Die Revolution als „glühender Kern“ von Hegels Denken.

Rebecca Comay geht in „Die Geburt der Trauer“ der Aufarbeitung französischer Zeitgeschichte im Deutschen Idealismus nach

Von Linda MaedingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Linda Maeding

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Nachhall, den die Französische Revolution unter deutschen Intellektuellen auslöste, war bekanntlich immens: Es galt, die mit den französischen Ereignissen verbundene Zäsur ins Denken zu integrieren. Dieser Rezeption, die tatsächlich auch als Denk-Aufgabe zu verstehen ist, geht Rebecca Comay in ihrer Monographie „Die Geburt der Trauer. Hegel und die Französische Revolution“ nun auf äußerst originelle Weise nach: Sie liest Hegel sozusagen gegen den Strich, sodass ein Denker sichtbar wird, der es sich mit der Revolution alles andere als einfach machte.

Comay zeichnet in einem fulminanten ersten Kapitel das Deutungsmuster nach, das den Blick der deutschen zeitgenössischen Philosophie auf die revolutionären Begebenheiten im Nachbarland prägt und in dem die deutsche Reformation als Gegenfigur zur Französischen Revolution eine entscheidende Rolle spielt. Einer gängigen Argumentation zufolge nahmen Luther und die Reformation die Revolution nicht nur auf anderer Ebene vorweg, sie machten eine politische Revolution auch unnötig und übertrumpften sie gar. Deutschland habe damit eine Revolution im Denken vollzogen, die sich das Scheitern revolutionären Handelns, den Terror und die Gewalt, ersparen konnte.

Comay zeigt anhand ihrer Relektüre Hegels, wie eine solche „Phantasie gleichzeitig genossen und dekonstruiert werden kann“. Die Formulierung deutet bereits die dialektischen Denkbewegungen an, die der deutsche Philosoph anwendet, um dem Zeitgeschehen beizukommen. In einer Doppelungsfigur ist auch Comays Studie, im essayistischen Stil verfasst, von solcher Dialektik geprägt. So auch ihr Ausgangspunkt: Die deutsche Philosophie um 1800 biete sowohl den ideologischen Ausdruck als auch die Theoretisierung der traumatischen Verzögerung gegenüber dem französischen Geschehen; sie ist Symptom und Legitimation zugleich.

Dass Deutschland dabei den Verlust von etwas betrauert, das es nie besessen hat, ist nicht nur paradox, sondern der Philosophin zufolge das Wesen der Melancholie. Sie liest die deutsche Moderne ausgehend von der frappanten Assymmetrie zwischen Frankreich und Deutschland als eine der verpassten Möglichkeiten – Marx sprach von der „deutschen Misère“. Comay arbeitet Trauer und Melancholie als zwei unterschiedliche Wege heraus, mit traumatischen Erfahrungen umzugehen. Voraussetzung ihres philosophischen, nicht historiographischen Interesses an der Revolution ist die Konzipierung von „Trauma“ als historischer Kategorie. Ins Auge fällt zugleich das an vielen Stellen psychoanalytische Vokabular, mit der Comay, Hegel folgend, Gewaltgeschichte zu denken versucht.

Die Erkenntnis, dass die Aufnahme der französischen Ereignisse traumatischen Strukturen folgt, impliziert auch einen spezifischen Modus historischer (und zeitlicher) Erfahrung.  „Die deutsche Begegnung mit der Französischen Revolution ist ein drastischer Fall des strukturellen Anachronismus, unter dem jegliche historische Erfahrung leidet“, schreibt Comay. Wir begegnen Geschichte nur vermittelt; und es ist die Revolution, die zu Beginn der Moderne „Unzeitigkeit“ als Bedingung geschichtlicher Erfahrung einführt – ein Begriff, der auf die zeitliche Verschiebung und Verstörung zwischen Ereignis und Erfahrung aufmerksam macht. Zugleich gehören diese Bewegungen intrinsisch zum Trauma-Begriff.  

Die Relevanz dieser laut Comay historischen Kategorie ist gebunden an ein Phänomen, das die Autorin ins Zentrum ihrer Untersuchung über die Aufnahme und Verarbeitung der Französischen Revolution in der deutschen Philosophie des Idealismus rückt: den Terror. Wenn Verlust und Leerstellen den deutschen Diskurs über das Zeitgeschehen prägen, dann ist dies auch traumatischer Ausdruck der Erfahrung des Terrors. Wie die ungefesselte Gewalt, die von der Revolution ausgelöst wurde, zu deuten ist – ob sie integraler Teil der Revolution war (so bei Hegel) oder aber zu beklagende Kontingenz –, dieser noch immer nicht erschöpfend behandelten Frage geht Comay aus verschiedenen Blickwinkeln nach. Dazu zählt auch Kants Perspektivierung des Königsmords, wenn auch das Hegelsche Denken den Schwerpunkt der vorliegenden Studie bildet.

Ungeachtet des zweifellos vorhandenen breiteren akademischen Interesses an dem von Comay behandelten Thema, ungeachtet der kulturwissenschaftlichen Relevanz ihrer Konstellation aus französischer Revolution und deutscher Reaktion, aus Ereignis, Erfahrung und Reflexion, scheint sich das Buch im Fortgang seiner Argumentation zunehmend an ein philosophisches Publikum zu richten. Weshalb die Revolution „der glühende Kern“ von Hegels Denken blieb, ist eine überaus spannende Frage; um Comay in den letzten Kapiteln folgen zu können, ist eine vorige Lektüre von Hegels „Phänomenologie des Geistes“ aber sicher angebracht. Für nicht-philosophische Leser wird es hier zunehmend esoterisch, wenn auch dann auf den letzten Seiten, die dem Geist-Kapitel der „Phänomenologie“ gewidmet sind, wieder deutlich wird, dass dieser Hegel-Kommentar in Buchlänge den großen Denker zu aktualisieren und seine Relevanz bis in unsere melancholische, erinnerungsbesessene Gegenwart aufzuzeigen vermag.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Rebecca Comay: Die Geburt der Trauer. Hegel und die Französische Revolution.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Eva Ruda.
Konstanz University Press, Konstanz 2018.
316 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783835391093

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch