Salo(o)n-Kultur

Lucky Luke macht einen Abstecher nach Paris

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Fortsetzung einer erfolgreichen Buchreihe nach dem Tod ihres Schöpfers ist eine Herausforderung, um die der Comiczeichner Achdé – seit 2004 im Verbund mit wechselnden Szenaristen verantwortlich für neue Lucky-Luke-Abenteuer – sicher nicht zu beneiden ist. Zwar dürfte seine Aufgabe nicht mit den seit 2013 erscheinenden Asterix-und-Obelix-Fortsetzungen zu vergleichen sein, schließlich hatte Lucky Lukes Erfinder Morris bereits selbst früh mit wechselnden Textern zusammengearbeitet, unter denen Asterixʼ Erfinder René Goscinny bis heute als das Maß aller Dinge gilt – sein Witz und Ideenreichtum stellen auch die von Morris im Alleingang verantworteten frühen Bände mit Leichtigkeit in den Schatten. Zudem galt Morrisʼ Zeichenstil niemals als so filigran und facettenreich wie etwa der von Albert Uderzo, der in den Blütejahren der gallischen Widerstandschronik derart detailverliebt und verschwenderisch mit seinen Ideen umgeht, dass sich noch im Hintergrund kleine Minigeschichten und Gags finden lassen und sich sogar die Backpfeifengesichter noch der vierzigsten Römer-Patrouille unterscheiden. Da war Morrisʼ Repertoire stets deutlich überschaubarer: Seine Wildwest-Städte und Prärien ähneln sich ebenso wie seine Falschspieler und Revolverhelden, und auch wenn Lucky Luke sein Sauf- und Raufverhalten im Lauf der Jahre dem Zeitgeist anpassen musste, der ewig einsame Cowboy war auf eine Art und Weise beständig, die sich radikalen Zäsuren stets verweigert hat und auch neuen Autoren nur begrenzten Spielraum gestattet.

Da kommt die Ankündigung des neuesten Abenteuers – es ist das 78. Album, wohingegen man in der deutschen Zählung (die erst mit Heft 13 einsetzt und mittlerweile auch die seit 1995 erscheinenden Geschichten um „Lucky Kid“ integriert) bereits bei Nr. 97 angekommen ist – schon einer Erschütterung gleich, verlässt Lucky Luke, der sich in der Vergangenheit nur gelegentlich über die Nord- und Südgrenze gewagt hat, um sich in kanadische Schneestürme oder mexikanische Fiestas zu verlaufen, doch erstmals den amerikanischen Kontinent. Luke trifft im Indianergebiet auf den Bildhauer Auguste Bartholdi, der in Amerika für seine Freiheitsstatue auf Sponsorenjagd ist, und eskortiert schließlich dessen berühmtestes Werk von Paris nach New York – eine wunderbar ausgetüftelte Prämisse, die Achdé und seinem Texter Jul reichlich Gelegenheit liefert, sowohl Gags über das Aufeinanderprallen Europas mit dem Alten Westen als auch zahlreiche Anspielungen auf die französische Kultur einzustreuen. So wundert sich Lucky Luke angesichts eines Bidets, weshalb das Badezimmer im Luxushotel über eine Pferdetränke verfügt, und verdreht unterwegs sogar Emma Bovary den Kopf.

Auf Veränderungen am Konzept und den zentralen Running Gags der Serie verzichten die Autoren aus nachvollziehbaren Gründen – die Daltons enden im Knast, Averell Dalton hat stets Hunger, die Indianer sind aufs Skalpieren versessen und die Kugeln aus Lukes Pistole entwaffnen, aber sie verletzen nicht. Kleine Zugeständnisse an den Zeitgeist wie die bereits seit den 1980er Jahren aus den Alben verschwundenen Zigaretten werden mit liebevollen Seitenhieben kommentiert. Eine schärfere Form der Satire trifft Abraham Locker, den Schurken der Geschichte – einen bei Michel Foucault in die Lehre gegangenen Gefängnisdirektor, der als Verfechter von Überwachen und Strafen den Traum vom perfekten Gefängnis träumt und dafür Bartholdi den für die Freiheitsstatue auserkorenen Platz in der Bucht von New York streitig machen will. Dass dieser Choleriker, der sogar seinen Kanarienvogel mit einer schweren Eisenkette an der Flucht hindert, sogar von einer ,ausbruchssicheren‘ Mauer nach Mexiko fantasiert, mag etwas arg dick aufgetragen sein, aber die Gags zünden. Klaus Jöken, der auch für die Wortspiele bei Asterix immer wieder pfiffige Lösungen findet, verdient schon allein dafür ein Sonderlob, dass er diesen manischen Verfechter der Sicherungsverwahrung in seiner deutschen Übersetzung zum Verfasser der Autobiografie „Die Leiden des jungen Wärters“ macht.

Dass der Band im direkten Vergleich mit seinem vom selben Autoren-Duo ausgetüftelten Vorgänger Das gelobte Land (2016) ein wenig abfällt, ist eben dieser Fülle an Gags geschuldet. Gelang den Autoren im Gelobten Land nämlich das an die große Zeit Goscinnys erinnernde Gesellenstück, eine warmherzige und charakterbasierte, zugleich aber äußerst humorvolle kontinuierliche Geschichte zu erzählen, ist Ein Cowboy in Paris dramaturgisch eher Flickwerk. Aber das ist Gejammer auf hohem Niveau, denn die Qualität des Bandes liegt eben in ihrer imposanten Situationskomik – und wenn der treue Gaul Jolly Jumper in Paris ungläubig vor der Pferdemetzgerei stehen bleibt, dann fühlt man ganz aufrichtig mit ihm mit.

Titelbild

Achdé / Jul: Lucky Luke 97. Ein Cowboy in Paris.
Übersetzt aus dem Französischen von Klaus Jöken.
Egmont Comic Collection, Berlin 2018.
46 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783770440405

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