Die Bücher und die Welt

Andreas Maiers Kolumnen aus der Wiener Zeitschrift „Volltext“ sind ein begleitender Kommentar zu seinen letzten Romanen

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Neben seinen Romanen – seit fast einem Jahrzehnt arbeitet er an dem Projekt Ortsumgehung, das einmal elf Bände umfassen soll, von denen bisher sechs vorliegen – schreibt Andreas Maier auch regelmäßig Beiträge für Tageszeitungen und Zeitschriften. Mit dem Bändchen Was wir waren hat der Suhrkamp Verlag nun zum zweiten Mal – bereits 2010 erschien mit Onkel J. eine Kolumnensammlung, mit der Maier von seinem fiktiven Werk überleitete zu den autobiografisch geprägten Bänden der Ortsumgehung – eine Sammlung von Texten herausgegeben, die das Licht der Welt zunächst in der seit 2002 viermal jährlich in Wien erscheinenden Literaturzeitschrift VOLLTEXT erblickten. In 21 Kolumnen – erstmals zwischen 2011 und 2018 unter dem Titel Neulich publiziert – setzt er sich darin mit sich und seiner Welt auseinander, berichtet von seinen Abenteuern als Schreibender, Lesender, Reisender und über seine Zeit Nachdenkender und macht dabei deutlich, dass einer Gegenwart ohne Vergangenheit die Tiefendimension abgeht.

Seine Suche nach der verlorenen Zeit – die einzelnen Bände der Ortsumgehung haben mehr mit Prousts Recherche zu tun als mit den Büchern des von der Kritik als Vorbild für Maiers Werk immer wieder reklamierten, im Original unter dem provokanten Titel Mein Kampf erschienenen mehrbändigen autobiografischen Projekts des Norwegers Karl Ove Knausgård – führt Andreas Maier immer wieder zurück an die Quellen seiner Existenz, die auch die Quellen seines Schreibens sind. Dabei beharrt er eigenwillig auf seiner Individualität, auch wenn die gelegentlich einsam macht. Allein: „der liebe Gott hat keine Kollektive geschaffen“, heißt es an einer Stelle ziemlich deutlich.

Jede der in Was wir waren versammelten Kolumnen hat ihren Ausgangspunkt in einem Erlebnis des Autors: Ein Hinabsteigen in die Archive des Suhrkamp Verlags, eine Erinnerung an den ihn „das Schreiben neu lernen“ lassenden Onkel J., der „ärmsten Sau in unserer Familie“, Leserbriefe, Begegnungen auf Reisen und bei Leseterminen, das (eigene) Altern, das Beenden eines Romans oder der Besuch einer der für Maier so überaus wichtigen hessischen „Apfelweinlokalitäten“ – alles kann bei diesem Autor zum Auslöser von das Ineinander von Gewesenem und Aktuellem unterstreichenden Geschichten, Reflexionen, Überlegungen und Reminiszenzen werden.

Wer die bisher vorliegenden sechs Romane des Projekts Ortsumgehung kennt, wird nicht nur deren Ton an vielen Stellen der Kolumnen wiedererkennen, sondern auch – weil Maier sowohl in den Kolumnen als auch in den Romanen die eigene Person zu dem Prisma macht, durch das die Welt auf die Seiten seiner Bücher gerät – vielen Orten und Personen begegnen, die ihm bereits vertraut sind. So stößt man auch hier wieder auf die Bindernagelsche Buchhandlung (samt der „Bindernagelschen Buchhändlerstochter“) in Friedberg sowie die in der gleichen Straße schräg gegenüber liegende Altdeutsche Bierstube „Zur Dunkel“, in der nach Lesungen bei Bindernagel die deutsche Literaturelite von Günter Grass bis Siegfried Lenz, von Hans Magnus Enzensberger bis Arnold Stadler, von Peter Härtling bis Martin Walser ihr Schnitzel verzehrte. Man begegnet Peter Kurzeck (1943–2013) – in dessen autobiografisch geprägten Romanen über die hessische Provinz man Maiers Schreibprojekt praktisch vorstrukturiert finden kann –, Thomas Bernhard – der nicht nur Thema in Andreas Maiers Promotionsschrift war, sondern auch den Grundton für dessen erste Romane stiftete – sowie Rex Gildo und Udo Jürgens, über den Maier nach dessen Tod ein eigenes Büchlein verfasst hat.

Und immer wieder Reflexionen über das Schreiben. Mal leicht verzweifelt: „Du schreibst ein Buch und tingelst es ab, dann schreibst du ein Buch und tingelst es ab. Und selbst wenn du es nicht abtingelst, tingelst du es ab, weil Nicht-Abtingeln auch Abtingeln bedeutet.“ Dann – im Rückblick auf die eigene Karriere – den Weg vom „Idealisten“ („Als ich zu schreiben anfing, schrieb ich zunächst nur von denen, die zu schreiben anfingen, aber bald wieder aufgaben.“) zum „richtigen“ Autor („Später war ich dann nur noch Schriftsteller. Das Schweigen war das Heiligste, das Scheitern. Das Zweitgrößte immerhin war: das Werk.“) nachzeichnend. Das Ganze aber nie ohne Ironie, freilich mit leicht bitterem Einschlag: „Heute bin ich alt und schaue auf mein Werk zurück. […] Ich gehe zu Zweitausendeins und sehe mein Werk teilverramscht. Da liegt es, je zwei Bücher im Doppelpack für 5 Euro 80. Früher hätte man dafür zusammen 37 Euro gezahlt.“

Seine Kolumnen, heißt es gleich im ersten Text von Was wir waren, seien vergleichbar einer „Räumungsaktion“, der Umsetzung all dessen, was sich in Maiers Innerem über die Jahre angesammelt habe, an einen anderen Ort mittels der Schrift. Ein schönes Bild – das sogar noch schöner wird, wenn man bedenkt, dass nicht nur der Autor, sondern auch die Leser profitieren bei dieser Rückholaktion von Leben zwischen zwei Buchdeckel. Denn es wäre doch schade, wenn eine Erkenntnis wie die folgende für immer verloren ginge: „Ein menschenwürdiges Leben beginnt sowieso erst ab sieben oder acht Schoppen. Und zwar für jeden, ob fremd oder nicht.“

Titelbild

Andreas Maier: Was wir waren. Kolumnen.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.
119 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783518469330

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