Helmut Käutner, sichtbar / unsichtbar

Schwarzer Kies und andere Werke auf DVD

Von Peter EllenbruchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Ellenbruch

Als Anfang 2018 eine DVD-/Blu-Ray-Ausgabe von Helmut Käutners Film Schwarzer Kies erschien, wurde in der sekundärmedialen Repräsentation von deutscher Filmgeschichte eine Lücke geschlossen, die man lange hatte beklagen müssen – wobei dies nicht der letzte beklagenswerte Zustand in der Sichtbarkeit von Käutners Oeuvre  darstellt, doch dazu später mehr. (Selbstredend gilt hier die Prämisse, die eigentlich bei Rezensionen von DVDs mit filmhistorischen Inhalten stillschweigend Voraussetzung sein sollte: Für den Genuss eines Werks zuhause und für die Forschung mögen DVDs (und mit Einschränkungen auch Blu-Rays) als Sekundärmedien einen Zweck erfüllen, doch letztlich gehören all solche Filmwerke in ihrem ursprünglichen Material auf eine Kinoleinwand projiziert, damit sie in ihrer tatsächlichen, historisch korrekten Gestalt nicht unsichtbar werden.)

Schwarzer Kies ist in vielerlei Hinsicht eines der Kernwerke des bundesdeutschen Kinos der 1950er/1960er Jahre, reflektiert der Film doch spezifische westdeutsche Verhältnisse, die man in solcher Konsequenz zu jener Zeit selten auf der Kinoleinwand sehen konnte. Erzählt wird hier die Geschichte eines Dorfs im Hunsrück, das neben einem Luftwaffenstützpunkt der US-Armee gelegen ist und letztlich von diesem lebt. Deshalb sind die wichtigsten Handlungsorte des Films eine Wohnsiedlung in der amerikanischen Kaserne, ein großes Kneipengebäude mit Bordellbetrieb sowie Straßen und Baustellen, an denen das Flugfeld vergrößert wird – alles fotografiert in einer nasskalten Winterstimmung, die grundsätzliche Trostlosigkeit verbreitet. Dieser Kosmos bringt die Gestalten des Films hervor, allesamt ambivalente und opportunistische Figuren, die das dort vorherrschende Macht- und Geldgefüge für ihre Zwecke auszunutzen suchen – letztlich ohne persönliche Erfolge, das einzige, was am Ende bleibt, ist der Status Quo mit Luftwaffenpräsenz und Bordell.

Dass ein solcher Film im Adenauerland Probleme haben würde, war vorauszusehen, und so musste sich der Regisseur schon während der Drehzeit einigen Debatten mit der Produktionsfirma stellen. Doch der eigentliche Eklat geschah nach der Uraufführung, als es zu einem Antisemitismusvorwurf durch den Generalsekretär des Zentralrats der Juden kam. Zwar war die beanstandete antisemitische Bemerkung klar im Kontext einer Figurenkonzeption und nicht als Haltung des Films zu erkennen, doch damals wurde dies als Affront gesehen. Als Konsequenz wurde der Film geschnitten, die beklagten Szenen wurden entfernt – und auch das Ende des Films wurde (allerdings unabhängig vom Antisemitismusvorwurf) nicht unerheblich verändert.

All diese filmhistorischen Zusammenhänge werden nun auch im Booklet der DVD-Ausgabe von Anke Wilkening pointiert skizziert, sodass man diese Kontextualisierung in der sehr gelungen gestalteten Veröffentlichung mitgeliefert bekommt.

Das wichtigste dürfte aber auch hier der Film sein. Zum Glück der Nachwelt sind sowohl die ungeschnittene Uraufführungsfassung als auch die veränderte Verleihfassung des Films erhalten geblieben, und so bilden jene nun den Inhalt der vorliegenden Doppel-DVD. Diese filmhistoriographisch insgesamt als vorbildlich zu bezeichnende Edition präsentiert die Filmfassungen als recht behutsame, bezüglich des ursprünglichen Filmformats korrekte Digitalisierungen – dabei ist die Bildqualität im Vergleich mit der Anmutung einer 35mm-Filmkopie nur ganz leicht überscharf gerechnet, somit für filmhistorisch geschulte Augen durchaus erträglich. Der Wert der Verfügbar- und direkten Vergleichbarkeit der beiden Fassungen überwiegt hier allerdings, wodurch man sich detailliert darüber klar werden kann, wie präzise Käutner und sein Team mit ihrer Art der filmischen Gestaltung einen spezifischen Ausschnitt der damaligen bundesdeutschen Gegenwart durchleuchten. Die schwarz-weißen Bilder erfassen dabei nicht nur die schmierig-rauchige Kneipenatmosphäre, sondern gleichermaßen die bedrückende Winterwaldstimmung, durch welche die Lastwagen kurven, sowie auch den ewig-gräulichen, wolkenverhangenen Himmel, den immer wieder US-Kampfflieger durchkreuzen. In diese Sinfonie von Schwarz-Weiß-Grau integriert sind auch die Figuren, für die durchgängig SchauspielerInnen ausgesucht wurden, die die entsprechenden Typen mit den angedachten Handlungsmöglichkeiten, Charaktereigenschaften und den dazugehörigen Vergangenheiten auch verkörpern können.

