In Gedenken an Günther Anders

Dietmar Dath und Matthias Greffrath beschwören in „Das Menschen Mögliche“ die Aktualität des 1992 verstorbenen Philosophen

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es wäre falsch zu behaupten, der Philosoph Günther Anders sei heute in aller Munde und in allen Diskursen präsent. Sein Hauptwerk Die Antiquiertheit des Menschen (1956/1980) genießt eher wenig Resonanz in den Debatten über technische Umbrüche und ökologische Gefahren. Dabei wäre es höchste Zeit, die Aktualität seines Werks wieder einmal in Erinnerung zu rufen. Dietmar Dath und Mathias Greffrath tun es in zwei Reden aus Anlass der Verleihung des Günther-Anders-Preises 2018 an Dietmar Dath.

Die gedankliche Unerbittlichkeit, mit der Günther Anders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die technologische Moderne analysierte, ist seither etwas in Vergessenheit geraten. Dennoch zehren zahlreiche aktuelle Diskurse bewusst oder unbewusst von seiner zukunftsweisenden Gedankenarbeit. Insbesondere Andersʼ Überlegungen zu den Schnittstellen Mensch-Medien und Mensch-Maschine sind bedenkenswert in einer Zeit, die angesichts der Beschleunigung der Informationstechnologien und der Fortschritte in der Cyber- und der Gentechnik gleichermaßen euphorische Visionen wie apokalyptische Ängste erzeugen. Die Rede von der „prometheischen Scham“ des fragilen Menschen gegenüber der perfekten Maschinen – ein Zentralbegriff bei Anders – erhält neue Bedeutung mit Aussicht auf die prognostizierte „Singularität“, wonach in ein paar Jahrzehnten die Emanzipation der technischen Evolution von der menschlichen Kultur vollendet sein werde.

Günther Andersʼ Werk zeichnet aus, dass es in einem Gestus spricht, der tiefe Skepsis, philosophische Offenheit, moralischen Ernst und eine stets bewegliche literarische Form miteinander verbindet. Er hat Traktate, Romane, Tagebücher, Gedichte, Fabeln und Essays verfasst, in denen er um eine Form ringt, die streng und dringlich und zugleich verständlich ist. Um eine Sprache, die, wie es im Vorwort zu Das Menschen Mögliche heißt, „nicht allein sachkundig und gelehrsam über ihre Themen und Gegenstände Auskunft gibt, sondern diese gleichsam verkörpert und so ihre Wirksamkeit entfaltet“.

Exakt darin ist eine Gemeinsamkeit mit den Büchern von Dietmar Dath zu erkennen. Dieser kann wie Anders ein ausgesprochen vielgestaltiges Werk vorweisen, das Romane, Essays, Stücke, Songs und Gedichte umfasst. In seiner Preisrede spricht Dath die „prometheische“ Kluft an, um das Unaussprechliche in Augenschein zu nehmen, den „unutterable horror“, den er in zahlreichen Science-Fiction-Geschichten zitiert findet. „Je entschlossener man in die Unbegriffsgeschichte des Unaussprechlichen vordringt, desto deutlicher  zeigt sich, dass jenes Sprachversagen oft nur der sozial beobachtbare Erscheinungsaspekt eines Vorstellungsversagens ist“. Dagegen hilft auch keine Einhegung des Unaussprechlichen durch Zahlen und Algorithmen. Eher hilft – vielleicht – das Schreiben, denn in den Texten werde das Unendliche nicht kleiner, „aber der Mensch vielleicht eine Spur größer“. In diesem Punkt treffen sich Anders und Dath.

Bei allen Gemeinsamkeiten trennt sie jedoch auch eine Kluft: die der Epoche, in die sie hineingeboren worden sind. Dath führt gewissermaßen Andersʼ gespenstische Fantasien weiter, ohne aber ins Apokalyptische zu verfallen. Mathias Greffrath weist in seiner Laudatio darauf hin. Andersʼ noch immer beeindruckendes Hauptwerk Die Antiquiertheit des Menschen ist wie auch Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Dialektik der Aufklärung unter dem schrecklichen Eindruck von Faschismus, Holocaust und Hiroshima entstanden. Es wurde davon nachhaltig imprägniert. „Wir sind froh, dass wir die Zukunft nicht mehr erleben müssen“, beschied Anders dem Laudator Greffrath einmal im Gespräch.

Dietmar Dath dagegen lebt in der von Francis Fukuyama postulierten Endzeit der Geschichte, mit Ausblick auf planetarische und technische Zukunftswelten, die seine Fantasie nur anstacheln. Schreckliche Szenarien, die aktuelle Entwicklungen weiterdenken, geraten in Dialog mit einem Innewerden von Träumen und Potenzialen, die nur utopisch beschreibbar sind und denen Dath gerne das Adjektiv „sozialistisch“ beigibt. Seine Bücher erzählen davon in vielfältigsten Facetten. Mathias Greffrath zitiert zur Veranschaulichung einen Satz aus Daths Roman Die Abschaffung der Arten: „Ich möchte werden, was die Welt noch nicht gesehen hat. Ein freier Mensch.“ Diese Aussage ehrt den Ausgezeichneten, fährt Greffrath fort, weil Dath „so angstfrei böse, so arroganzfrei belehrend, so verzweiflungsfrei bedürftig schreiben kann“.

Die beiden Preisreden weisen so zart, doch inständig auf zwei Werke hin, deren Lektüre aller Differenzen zum Trotz jeweils Dringlichkeit verraten und lustvoll erhellend sein können. Der Ernst enthält im Denken Dietmar Daths als auch Günter Andersʼ stets ein hohes Quantum an verspieltem Witz und an Freude über die forsche Formulierung und das unerbittliche Urteil. Wer quere Einsichten gegen den Zivilisationsstrom verträgt, liest beide mit Gewinn – und wer, wie Mathias Greffrath mit Blick auf Dath festhält, in alle Richtungen beweglich bleibt, „weil alles eine Chance haben soll: das Gegenwärtige, die Zukunft und die Vergangenheit, horizontal und vertikal“.

Das Bändchen mit dem schönen Titel Das Menschen Mögliche verschwindet leicht unter den Bücherstapeln, aber es passt bestens in die Westentasche. Diskret weist es auf Größeres hin: Lesen Sie Anders, und lesen Sie Dath!

Titelbild

Dietmar Dath / Mathias Greffrath: Das Menschen Mögliche. Zur Aktualität von Günther Anders.
Picus Verlag, Wien 2018.
56 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783711730091

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch