Was das Dorf zusammenhält

Zwischen Heimatidyll und Concrete Jungle

Von Jan NiederprümRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Niederprüm

Der Heimatfilm als Genre war vor allem in den 1950er und 1960er Jahren populär. Eine heile Welt vor einer idyllischen Naturkulisse wird entworfen; dabei liegt der Fokus auf traditionellen Werten wie Familienzusammenhalt und prüde Romantik.

Wenn man sich den Trailer zu dem 2017 erschienenen Film Gutland anschaut, dann erkennt man kaum Parallelen zu dieser Definition. Doch der Film des luxemburgischen Regisseurs Govinda van Maele hat mehr mit dem Heimatfilm gemeinsam als man denken mag. Bei Gutland handelt es sich das Spielfilmdebüt von van Maele. Daneben zeichnet sich der Regisseur vor allem durch die Arbeit an mehreren Dokumentarfilmen und zwei Folgen der luxemburgischen Sitcom Comeback aus. Hier erzählt er die Geschichte von Jens Fauser, gespielt von Frederick Lau, der nach einem Überfall auf eine Bank von Deutschland in das luxemburgische Dorf Schandelsmillen flieht. Die Rolle des Fauser scheint für Lau, der bereits bei anderen Produktionen ähnliche Charaktere verkörpert hat, wie maßgeschneidert.

Die Suche nach einem Unterschlupf aber verläuft zuerst wenig erfolgreich, bis Jens den Deutschen Arno Kleyer kennenlernt, der ihm eine Position als Erntehelfer beschafft. Durch die Arbeit kann sich Jens besser in die Dorfgemeinschaft eingliedern und wird so Teil des Dorflebens. Das Idyll ist jedoch trügerisch: Jens kommt auf die Spur eines Dorfbewohners, der vor Jahren verschwunden ist und zu dem die anderen Dörfler ein schwieriges Verhältnis hatten. Jener Georges konnte sich nie in die Gemeinschaft eingliedern, weil sein Verhalten von den anderen Bewohnern als bewusst destruktiv wahrgenommen wurde. Trotzdem wird deutlich, dass auch die Rolle des Außenseiters für die Gemeinschaft wichtig ist, und nun wird Jens klar, dass es an ihm ist, Georges Rolle zu übernehmen.

Wie Gutland diese seltsame Mischung zwischen moderner Gangstergeschichte und postmodernem Neo-Heimatfilm auflöst, das ist ungewöhnlich, aber unterhaltsam. Der Film bedient sich bewusst einer Ästhetik, die durch ihre düstere Farbgebung der Dorfidylle etwas latent Bedrohliches verleiht. Gutland berührt die klassischen Motive des Heimatsfilms sowie den Widerstreit zwischen Stadt und Land, die Hierarchie der Familie und das gesellschaftliche Verständnis von Sexualität. So geht es auch um die Gemeinschaft, deren Vor- und Nachteile Gutland angenehm unromantisch inszeniert. Denn der Film macht an der Figur des Georges überdeutlich: Aus dem Dorf gibt es kein Entkommen. Darin steckt aber auch die Erkenntnis, dass es einen Ort gibt, an den man immer zurückkehren kann. Gutlands Antiromantik jedoch sorgt dafür, dass diese Rückkehr nicht als märchenhafter Akt erscheint, sondern als die Einordung eines Individuums in gewaltgeladene und prädemokratische Machstrukturen. Die Gewalt wird in Gutlands düsteren Bildern greifbar und Teil des visuellen Erzählens. So bedient sich der Film nicht nur in seinen Bildern einer bestimmten Ästhetik, sondern auch in der visuellen Gestaltung seiner Figuren. Fausers Erscheinungsbild verändert sich während des Films drastisch: Während er bei seiner Ankunft mit ungepflegten langen Haaren, zotteligem Bart und riesiger, flacher Nase wie ein Wilder wirkt, passt sich sein Aussehen seiner zunehmenden Eingliederung in die Dorfgesellschaft an. So bedient sich van Maele eines geschickt gewählten Werkzeugs, um eine der wichtigsten Fragen des Films zu stellen: Ist die Stadt gleichbedeutend mit Zivilisation, während das Dorf für die unberührte Natur steht? Fauser allerdings sieht nach seiner Flucht aus dem Großstadtdschungel Köln allemal wilder aus als die Bewohner von Schandelsmillen. Diese Art des visuellen Erzählens zieht sich auf verschiedenen Ebenen durch den gesamten Film. So ziert die Wand von Georges‘ verlassenem Schlafzimmer der Papp-Ausschnitt eines Gangsters mit Maschinenpistole, womit seine Ablehnung des Dorfes, aber auch ein Verlangen nach dem Weltmännisch-Städtischen, das mit der Beschreibung organisierten Verbrechens verknüpft sein kann, impliziert wird.

Diese dörfliche Gemeinschaft stellt der Film auf seine ganz eigene Weise dar, die eine teilweise beklemmende Version der klassischen Dorfidylle des Heimatfilms schafft. Lohnt es sich, Gutland zu sehen? Am Ende stellt sich die Antwort auf diese Frage genau so dar wie die Antwort auf die Frage „Stadt oder Land“? Die einen mögen das eine, die anderen das andere; dass man jedoch bei dem Besuch des Films von beidem etwas für sich gewinnen kann, steht außer Frage.

Gutland
Luxemburg, Belgien, Deutschland 2018
Regie Govinda Van Maele
Spieldauer 107 Minuten
Darsteller*innen: Vicky Krieps, Frederick Lau, Pit Bukowski, Gerdy Zint, u.a.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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