Rätsel ungelöst
Tobias Lehmkuhl beschwört mit vielen offenen Fragen den Mythos „Nico“
Von Stefanie Roenneke
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIm Juni 1961 zierte das Gesicht einer jungen Frau das Cover des Kölner Magazins twen, das inhaltlich und ästhetisch die Zeitgeist-Magazine der Achtzigerjahre vorwegnahm. Es war Christa Päffgen, die damals bereits erfolgreich als Fotomodell arbeitete und auf zahlreichen Titelbildern zu sehen war. Ein paar Jahre später sollte Christa Päffgen erneut in twen erscheinen. Diesmal nicht als Model, sondern sie wurde mit dem Interview Nico – das Kölner Mädchen im US-Underground vorgestellt – denn im August 1969 war aus Christa Päffgen bereits jene berühmte Nico geworden, die langen blonden Haare waren dunkel gefärbt, das Gesicht reifer, schmaler.
Tobias Lehmkuhl macht sich in Nico. Biographie eines Rätsels auf die Spur, wie aus der Kölnerin das Model, die New Yorker Szene-Größe und Musikerin Nico wurde, die mit The Velvet Underground & Nico oder The Marble Index wichtige Alben der Popmusikgeschichte geliefert hat. Die Herausforderung dieses Unterfangens ist im Untertitel impliziert. Immer noch geht es darum, sich Nico als einem Rätsel anzunähern, weil sie sich in Filmen, auf Fotografien und mit zahlreichen Platten ein Denkmal gesetzt hat und ansonsten lediglich mit exzentrischen, nicht-eindeutigen Äußerungen öffentlich in Erscheinung getreten ist. Lehmkuhl schöpft daher hauptsächlich aus dem Index voller populärer Namen und Orten, der den Namen Nico umkreist, um daraus Informationen zum Zeitgeschehen samt Anekdoten aus dem popkulturellen Leben und ihrer Wegbegleiter*innen zusammenzuschnüren.
Er liefert damit einen rasanten und gut lesbaren Abriss basierend auf weitgehend bekannten Quellen, der an vielen Stellen Fragen offen lässt. „Doch wie war sie nun eigentlich nach Paris gekommen?“, fragt Lehmkuhl oder stellt an anderer Stelle fest: „Nico hatte nie zuvor Klavier gespielt, und es ist unklar, wie sie auf das Harmonium gekommen war“. Für ein Rätsel mag das zuträglich sein, für eine Biografie weniger, auch wenn das Gleiten über die schiere Oberfläche zu einer Pop-Ikone passen mag. Neben der steten Unklarheit darüber, wie und warum Nico so gehandelt hat und wie sie überall landen konnte, ermüden die ewigen Exkurse, die das Buch zwar füllen, doch deren Relevanz mit der regelmäßig wiederholten Phrase „doch zurück zu“ oder „aber schon wieder haben wir vorgegriffen“ infrage gestellt werden.
Bedauerlich ist zudem, dass kleinere Fehler vom Lektorat nicht identifiziert wurden. Ginsberg ist beispielsweise an einer Stelle eine entfernte Bekanntschaft, an anderer ein guter Freund. Der Modefotograf des „London chic“ heißt leider Derek Bailey und nicht David Bailey. Trotz dieser Kritikpunkte gibt Nico. Biographie eines Rätsels Einblick in eine Zeit, in der eine junge Frau den Trümmern entkommen konnte. Eine Zeit, in der Wurzeln nichts zählten, sondern nur die Präsenz zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Dass diese schönen und dramatischen Zufälle, schließlich progressive Alben für die Ewigkeit beförderten, wird in dem bewunderten Ton des Autors deutlich. Das Rätsel „Nico“ bleibt bestehen. Es sollte nie gelöst werden.
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