Von Herren und Hunden

Ein umfangreicher Sammelband enthält viel Lesenswertes über die deutschen Dominikaner und Dominikanerinnen im Mittelalter

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer waren die Angehörigen dieses Ordens, der das europäische Mittelalter in vielerlei Hinsicht prägte? Waren sie tatsächlich die berüchtigten „Hunde Gottes“? Diese einleitende Frage mag mir um so leichter verziehen sein, als sie nicht meine eigene Schöpfung ist. Dass der Orden der Dominikaner nicht immer und unbedingt beliebt war, lässt sich aus der oben zitierten und durchaus immer wieder angewandten (bewussten) Fehlinterpretation des Ordensnamens erkennen: Die Brüder der nach dem Ordensgründer Dominikus benannten Mönchsgemeinschaft wurden „Domini Canes“, die „Hunde Gottes“, genannt. Das war nicht zuletzt der Beteiligung des streng papsttreuen Ordens an der Inquisition geschuldet. Umberto Eco verarbeitete das Thema in seinem 1980 erschienen Roman „Der Name der Rose“.

Die vorliegende Publikation hält sich fern von aller Polemik. In dem umfangreichen Band wird die Geschichte der Dominikanerinnen und Dominikaner durch die acht Jahrhunderte seit ihrer päpstlichen Bestätigung im Jahre 1216 dargelegt. Dieses Jubiläumsdatum, das in den einleitenden Worten des Provinzials der Ordensprovinz Teutonia das Ende einer Novene markiert (die Dominikanerinnen begingen bereits 2007 ihr Achthundertjahr-Jubiläum) war Anlass für eine interdisziplinär angelegte Tagung. 22 Beiträge werden hier in verschriftlichter Form zugänglich gemacht.

Das „Ordensjubiläum“ gab den Anstoß, sich mit der mittelalterlichen Geschichte und Wirkung des Jubilars, hier also des Dominikanerordens, zu befassen. Dieses Projekt wird in Vorwort und Einleitung der Herausgeberin und der beiden Herausgeber knapp, aber aufschlussreich dargestellt.

Um die Fülle an Beiträgen einer auch auf den ersten Blick erkennbaren Ordnung zu unterwerfen, wurde die Publikation in vier Großabschnitte untergliedert, die jeweils einzelne Aspekte des Großthemas behandeln. Im Einzelnen werden die Bereiche „Tradition und Innovation“, „Wissen ist Macht“, „Hören und Sehen“ sowie „Das Eigene und das Fremde“ in den Fokus gestellt und als bündelndes Prisma zur Annäherung an das Phänomen „Dominikaner/innen“ in historischer wie geistes- und kulturgeschichtlicher Hinsicht benutzt. Auch wenn die so vorgegebenen Grenzlinien nicht immer in aller Schärfe eingehalten werden, vereinfacht das vorgelegte Schema den Zugang doch erheblich. Wie bereits erwähnt, wurden verschiedene Aspekte untersucht, die als Mosaiksteine gewissermaßen zu einem aktuellen Bild der Ordensgeschichte führen.

Mitherausgeberin Sabine von Heusinger macht den Anfang der thematischen Beiträge. Unter dem beredten Titel „Ketzerverfolgung, Predigt und Seelsorge. Die Dominikaner in der Stadt“ werden die Mechanismen der Ausbreitung des zu Beginn des 13. Jahrhunderts gegründeten Ordens nicht nur dargestellt, sondern in ihrem historisch-mentalitätsgeschichtlichen Kontext aufgezeigt. Von Heusinger stellt den starken Bezug des Ordens auf die mittelalterliche Urbanität heraus. Hier kam es aufgrund seiner strengen katholischen Glaubensorthodoxie zu Spannungen mit den städtischen Bettelorden und den häretischen Bewegungen in den hoch- und frühspätmittelalerlichen Städten.

Der sich anschließende Beitrag Sigrid Hirbodians zur Geschichte der Dominikanerinnen folgt dem gehaltenen Vortrag, was zunächst ungewöhnlich, gleichwohl durchaus erfrischend zu lesen ist.

In einen spätmittelalterlich-urbanen Kontext verweist dann wieder Andreas Rüther, der unter dem alliterierenden Titel „Mönche der Märkte und Messen“ die Verschränkung säkularer und theologisch-kirchlicher Lebenswirklichkeiten in den Städten des ausgehenden Mittelalters zum Thema macht.

