Viel Farben Blau

Lafcadio Hearn macht 1887 eine Schiffsreise durch die Karibik und berichtet schwelgerisch davon

Von Kai SammetRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Sammet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Und schon geht’s weiter! In Zeiten von Städtekurztrips und Power-Erholung in Yoga-Wochenendseminaren an der Ostsee erstaunt es, dass der immer noch neu zu entdeckende Kosmopolit Lafcadio Hearn, dessen Lebensweg 1850 auf einer griechischen Insel begann und 1904 in Japan endete, eine zweimonatige Seereise als hastig bezeichnet. Im Juli 1887 stach das Dampfschiff Barracuda von New York aus in See Richtung Karibik, mit an Bord Hearn, dessen Reisebericht 1888 erschien. Zu Beginn entschuldigt sich Hearn, dass er – siehe Hastigkeit – nichts „Ernsteres zu Papier“ habe bringen können außer persönliche Eindrücken.

Tatsächlich fällt eine gewisse kurzatmige Monotonie auf angesichts immer gleicher Ansichten, so dass man beim Lesen oft nicht weiß, welche Insel grade vorüberzieht. Doch ist Hearn genau genug, Unterschiede dort herauszuarbeiten, wo sie zu sehen sind.

Besonders sind es Farben, Formen und Haptik („Selbst nach Einbruch der Dunkelheit ist der Wind so warm wie Menschenhaut“), die Hearn schwelgerisch-präzis beschreibt. Immer wieder sind es die verschiedenen Blaus, die frappieren: Morgens legt das Schiff ab, das morgendliche Grau verschwindet „allmählich, und ein schönes, blasses nebliges Blau – ein beseeltes nordisches Blau färbt Wasser und Himmel“. Dies nur ein Beispiel für die Versuche Hearns, die verschiedenen Blautöne semantisch in den Griff zu bekommen.

Zuerst wird St. Cruz angesteuert, genauer Frederiksted, eine ehemalige dänische Kolonie. Der Blick fällt auf baufällige Häuser, Menschen, deren Kleidung. Weiter geht es nach St. Kitts. Nevis und Montserrat werden links liegen gelassen, in Dominica holt man nur kurz Post ab. Erst in Martinique bleibt man länger: „Wir sind in St. Pierre, der malerischsten, eigentümlichsten und obendrein schönsten unter den westindischen Städten.“ Hearn bewundert die steilen Straßen, die öffentlichen Springbrunnen, aus denen kühles Bergwasser sprudelt. Und wieder badet er in Farben, so wenn er den Markt besucht: „Womöglich noch rätselhafter ist die erstaunliche Vielfalt an grünen, gelben und vielfarbigen Gemüsesorten.“ Nach diesen vielen Farben und Eindrücken, nach „Explosionen“ von „Blau“, fährt das Schiff weiter nach Barbados, das Hearn allzu geschäftig findet; zu deutlich fällt britischer Commerce auf. Weiter geht die Reise aufs südamerikanische Festland, nach Britisch-Guyana, zum Orinoko. Dann geht es „heimwärts“ über Grenada, St. Lucia und St. Vincent – das Ende eines 3000 Meilen fressenden Kurztrips.

Zwei Aspekte seien noch angesprochen. Erstens: Ist Hearn Rassist? Nun, man findet Stereotype. So werden die verschiedenen Hauttöne der Bewohner oft mit Pflanzen verglichen. Zum Beispiel erscheint Hearn eine Hautfarbe gelb und zwar von einem Gelb „reif wie eine gelbe Banane“. Werden hier Menschen naturalisiert, gar biologisiert, mithin auf ihre ‚Rasse‘ reduziert? Zumindest geht Hearn von unterscheidbaren Rassen aus. So betont er die Schönheit der Bewohner Martiniques, doch kommt diese offensichtlich durch ‚Rassenmischung‘ zustande. Man befinde sich „unter einem Volk von Mischlingen – dem schönsten Mischlingsvolk der Westindischen Inseln“. Ist das rassistisch? Jedenfalls sind Hearns Wahrnehmungen sozialdarwinistisch angehaucht. Zusammenfassend schreibt er, die Weißen würden von den karibischen Inseln verschwinden, sie müssten „im ethnischen Kampf bestehen und werden jährlich weniger“. Doch zugleich hat Hearn einen unvoreingenommenen Blick für die Geschichte und deren Erblasten. Mit dem Verschwinden der Weißen sei das „ethnische Problem nicht vom Tisch. Zwischen Schwarzen und Mischlingen herrscht ein Hass, dauerhafter und größer als jedes rassistische Vorurteil zwischen den Weißen und den befreiten Sklaven der Vergangenheit“. Und weiter: „Die zukünftige Tendenz führt zwangsläufig zu universeller Schwärze […] – vielleicht zu universeller Barbarei. Überall haben die Sünden der Vergangenheit dieselben Früchte hervorgebracht […] – eine Drachenernte aus Problemen, die bislang kein Ansatz moderner politischer Wissenschaft zu lösen vermochte. Kann man überhaupt hoffen, dass zukünftige Soziologen Lösungen finden werden, nachdem die Natur – die nie vergebende – die stärkste denkbare Wiedergutmachung für all die Verbrechen und Torheiten von dreihundert Jahren eingefordert hat?“

Zweitens: Nicht jedes Buch ist schön gemacht. Dies hier schon. Nicht jedes Nachwort ist schön und instruktiv – dies hier schon. Was auffällt, wenn man Hearns Inseln über dem Winde in die Hand nimmt, das sind Haptik und Optik. Es ist angenehm handlich, der Schutzumschlag zeigt eine in angenehmes Grau gehobene Fotografie von 1894: eine Straße auf Martinique. Die Lettern auf dem Umschlag schillern in Regenbogenfarben – zarter Verweis auf die Bedeutung von Farben in Hearns Text. Schlägt man das Buch auf, blickt einem eine Land- und Seekarte entgegen, auf die man gern zurückkommt, will man diese Sommerreise mitvollziehen. Übersetzt ist das Ganze und mit genau dosierten Anmerkungen sowie einem hilfreichen, wiederum zurückhaltend-reichhaltigen Nachwort versehen von Alexander Pechmann, der hier nicht genug zu loben ist.

Titelbild

Lafcadio Hearn: Die Inseln über dem Winde. Eine Sommerreise.
Aus dem Englischen übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2018.
137 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783990272183

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