Einsilbig und vielsagend

Der prachtvolle Band „Die Flamme“ zelebriert Leonard Cohens literarisches Vermächtnis

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf seinem vielleicht bekanntesten Album, I’m Your Man, besang Leonard Cohen bereits 1988, wohin er sich zurückziehen würde, wenn die Freunde dereinst weg sind und das Haar allmählich ergraut: in den tower of song, den Liederturm also, und der bekannte kanadische Sänger sollte sich an dieses Versprechen halten. Wann immer er nicht gerade die Konzertarenen der Welt bereiste, um das von einer ehemaligen Managerin veruntreute Vermögen wieder einzuspielen, kehrte Cohen in seinen letzten Lebensjahren der Welt den Rücken, um mit viel Hingabe an seinen Gedichten und Texten zu feilen. Der überwiegende Teil dieser späten Arbeiten ist jetzt in einem von Robert Faggen und Alexandra Pleshoyano herausgegebenen, opulenten und mit zahlreichen Zeichnungen von Cohen versehenen Band in deutscher Übersetzung erschienen: Die Flamme heißt er und ist Leonard Cohens lyrisches Vermächtnis.

In seinem Vorwort schildert Cohens Sohn Adam, Die Flamme sei in Cohens letzten Lebensmonaten (er starb 2016) sein einziger Grund gewesen, „weiterzuatmen“; das Buch umfasst neben den letzten 63 Gedichten sämtliche Liedtexte der letzten drei Alben sowie der für Anjani Thomas verfassten Platte Blue Alert (2006), darüber hinaus lyrische Fragmente aus Cohens hinterlassenen Notizbüchern, einen knappen und ebenfalls in Versen gesetzten Mailverkehr zwischen Cohen und dem Anglisten Peter Scott, sowie als Epilog noch die ebenso berührende wie gewitzte Dankesrede, die Cohen 2011 in Spanien hielt, als ihm der Prinz-von-Asturien-Preis für sein literarisches Gesamtwerk verliehen wurde, und in der er seines dichterischen Vorbilds Federico García Lorca gedenkt.

Einige von Cohens letzten Gedichten greifen auf Jahrzehnte alte Vorarbeiten zurück und verraten seinen Perfektionismus, sein Ringen um den vollkommenen poetischen Ausdruck, wobei er meist der Verknappung und der Verdichtung den Vorzug gibt. So ist der Text The Mist eine um den Refrain bereinigte Version des Liedes True Love Leaves No Traces, das von Cohens Album Death of a Ladiesʼ Man (1977) stammt; ein späterer Liedtext, den Cohen erst Anjani Thomas in den Mund legte, um ihn dann auf seinem Album Old Ideas (2012) selbst zu singen, findet sich im Buch gleich zweimal abgedruckt, mit lediglich kleinen Unterschieden in der Verteilung der Pronomina.

All seine Lebensthemen hat Leonard Cohen hier noch einmal versammelt – die spirituelle Sinnsuche, die solitäre Existenz des Troubadours, die intellektuelle Prägung auf Mythos und alttestamentarischen Zorn, die bittersüße Begierde, der auch im Genuss der Erfüllung immer schon die bittere Saat des Aufgebenmüssens, Auseinanderdriftens und Loslassens innewohnt. Selbst in erotischen Momenten gerät dieser stilsichere große Liedermacher aber niemals auf die schiefe und schlüpfrige Bahn der Anzüglichkeit oder schwelgt in fragwürdigen Omnipotenz-Fantasien, vielmehr sind Selbstironie und Askese tonangebend. Von lakonischem Humor zeugt Cohens Auseinandersetzung mit seinem spirituellen Zen-Lehrmeister Roshi, der sich mit 105 Jahren plötzlich in einen Sexskandal verwickelt sah (Roshi said), und den Überbietungswettstreit der hypermaskulinen Alphatierchen im zeitgenössischen Popbetrieb kommentiert Cohen mit der souveränen Ironie des Titanen, der niemandem mehr etwas beweisen muss (Kanye West is not Picasso).

