoll heim wie jenen „schäbigen Existenzen, ohne Zukunft, ohne Perspektive“, wie es einmal heißt. Gewinner gibt es keine, Empathie oder Sympathie hat der Erzähler kaum zu verteilen. Daraus entstehen mitunter herrlich (tragi-)komische Erzählungen, beispielsweise über den „Weltstar“ Axl Rose, der nach einem Konzert abgehalftert in einer versifften Hamburger Kneipe landet, für ein paar Biere und vielleicht ein Groupie. Aber die Jungen von heute schert das einen Dreck. Nur eine Tresenfrau hat schließlich Mitleid und beendet das Trauerspiel mit dem abgestürzten ehemaligen Rockstar.

Auch Lutz P. ist ein Altlinker, einstiger RAF-Sympathisant, mit dem es das Leben nicht gut meinte. „Es hätte richtig was werden können aus ihm“, mit seiner sagenhaften Bildung und seinem Engagement damals „when we were kings“. Heute aber reicht es mit dem Honorar für ein paar Lektorate nirgends hin. „Sein Gesicht ist oft so leer, als wäre er selber nicht drin“; erst recht nach seinem Schlaganfall. Während sich der Autor hier den Spott verkneift, wird solcher über Eugen Block ausgeschüttet, obwohl dieser, ein gutmütiger Dorfdepp mit einem IQ von 48, solchen Spott nicht verdient.

In einer Erzählung wie dieser kippt das sarkastische Verfahren in eine hämische Haltung, die irritiert und irgendwie falsch klingt. In solchen Momenten hinterlässt der Band Das Teemännchen, der auch ein paar simpel gestrickte Anekdoten und Skizzen enthält, einen schalen, zwiespältigen Eindruck. So sehr und großartig nachvollziehbar sich der Erzähler über alle die tumben Idioten mokiert, so fremd und unwürdig mutet die Abneigung gegenüber Opfern wie Eugen Block an. Man wünschte sich in diesem Band das eine ohne dieses andere.

Titelbild

Heinz Strunk: Das Teemännchen.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018.
207 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783498064495

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