Von großem Wert ist natürlich ebenso, dass man nun nachvollziehen kann, welche unterschiedlichen interpretativen Konsequenzen die verschiedenen Schlusssequenzen mit sich bringen. Dabei sind beide Fassungen auf leicht verschobene, doch jeweils niederschmetternde Weisen als „BRD-Noir“ zu bezeichnen, eine Stimmung, die zwar in etlichen Kino- und Fernsehkrimis jener Zeit anklingt, doch ganz selten als bundesdeutsches Gegenwartsbild so konsequent und bis zum bitteren Ende umgesetzt wird wie in Schwarzer Kies – soviel sei verraten. (Als weitere BRD-Noir-Filme jener Phase seien z.B. Banktresor 713 (1957, Werner Klingler), Ein Alibi zerbricht (1963, Alfred Vohrer) oder Schritte in der Nacht (1961, Theo Mezger) empfohlen.)

Die bereits erwähnte problematische Rezeption von Schwarzer Kies hatte allerdings noch weiterreichende Konsequenzen. Die eher auf Unterhaltungskonventionen ausgerichtete Filmwirtschaft, die konservativen Politiker der Adenauer-Regierung und andere Vertreter des öffentlichen Lebens reagierten ablehnend bzw. empört – darüber hinaus hatte der Film aber auch das Problem, dass er (aus retrospektiver Sicht jedenfalls) durchaus Erneuerungstendenzen im bundesdeutschen Kino hervorbrachte, die aber eigentlich der Neue Deutsche Film für sich beanspruchen wollte. Die Organisatoren des Oberhausener Manifests standen 1961 bereits in den Startlöchern, und die Zeitschrift Filmkritik war schon als alternatives Sprachrohr zur bestehenden Filmwirtschaft etabliert. Weitere Konsequenzen aus diesen Umständen betrachtet auch Rüdiger Suchsland in seinem historiographischen Essay im Booklet zur DVD – dort wird z.B. auch erwähnt, dass Schwarzer Kies den „Preis der jungen Filmkritik“ in der seltsamen Kategorie „schlechteste Leistung eines bekannten Regisseurs“ erhielt.

Die Vertreter des Neuen Deutschen Films orientierten sich in Formulierungen von Filmkritiken oft und im eigenen filmischen Stil manchmal eher an der französischen Nouvelle Vague. Da Käutners Film gar nicht in diese Richtung ging, mehr als Krimi-Stück mit Genre-Schauwerten funktionierte, warf man in der Kritik dem Film (wie vielen anderen (Genre-)Filmen in jener Zeit) Sensationslust und Oberflächlichkeit in der Problemstellung vor. (Vgl. z.B. Niehoff 1961) So stand der Film zwischen allen Fronten, hat letztlich Käutners Karriere als geachteter und beachteter Filmregisseur so gut wie beendet und wurde lange Zeit filmhistoriographisch kaum behandelt.

Vor diesem Hintergrund verwundert es zunächst kaum, dass eine DVD-Veröffentlichung so lange auf sich warten ließ. Es musste wohl erst eine Neubetrachtung der bundesdeutschen Filmgeschichte der 1950er/60er Jahre her, in der auch dieser Film endlich als Kernwerk verortet werden konnte. Diese Neubetrachtung rückte 2016 mit der Retrospektive zum deutschen Film der Zeit zwischen 1949 und 1963 auf dem Filmfestival in Locarno (und anschließenden, an verschiedenen Orten Europas gezeigten Varianten der Retrospektive) in eine größere öffentliche Aufmerksamkeit – und bedeutsamerweise ziert auch ein Foto aus Schwarzer Kies den Umschlag des Buchs zur Retrospektive. (Vgl. Dillmann/Möller 2016)