Interessant zu lesen sind die bislang angesprochenen Beiträge allemal, wenngleich sie sich weitgehend auf bekannterem Boden bewegen. Wirklich aus diesem Rahmen fallend ist der Beitrag von Nedim Rabic über Johannes von Wildeshausen als Bischof von Bosnien, in dem nicht nur das Schicksal dieses deutschstämmigen Dominikaners in leitender Kirchenfunktion beschrieben wird, sondern auch die Tatsache, dass es in diesem mittlerweile nahezu flächendeckend muslimisch geprägten Territorium noch im 13. Jahrhundert nicht nur eine lebendige Christianitas, sondern damit verbunden auch einen christlichen Herrscher gegeben hat. Rabic öffnet hier ein Fenster in eine andere Zeit, die einerseits nah, andererseits doch wieder sehr fern erscheint und die überdies die Wechselhaftigkeit von historischen Entwicklungen punktuell beleuchtet. Während Matthias Standke mit seiner Untersuchung zu textuellen Diskurspraktiken in den Ordensgründerlegenden des Dominikus quasi an den Ordens-Anfang zurückweist, nimmt Guus Bary mit seinem Beitrag über die Gründung der Ordensprovinz ‚Germania inferior‘ im Jahre 1515, also fast unmittelbar vor Martin Luthers Thesenanschlag, eine Entwicklung in den Blick, die zwar nicht am Ende des Ordens, wohl aber am Ende des Mittelalters stattfand. Bereits hier wird die Spannbreite des Themas deutlich, und dies setzt sich auch im Kontext der weiteren Abschnitte fort.

Dem Aspekt ‚Wissen ist Macht‘ ist, wie bereits erwähnt, ein eigenes Kapitel gewidmet, das sowohl auf der Metaebene (Paul D. Hellmeier, „Die Stellung des Studiums im frühen Predigerorden vor dem Hintergrund seiner Gründung aus der Chorherrentradition“ oder Maxime Mauriège, „Die dominikanische Prägung des ‚Lehrsystems‘ der deutschen Mystik“) als auch im Detail Wesentliches zu der Bedeutung von Kultur- und Bildungstradition des Dominikanerordens beiträgt. Susana Bullido del Barrio etwa beschäftigt sich unter dem Titel „Sensus litteralis ad Psalmos et Prophetas“ mit den Anweisungen der ältesten Konstitutionen der Dominikaner in den Schriften des Hugo von St. Cher, Albertus Magnus und Thomas von Aquin, während Julia Burkhardt mit den „Predigerbrüdern im Bienenstock des Herrn“ dominikanischen Identitäten im „Bienenbuch“ des Thomas von Cantimpré nachspürt. Gerade in letzterem Aufsatz werden Ansätze erkennbar, die – bei aller gebotenen Vorsicht – durchaus in den Kontext der gegenwärtigen Verhaltensforschung passen könnten, in der die grundsätzliche Vergleichbarkeit tierischen und menschlichen Verhaltens oder doch entsprechende phänomenologische Gleichklänge zumindest nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden.

In einen konkreten und geistes- beziehungsweise kirchengeschichtlichen Zusammenhang verweist Fiorella Retucci, die anhand des ‚Falls Heinrich Seuse‘ die deutsche Dominikanerschule und Meister Eckharts Verurteilung in den Blick nimmt. Dabei eröffnet sie eine Sichtachse auf innerdominikanische Diskussionen hinsichtlich häretischer Lehren und die damit einher gehenden Darlegungs- und Diskussionsstrategien.

Der dritte Teil mit dem einerseits angemessenen, andererseits womöglich zu kurz greifende Assoziationen weckenden Titel „Hören und Sehen“, ist der inneren wie äußeren Darstellung des Ordens, das heißt sowohl etwa Fragen der Architektur (Serafine Christine Kratzke, „Identitätsstiftung und Repräsentation bei den Lübecker Dominikanern. Neue Studien zum Burgkloster in der Hansestadt“), aber auch der Chorliteratur (Christina Andrä, „Ein Konvent im Spiegel seines Chorbuchs. Das Lektionar der Regensburger Dominikanerinnen“) gewidmet. Außerdem thematisiert dieser Teil Fragen der Sinnstiftung durch – tatsächliche oder imaginierte – Verwandtschaftsbeziehungen (Livia Cárdenas, „Genealogie und Charisma. Imaginationen dominikanischer Verwandtschaften im Spätmittelalter“) sowie einer spezifischen ‚Außenwirkung‘ im Allgemeinen (Vera Henkelmann, „Die Ausstattung von St. Johann in Dortmund. Multimediale Glaubensverkündigung und Marienverehrung der Dortmunder Dominikaner im Spätmittelalter“). Judith Venjakob stellt anhand der Darstellung eines illusionistischen Hexenflugs auf dem Titel der Verschriftlichung von Geilers Predigt „Am mittwoch nach Reminiscere. Von den Unholden oder von den Hexen“ die Diskussion um die wahrnehmbare Phänomenik dieser ‚Unholde und Hexen‘, damit aber auch die grundsätzliche Frage nach der Vorstellung dieser außerhalb der kirchlichen Heilswirkung stehenden Wesen in den Fokus.

