Bissige Bulldogge

Es liegt eine neue, problematische Ausgabe mit Karikaturen aus dem „Simplicissimus“ vor

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Karikaturen der satirischen Wochenzeitschrift Simplicissimus aus München sind ikonisch. Zu verdanken ist dies primär ihrer präzisen, bitterbösen wie ironischen Darstellung und Decouvrierung von Kaiser Wilhelm II. und der Epoche, der er seinen Namen aufgedrückt hat. Daher wird es wohl nicht wenigen so ergehen, dass sie beinahe zwangsläufig an die Arbeiten von Künstlern wie Thomas Theodor Heine, Eduard Thöny, Olaf Gulbransson, Wilhelm Schulz, Erich Schilling und Karl Arnold denken, wenn sie sich mit dem reise-, aber nicht arbeitswütigen Herrscher und der „kasernierten“ und kostümierungsfreudigen deutschen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts befassen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen ausgewählte Karikaturen aus dem Simplicissimus, dessen Wappentier übrigens eine von Heine gezeichnete rote Bulldogge ist, mehrfach neu in Ausstellungskatalogen und Auswahlbänden. 2018 ist eine weitere Ausgabe bei LangenMüller erschienen; herausgegeben von Reinhard Klimmt, dem früheren Ministerpräsidenten des Saarlandes, und von Hans Zimmermann, einem ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter an der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar. In ihrem Vorwort betonen die Herausgeber, dass die vorliegende Auswahl von Karikaturen dem Verleger Albert Langen Ehre machen soll, der 1896 den Simplicissimus gegründet und bis zu seinem Tod 1909 finanziert und begleitet hat. Damit solle sich auch die Prophezeiung eines Freundes von Langen erfüllen, dass sein Name heute noch Bestand und Glanz habe – „das ist mehr, als es vielen der von ihm verlegten Autoren beschieden war“.

Das Simplicissimus-Buch zeigt Arbeiten, die den Herausgebern „historisch repräsentativ“ erscheinen – Karikaturen, die den selbstherrlichen, sich in alles einmischenden Kaiser selbst und seine Untertanen zeigen: Offiziere mit Monokel und abgehackter Sprechweise, korporierte, nach Bier dürstende Studenten, Adelige und Bourgeois, die Parlamentarismus und Arbeiterschaft verachten, Frauen, die sich emanzipieren, Selbstständigkeit gewinnen und auf Widerstand stoßen, sowie jüdische Bürger, die Antisemitismus in den oberen Schichten oder beim Militär begegnen.

Ein zweiter, kürzerer Abschnitt befasst sich mit den nationalistisch gefärbten Arbeiten im Blatt. Diese Positionierung wird hervorgerufen durch den Ersten Weltkrieg, die deutsche Niederlage, die Besetzung des Rheinlandes durch Alliierte und die Inflation 1923. Den ebenfalls kurzen dritten Abschnitt durchziehen fast ausschließlich Karikaturen, die eine Republik ohne Republikaner offenbaren, eine auf dem rechten Auge blinde Justiz und einen dümmlich erscheinenden, aber ehrgeizigen Adolf Hitler, der seit seinem Putschversuch als Brandstifter und Demagoge dargestellt wird.

Jedes Kapitel, „Typen und Charaktere“, „Der Kaiser“, „Das Kaiserreich“, „Der ,Große Kriegʻ und seine Folgen“ und „Die Weimarer Republik“, leiten die Herausgeber mit einem kurzen Überblick über die jeweiligen zeitgeschichtlichen Besonderheiten ein. Jede Karikatur, stets mit Bildtitel und Bildunterschrift abgedruckt, wird zusätzlich kommentiert, um den Kontext für die Leserschaft besser nachvollziehbar zu machen. Dieses Vorgehen ist in den Fällen hilfreich, in denen es um Anspielungen auf Ereignisse oder Personen der damaligen Zeit geht, die heute nicht mehr jedem bekannt sind. Andererseits birgt das Kommentieren die Gefahr, belehrend zu wirken. Stets liegt bereits eine Interpretation vor, die eigene Gedanken und eigenes Entdecken vorwegnimmt.

