Ruhestörer im Gedächtnistheater?

Maxim Biller schreibt über Literatur und Politik

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie politisch ist die Literatur der Gegenwart? Auf den großen politischen Roman wartet die Kritik bislang vergebens. Kleinteilig ging es die Zeit mit ihrer ganzjährigen Reihe „Politik und Lyrik“ (2011) an. Auf dem Cover des von Stefan Neuhaus mit Immanuel Nover edierten Sammelband Das Politische in der Literatur der Gegenwart (2018), der wohl umsichtigsten Sammlung zum Thema bislang, prangt ein Trojanisches Pferd vor dem Berliner Kanzleramt. Das Foto, das von einer Demonstration gegen das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP (2016) stammt, zeigt: Es steckt mehr Politisches in der Literatur, als es von außen gesehen den Anschein hat. Wie gut das für die Literatur ist, steht auf einem anderen Blatt. Was also ist drin in dem Thema „Literatur und Politik“, einer „urdeutschen Spezialität“, wie Enzensberger 1988 anmerkte?

Viel, wenn man den schmalen Band Literatur und Politik von Maxim Biller in die Hand nimmt. Er besteht aus drei Poetik-Vorlesungen, die der Autor 2018 an der Universität Heidelberg gehalten hat. Diese Reihe ist das Verdienst der Germanistin Michaela Kopp-Marx. Von 1998 bis 2014 hat sie namhafte Autorinnen und Autoren nach Heidelberg zu einer Poetikdozentur eingeladen. Einige der besten Vorlesungen sind samt der Einführungen online dokumentiert. Nun hat ihre Nachfolgerin Friederike Reents, zum inzwischen dritten Mal, die Vorlesungen auch als Printausgabe veröffentlicht.

Das Erste, das man sagen muss, ist, dass Biller weiter an seinem Ruf arbeitet, den er sich bei Kritik und Öffentlichkeit erworben hat: Enfant terrible, „Provokateur vom Dienst“, Deutscher oft wider Willen und, mit eigenen Worten, „heinehafter Nestbeschmutzer, der die ritualisierte und distanzierte Koexistenz von Deutschen und Juden störte“. Das aber steht in einem empfindlichen Zusammenhang mit der eigenen Schreibbiografie. Biller hat mit journalistischen und literarischen Texten, als Kritiker, Juror und Schriftsteller Akzente gesetzt, die weder aus der deutschsprachigen Literatur noch dem jüdischen Diskurs in Deutschland wegzudenken sind. Er hat seine „ewigen, deprimierenden, berauschenden, produktiven Zweifel an großen und kleinen Geheimnissen und Übereinkünften“ produktiv gemacht.

Die erste Vorlesung Wer nichts glaubt, schreibt erzählt von einer medialen Urszene. Im Herbst 1991 war Biller mit anderen deutschen und österreichischen Schriftstellern in New York. Mit Robert Menasse unterhielt er sich über seine jüdische Herkunft. Das brachte ihn zu der Frage, ob es möglich wäre, eine Gruppe zu gründen, deren Mitglieder ähnliche zeitgenössische Erfahrungen mit Politik und Kultur, Shoah-Überleben und Familiengeschichte, Integration und Außenseitertum teilen würden. Aus einer solchen verspäteten „jüdischen Gruppe 47“ ist nie etwas geworden. Aber der Impetus, die eigenen Erfahrungen als Stellungnahme und Widerspruch mitzuteilen, ist geblieben. Er zieht sich ebenso durch die zweite Vorlesung, die sich unter dem Titel Wie repariert man Geschichte? dem Verhältnis der Deutschen zu ihrer gespaltenen Geschichte widmet. Man mag das kritisch sehen, vor allem wenn Biller das demokratische und kosmopolitische Potenzial des heutigen Deutschlands auf den Stand von 1990 zurückfallen lässt. Sein Wahrheitsanspruch aber, zu sagen, was er denkt, im Bewusstsein des Risikos von Irrtum und Verkennen, ist nicht von schlechten Eltern.

In mancher Hinsicht könnte Biller insofern – wie sein Vorbild Kurt Tucholsky – ein „intellektueller Stichwortgeber, Schrittmacher, Alleinunterhalter der neuen deutschen Demokratie“ sein. Aber es kommt noch etwas hinzu. Der Autor geizt nicht mit Einzelheiten aus der eigenen „Biografie“ (so heißt nach eigenen Worten sein „bisher jüdischster und persönlichster“ Roman von 2016). Wie er sogar ihm nahe Autorenkollegen nicht geschont hat wie etwa Rainald Goetz auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing, so gönnt er sich selbst auch keine Schonfrist. In der dritten Vorlesung geht er mit „deutschen Germanisten“ ins Gericht, indem er seine Maxime, dass die eigene Geschichte auch immer die der Vorfahren ist, auf nationalsozialistisch vorbelastete Literaturwissenschaftler anwendet (Hans Robert Jauß, Hans Schwerte u.a.). Daraus entspringen nachdenkenswerte  Hinweise auf mögliche Gründe der Entstehung einer neuen Empfindlichkeit im Sprechen der deutschen Kritik über Judentum und jüdische Autoren.

Politik in der Literatur ist Einmischung, Ruhestörung, unabhängige Positionierung. Desintegration könnte man das nennen im Sinne von Max Czollek, der damit zu einer politischen Kehrtwende in einem „Gedächtnistheater“ in Deutschland aufruft, das der jüdischen Minderheit die Funktion zur „Wiedergutwerdung“ der Deutschen zuweist und damit die Dominanzposition der nichtjüdischen Mehrheit bekräftigt. Natürlich brennt das angesichts von AfD und Pegida politisch auf den Nägeln.

Maxim Biller wirbt nicht für eine politische Position. Er hat kein parteipolitisches Programm im Gepäck. Aber er misstraut großen Narrativen, vorschnellen Versöhnungsdiskursen und stellt Gegenfragen. Er zeigt auf Trojanische Pferde und warnt vor deren prekärem Gehalt. Damit beweist er, dass das „urdeutsche“ Thema „Literatur und Politik“ doch – anders als Enzensberger es seinerzeit annahm – ergiebiger ist als das „Sauerkraut oder der Karneval in Mainz“.

Titelbild

Maxim Biller: Literatur und Politik.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2018.
77 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783825369200

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