Unter der Überschrift „Das Eigene und das Fremde“ werden manche der bereits angesprochenen Themenbereich unter anderem Blickwinkel oder anhand anderer Beispiele noch einmal in den Blick genommen.

Walter Senner OP, der ebenfalls ein Herausgeber des Buches ist, liefert gleich zwei Beiträge zur problematischen Situation in der dominikanischen Teutonia, die sich mit ‚Säuberungsaktionen‘ in dieser Ordensprovinz im Jahre 1330 und den entsprechenden Dokumenten Papst Johannes‘ XXII. Befassen. Auf diese Konfliktsituation hebt auch Ursula Overhage („Konflikt und Konsens. Der Streit um das Dortmunder Dominikanerkloster 1309-1330“) ab. Auch Stefanie Monika Neidhardt widmet sich anhand der Person der Magdalena Kremerin und ihres Umgangs mit der Mystik in Zeiten der Observanz einer Problemsituation wie auch den entsprechenden Lösungsstrategien; hier der Versuch einer Dominikanerinnengemeinschaft im Kloster Kirchheim unter Teck, sich gegen übergriffiges Gebaren des Landesherren zu wehren, dessen positiver Ausgang von einer der Schwestern im Kontext einer mystischen Traum-Schau vorausgesagt wurde. Vielleicht gerade weil es nicht primär um eine tiefergehende mystische Erfahrung zu gehen scheint, ist die Dokumentation dieses Traumereignisses interessant für die Frage nach einer ‚praktischen Anwendung‘ solcher ansonsten im Kern eher weltfernen Glaubenspraxis.

In den Kontext einer Anwendung verweist auch der Beitrag „Paulus, Maria, Johannes, Maria Magdalena und Katharina von Alexandrien. Vorbilder für Kontemplation und Apostolat“ des Mitherausgebers Klaus-Bernward Springer. Hier, so weist Springer nach, ging es um die Konkretisierung des abstrakten Ordensmottos, das durch die didaktisch geschickte und anschauliche Einbeziehung der sehr verschiedenen Schutzheiligen erweitert wurde und so zur Selbstidentifikation aber auch zur Akzeptanz des Ordens der Dominikaner beizutragen vermochte.

Peter Segl beendet den Band mit dem Beitrag „Deutsche Dominikaner im Kampf gegen Dämonen, Ketzer und Hexen“ und geht damit auf der Metaebene der von Venjakob exemplarisch angeschnittenen Frage religiöser Abweichung nach.

Das vorliegende Buch ist textlich im wahrsten Sinne gewichtig, allerdings geht es über eine bloße Sammlung von Aufsätzen hinaus. Ein umfangreicher Anhang etwa, der neben ausgewiesener Fachliteratur dankenswerter Weise auch ein angemessenes Register umfasst, runden den positiven Eindruck ab. Vor allem aber die ansprechende Auswahl von farbig gestalteten Abbildungstafeln, die dem Textteil folgen, macht das Buch auch zu einem optischen Leckerbissen und regt damit – wohl durchaus auch im Sinne des Ordensgründers – weitere (cerebrale) Bereiche als nur die der ‚reinen Lektüre‘ an.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Geschichte des Dominikaner-Ordens – und sei es auch ‚nur‘ für die Zeit des Mittelalters – nicht in einem einzigen Band zusammengefasst werden kann. Gleichwohl ist es den Herausgebern und dem Kreis der Beitragenden in ansprechender Weise gelungen, nicht nur einzelne Wegmarken, sondern die dorthin führenden Linien deutlich werden zu lassen, so dass vorliegende Publikation zur Grundlage für die weitere Beschäftigung mit dem Thema dienen kann und damit mehr als nur einen bloßen ‚Einstieg‘, so wichtig ein solcher auch ist, zu liefern vermag. Somit mag das Buch zumindest der wohlwollenden Überlegung einer Anschaffung empfohlen sein.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Sabine von Heusinger / Elias H. Füllenbach / Walter Senner / Klaus-Bernward Springer (Hg.): Die deutschen Dominikaner und Dominikanerinnen im Mittelalter.
De Gruyter, Berlin 2016.
605 Seiten, 99,95 EUR.
ISBN-13: 9783110468670

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