Diese in sich ruhende Beobachterposition und die Erkenntnisse, dass weniger mehr sein kann, hatte Cohen schon mit der ersten seiner zahlreichen altersweisen Platten, den Ten New Songs (2001) erreicht. Unter den neuen Gedichten ist die Hommage an Rosengarten in dieser Beziehung ein regelrecht programmatisches Gedicht: „ich liebe die blanken Wände / Das Einzige, was ich daran aufhänge / An einer meiner geliebten blanken Wände / Nicht geliebt / Sie muss nicht geliebt sein / Sie braucht kein Adjektiv / Die Wand ist gut so wie sie ist“. Überhaupt, diese fabelhafte Einsilbigkeit, die im Deutschen kaum wiederzugeben ist: das resignierte, fast schon wortkarge Geständnis „Had to go crazy to love you“ landet in der Übersetzung irgendwo zwischen Gebrauchsanweisung und behördlichem Vorgang: „Um dich zu lieben musste ich wahnsinnig werden“; Ähnliches ließe sich gegen eine Zeile wie „Du willst die Art ändern, wie ich mit dir schlafe“ ins Feld führen, wenn das Original ungleich ambivalenter und vieldeutiger ist: „You want to change the way I make love“ (im selben Text, Different Sides, ist in der vorliegenden Ausgabe leider auch noch ein ganzes Versstück auf der Strecke geblieben).

Cohens Übersetzer – an der deutschen Ausgabe der Flamme haben insgesamt zwölf Personen mitgewirkt – sind nicht um ihre Aufgabe zu beneiden, zumal formvollendete Übersetzungen von Gedichten, der enigmatischsten und zugleich formell strengsten aller Textsorten, ein Ding der Unmöglichkeit sind. Während einige der Übersetzer den dichterischen Gestus unter Wahrung der Reimschemen nachzuempfinden versuchen, kleben andere eher stur an Wortlaut und -stellung des Originals; beide Methoden fallen in der direkten Gegenüberstellung (links das Original, rechts daneben die Übersetzung) nur selten zum Vorteil der deutschen Fassung aus. Sehr gelungen sind etwa Nadja Küchenmeisters und Matthias Knieps Übertragung von Full Employment, auch Kerstin Preiwuß (The Creature) und Léonce W. Lupette (If I Took a Pill) gelingen achtbare Nachdichtungen, die Cohen in Gestus und Witz nahekommen. Sehr elegant sind auch die Lösungen, die Nicolai Kobus für einige der Songtexte wie zum Beispiel Anyhow und Never Mind findet.

Angesichts von Cohens dichten Epigrammen, die im Deutschen kaum adäquat wiederzugeben sind, mag es übertrieben penibel anmuten, fragwürdige Stellen aus den deutschen Fassungen zu listen. Zum Teil mangelt es aber auch an basalen Dingen, alltagssprachlichen Wendungen etwa. So wird aus dem liebessehnsüchtigen „a little hit of you“ (in I didn’t know) der eher masochistische Wunsch nach einem „kleinen Schlag von dir“ (statt eben: einer Portion, einer Ladung) oder wird Cohens lyrischem Ich des Jahres 1978 in My Lawyer die Beobachtung in den Mund gelegt, die Revolution sei „an Dreck“ krepiert und nicht am Heroin beziehungsweise ,Stoff‘, der hier mit „junk“ gemeint ist. In anderen Texten finden sich Genitiv-Apostrophe (Happens to the Heart), werden Pronomina sinnwidrig ersetzt (I’m looking at the flag), aus einem einfachen „Goodnight goodnight“ wird ein versnobtes „Bonne nuit bonne nuit“ (Traveling Light), und die Küsse des lyrischen Ichs in Drank a Lot enden nicht im Überall („everywhere“), sondern keusch „auf den Lippen“. Regelrecht lachhaft wird es, wenn die Übersetzung von Almost Like the Blues aus den väterlichen Erzählungen von den „Gypsies and the Jews“ Erzählungen von „Sinti, Roma, Juden“ macht.

Aber derlei Merkwürdigkeiten können den positiven Gesamteindruck nicht trüben – auch wenn Die Flamme leider weder über Inhaltsverzeichnis noch über einen Index der Gedichtanfänge verfügt, handelt es sich um ein großes, zum Wiederlesen und Nachsinnen einladendes Vermächtnis eines Giganten. Sowohl Cohen-Liebhaber als auch -Novizen dürften ihre Freude daran finden.

Titelbild

Leonard Cohen: Die Flamme – The Flame. Zweisprachige Ausgabe.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Nora Bossong, Matthias Kniep, Nicolai Kobus, Simone Kornappel, Nadja Küchenmeister, Léonce W. Lupette, Christian Lux, Klaus Modick, Kerstin Preiwuß, Marcus Roloff, Ron Winkler und Katja Winter.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018.
352 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-13: 9783462052213

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