Leicht, nicht seicht

Ursula K. Le Guins Erdsee-Saga liegt in einer illustrierten Gesamtausgabe vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die im Januar verstorbene Autorin Ursula K. Le Guin war zweifellos eine der erfolgreichsten und beliebtesten VertreterInnen der Genre Science-Fiction und Fantasy. In letzterem ragt insbesondere ihr vielbändiger Erdsee-Mythos hervor, der sich seit dem Erscheinen des ersten Bandes vor rund einem halben Jahrhundert bei Heranwachsenden – und fast ebenso sehr bei Erwachsenen – großer Beliebtheit erfreut. Denn wie viele Werke des Genres changieren die Erdsee-Bände zwischen Jugend- und All-Ages-Literatur. So bieten sie eine leichte Lektüre, die aber durchaus ein wenig Tiefgang besitzt. Dies nicht zuletzt aufgrund von Le Guins Affinität zur fernöstlichen Philosophie des Daoismus, die immer wieder zwischen den Seiten hervorleuchtet, ohne je aufdringlich grell zu strahlen.

Im ersten Band der Reihe schickte Le Guin schon lange vor Joanne K. Rowlings einen Zauberschüler auf eine einschlägige Lehranstalt und in diverse Abenteuer. Bereits im zweiten steht allerdings eine Protagonistin im Zentrum des Geschehens. Auch sie eine Jugendliche. Im rund zwei Jahrzehnte später erschienen vierten Band bekommt sie wiederum einen großen Auftritt, doch ist sie nun zur erwachsenen Frau herangereift. Die fünf Romane handeln von den beiden ProtagonistInnen und den nicht weniger handlungstragenden Drachen, während die Kurzgeschichten die unterschiedlichen Mythen, Historien und Kulturen der zahlreichen Inseln des Erdsee-Archipels erkunden.

Der in etlichen Ländern fast unglaubliche Erfolg der Erdsee-Geschichten ging mit einer kaum zu überblickenden Publikationsgeschichte einzelner im Erdsee-Universum angesiedelter Bände und Kurzgeschichten einher. Darüber hinaus wurde der Mythos von Fernsehen und Hörfunk adaptiert. Hinzu kamen Hörbücher, ein – von Fans und Autorin allerdings wenig geliebter – Kinofilm, ein Animationsfilm sowie einige Comic-Bände.

Die Romane und Kurzgeschichten der Erdsee-Welt strichen zahlreiche renommierte Preise für phantastische Literatur ein. Unter ihnen der Boston Globe-Horn Book Award for Fiction, der Lewis Carroll Shelf Award, der World Fantasy Award und nicht zuletzt der Nebula Award. Außerdem wurde einer der Romane mit dem National Book Award for Children’s Books ausgezeichnet.

Nun liegen sämtliche Romane und Kurzgeschichten des Zyklus in einer schön illustrierten Gesamtausgabe vor, für die sie ausnahmslos neu übersetzt wurden. Zudem hat Le Guin eine Einleitung verfasst, die Einblicke in das Werden der Reihe bietet, aber auch nicht mit Kritik an früheren Editionen spart. Beschlossen wird die Gesamtausgabe mit dem Abdruck eines Vortrags, den die Autorin 1992 an der Oxford University über die „Kinder, Frauen, Männer und Drachen“ von Erdsee hielt.

Der prächtige Band ist wie gemacht für den weihnachtlichen Gabentisch und darum sicher nicht zufällig im Herbst erschienen. Nicht nur Erdsee-Fans dürften die Augen leuchten, wenn sie ihn unter den Präsenten entdecken. Allerdings wäre es angenehmer gewesen, wenn er in zwei oder mehr Bücher aufgeteilt worden wäre, die von einem schönen Schuber hätten zusammengehalten werden können – so liegen die 1.200 Seiten der leichten Lektüre selbst Erwachsenen etwas schwer in der Hand.

Titelbild

Ursula K. Le Guin: Erdsee. Die illustrierte Gesamtausgabe.
Illustriert von Charles Vess.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Karen Nölle, Sara Riffel und Hans-Ulrich Möhring.
FISCHER Tor, Berlin 2018.
1200 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-13: 9783596701605

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