Das Hauptproblem an der Ausgabe, die Klimmt und Zimmermann vorgelegt haben, ist jedoch die Tatsache, dass mit dem Titel Simplicissimus. 1896–1933. Die satirische Wochenzeitschrift auf den ersten Blick der Eindruck entsteht, als hätte das Blatt im Jahr der Machtübernahme durch Hitler sein Erscheinen eingestellt. Erst im Epilog erfährt man, dass sie 1933 gleichgeschaltet wird und 1944 nur aufgrund von Papiermangel eingegangen ist. „Aus dem Simplicissimus wird ein Blatt, das man im Vergleich mit anderen Druckwerken unter der NS-Diktatur bestenfalls als unpolitisch bezeichnen könnte“, schreiben die Herausgeber. Es hätte der vorliegenden Ausgabe besser angestanden, wenn die Herausgeber ausgewählte Karikaturen aus dieser dunklen Epoche des Simplicissimus auch mit aufgenommen und sie – hier passend und sinnvoll – kommentiert hätten, um ihre These zu belegen.

Die Kritik am Auslassen und Nicht-Kommentieren der Karikaturen aus der Zeit nach der Gleichschaltung ist auch deshalb geboten, weil sämtliche Ausgaben des Simplicissimus im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts mehrerer wissenschaftlicher Institutionen ab 2010 digitalisiert wurden und frei zugänglich sind. Zimmermann, der Mitherausgeber des vorliegenden Bandes, ist an der Online-Edition übrigens beteiligt gewesen, wofür ihm Dank gebührt, weil die Website – hilfreich für Forscher und Interessierte – zusätzlich weiterführende Literatur auflistet und neben dem Simplicissimus auch sämtliche Ausgaben der Jugend und des Wahren Jacob anbietet.

Es scheint so, als ob die beiden Herausgeber die dunklen Jahre der bedeutendsten Satirezeitschrift in deutscher Sprache deshalb weglassen und sich mit ihnen nicht wie mit den Jahren bis 1933 auseinandersetzen, um ihr Ziel, Albert Langen zu ehren, ohne Abstriche erreichen zu können. Diese Ehrung erfolgt in Gestalt eines gebundenen, aufwändig gestalteten und knapp 300 Seiten langen Coffee-Table-Books. Was aus Sicht der Herausgeber und des Verlags nachvollziehbar ist, hinterlässt aber bei denen, die sich mehr als ein Buch zum Schmökern wünschen, einen faden Beigeschmack.

„Über den unersetzlichen Wert des Simplicissimus als unmittelbares Zeitdokument hinaus lehrt seine Geschichte“, so die beiden Herausgeber knapp im Epilog, „wie unsinnig es ist, Satiriker oder Karikaturisten für gleichsam auserwählte Moral- und Wahrheitswächter zu halten: das süße und lähmende Gift des Konformismus versucht auch sie. Und es entgeht der Dummheit seiner Epoche kaum jemand ganz.“ Umso bedauerlicher, dass die Leser nicht die Möglichkeit bekommen, sich ein eigenes Bild von den Karikaturen aus der NS-Zeit zu machen und sich – gerade in der heutigen, aufgeheizten Stimmung – so die Gefahren zu vergegenwärtigen, die der Kunst und überhaupt der Meinungsfreiheit drohen, wenn (rechts-)radikale Kräfte erstarken und die Macht übernehmen.

Titelbild

Reinhard Klimmt / Hans Zimmermann (Hg.): Simplicissimus 1896–1933. Die satirische Wochenzeitschrift.
Langen Müller Verlag, Stuttgart 2018.
288 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-13: 9783784434377

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