Bitter Sweet Symphony

„Cold War – Breitengrad der Liebe“ erzählt von einer zerstörerischen Liebe in den Zeiten des Kalten Kriegs

Von Dominik RoseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Rose

Vier Jahre nach seinem preisgekrönten Film Ida, in dem eine junge Novizin im Polen der frühen 1960er Jahre das Schicksal ihrer im Krieg ermordeten jüdischen Eltern aufdeckt, ist der polnische Regisseur Pawel Pawlikowski zurück mit einem weiteren schwermütigen, in stimmungsvollen Schwarzweiß-Bildern gedrehten und in den europäischen Nachkriegsjahren angesiedelten Drama: Cold War – Breitengrad der Liebe entwirft panoramaartig die komplizierte Liebesgeschichte eines ungleichen Paars, das sich über einen Zeitraum von 15 Jahren an wechselnden Schauplätzen dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs immer wieder verliert, aber doch nicht voneinander loskommen kann.

Am Anfang des Films stehen polnische Volkslieder, vorgetragen von zumeist älteren Frauen und Männern inmitten einer ärmlichen Umgebung voller Schlamm, umher staksenden Hühnern und bäuerlichen Behausungen. Das sentimentale Liebeslied eines jungen Mädchens über „zwei Herzen, vier Augen, die sich nie begegnen“, das später noch leitmotivisch in unterschiedlichen Interpretationen aufgegriffen wird,  gibt bereits die melancholische Grundstimmung des Films vor. Es ist das Jahr 1949, der charismatische, feingeistige Musiker Wiktor (Tomasz Kot) reist im Auftrag der Regierung mit einem Aufnahmeteam durchs Land, um Tonproben traditionellen polnischen Liedguts aufzuzeichnen. Als er  später gemeinsam mit seiner Kollegin Irena (Agata Kulesza) ein Tanzensemble zusammenstellen will, begegnet er der temperamentvollen Zula (Joanna Kulig), die sich beim Vorsingen bewirbt, und verliebt sich in sie. Was der Beginn einer klassischen Liebesgeschichte sein könnte, entpuppt sich bald als ein kompliziertes Geflecht aus Lügen und Geheimnissen. Denn Zula entspricht keineswegs dem Typus der unschuldigen Frau vom Lande, der für das Ensemble gesucht wird. Sie hat sogar – wie gemunkelt wird – einige Zeit im Gefängnis verbracht, bekommt jedoch auf Wiktors Drängen die Zusage, zumal sie mit ihren blonden Haaren und den markanten Gesichtszügen rein optisch den Vorgaben perfekt entspricht.

Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit, denn die vorbestrafte Zula verdankt ihre Anstellung im Ensemble Mazurek weniger der Fürsprache Wiktors, dessen Geliebte sie wird, sondern vielmehr dem Umstand, dass sie dem politischen Leiter der Truppe, dem strammen Kommunisten Kaczmarek (Borys Szyc), zu Diensten ist. Das Politische ist in Cold War nicht zu trennen von der Kunst oder vom Privaten. Die folkloristisch-kitschigen Vorführungen des Ensembles –  meisterhaft und mit viel Verve inszeniert – führen die Truppe schon bald nicht nur durch Polen, sondern aufgrund des großen Erfolgs auch durch die benachbarten Ostblockstaaten, wo es auf Drängen der Politik nicht mehr nur um die Vermittlung polnischer Volkskunst geht, sondern um ideologische Propaganda, inklusive der Huldigung des „großen kommunistischen Führers“ Stalin, dessen Konterfei auf einem bombastischen Poster hinter den Tänzern in die Höhe gezogen wird – ein skurriler Moment, dessen falsches Pathos der Film in der folgenden Einstellung raffiniert bricht, in der wir einen alten Bühnenarbeiter mühsam die Kurbel für die Poster-Vorrichtung drehen sehen. Als die Gruppe in Ost-Berlin Station macht, fasst Wiktor den Entschluss, sich in den Westen abzusetzen – aber wird Zula mitkommen?

In teils betörend schönen Einstellungen gefilmt, die in ihrem Verzicht auf einen großen Gestus und der Fähigkeit, das Besondere im Alltäglichen zu entdecken, an die berühmten Nachkriegsfotografen wie etwa Paul Almásy oder Robert Doisneau denken lassen, durchweht Cold War eine Eleganz, die sicher nicht zufällig an die französische Nouvelle Vague erinnert – und das nicht nur deshalb, weil es Wiktor auf seiner Flucht in das Paris der 1950er Jahre verschlägt. Mit seiner elliptischen Erzählweise, die auf die gängigen dramatischen Zuspitzungen verzichtet, entwickelt der Film einen sprunghaften Rhythmus, der sehr gut zum improvisiert erscheinenden, fiebrigen Jazzstil der Pariser Bars passt.

Der Film folgt seinen Figuren dabei mit einem recht distanzierten Blick, eher beobachtend als teilnehmend, was dazu führt, dass der ganz große Liebeszauber ausbleibt. Es geht Pawlikowski eher um grundsätzliche Beobachtungen: Die Fragen nach fehlender Freiheit und Abhängigkeit, die für die beiden Künstler im Westen auf subtilere Art fortbesteht, und nach dem toxischen Einfluss der Politik auf das Leben seiner Figuren, die einen gemeinsamen Platz in der Welt suchen, aber doch fast überall verloren sind. Joanna Kulig glänzt in der Rolle einer starken Frau, die ihre Eigenständigkeit immer weiter aufgeben muss und daran schließlich zugrunde geht, während Tomasz Kots Wiktor die schwermütige Aura des existentialistischen Künstlers versprüht, der sich fast ausschließlich von Zigarettenrauch zu ernähren scheint. Die beiden bilden ein schillerndes, wie aus unserer modernen Zeit gefallenes Leinwandpaar. Mit Beklemmung realisiert man, wie sich der schmale Korridor an Handlungsmöglichkeiten, die den Liebenden verbleiben, im Fortgang der Handlung immer weiter verengt, ein Eindruck, der auf technischer Ebene durch die beinahe quadratischen Bilder des Akademiestils, in dem der Film gedreht ist, unterstrichen wird. Die Ruhe, die nach all den politischen Turbulenzen und privaten Katastrophen am Ende schließlich einkehrt, wirkt dann wie ein Kälteschock.

Cold War – Der Breitengrad der Liebe
Frankreich/Polen/Großbritannien 2018
Regie: Pawel Pawlikowski
Darsteller: Joanna Kulig, Tomasz Kot, Agata Kulesza, Borys Szyc, Jeanne Balibar, Cedric Kahn
88 Minuten

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