Doch auch wenn jener Film nun einen filmhistorischen Platz gefunden hat und auch wenn eine ausgewogenere Filmgeschichtsschreibung des Kinos der Bundesrepublik mittlerweile sichtbar wird, wirken oft noch alte Vorurteile bezüglich der Werke etlicher Regisseure – so auch im Fall von Käutner. Denn aus Helmut Käutner machte man in der allgemeinen (west-)deutschen Filmgeschichtsschreibung für lange Zeit einen Regisseur, der noch kurz vor Kriegsende kritische und poetische Filme (Große Freiheit Nr. 7, 1944 und Unter den Brücken, 1945) drehte, sich damit gegen das Nazi-Kino stellte, bevor er mit seinen Beiträgen zum Trümmerfilm (Regie von In jenen Tagen, 1947 und Drehbuch zu Film ohne Titel, 1948) ein wichtiger deutscher Nachkriegsregisseur wurde, der sich aber später in Manierismen verrannte. Diese immer noch oft anzutreffende Charakterisierung ist allerdings eine unzulässige Verkürzung, hat Käutner doch auch nach 1961 weiter sehr konsequente Filme geschaffen – außerdem sind viele seiner oft eher belächelten oder missachteten Filme der 1950er Jahre besser als ihr Ruf, der ihnen durch das bieder-bildungsbürgerlich geprägte Feuilleton der damaligen Zeit und/oder durch die einseitig ausgerichtete Filmgeschichtsschreibung im Sinne des Oberhausener Manifests zugefügt wurde.

Die heutige Lage der Sichtbarkeit von Käutners Werk auf DVD spiegelt letztlich immer noch die eben geschilderte filmhistorische Einordnung, und es ist viel einfacher sich über im Handel erhältliche Sekundärmedien einen Eindruck von Käutners Filmen bis 1950 und seinen „Erfolgsfilmen“ der 1950er Jahre zu machen (wie Des Teufels General (1955), Ludwig II. (1955) oder Der Hauptmann von Köpenick (1956)) als über die Filme ab 1960 sowie einige weniger beachtete Werke.

Selbstredend ist es extrem begrüßenswert, dass in jüngerer Zeit auch Filme wie Epilog (1950) oder Der Rest ist Schweigen (1959, bereits in der zweiten Auflage) auf DVD greifbar wurden, doch es gibt immer noch etliche Lücken anzumerken. Bezüglich Käutners Schaffensphase der 1950er Jahre wäre eine erneute offizielle Veröffentlichung des Melodrams Bildnis einer Unbekannten (1954) wünschenswert. (Die einzige DVD-Veröffentlichung 2006 im Rahmen einer O.-W.-Fischer-Edition ist entweder lange vergriffen oder in der in manchen Katalogen notierten Form nie erschienen, da die Filmauswahl in der erhältlichen Edition den Film nicht beinhaltet.) Darin beweist Käutner, dass das Kino-Genre des Melodrams auch im bundesdeutschen Kontext mehr sein kann als Schmachtfetzen im Ufa-Stil. Und im Hinblick auf die spätere Karriere sind es neben etlichen Fernsehfilmen der 1960er und 1970er Jahre vor allem die Kinowerke nach Schwarzer Kies, die man schmerzlich vermissen kann. Es wäre sicherlich filmhistoriographisch angebracht, die Satire Der Traum von Lieschen Müller (1961) neu zu diskutieren und nicht auf dem Abstellgleis der damaligen Filmkritik zu lassen – eine DVD-Veröffentlichung könnte hier helfen –, doch die größte Lücke in der DVD-Edition dürfte nach der Veröffentlichung von Schwarzer Kies die sekundärmediale Unsichtbarkeit von Die Rote (1962) darstellen. Besonders dieses Werk benötigt eine Rehabilitation, nachdem es durch kunstbeflissene und bildungsbürgerliche Aburteilungen als „schlechte Literaturverfilmung“ gebrandmarkt und vergessen wurde. Die sogenannte „Literaturverfilmung“, leider immer noch der kino-unkundigen Deutschen liebste Kategorie, mag zwar durch die Drehbuchbeteiligung von Alfred Andersch ein Diskussionsfaktor sein, doch der Vergleich von Roman und Film ist auch hier – wie grundsätzlich immer – eine unmögliche Angelegenheit, die den Qualitäten des Kinos nicht Rechnung trägt. Aus einer Perspektive, die den Film eher mit einem medienspezifischen Kino-Blick ansieht, gehört er zu den starken Werken Käutners. Nicht nur, dass der Film mit seinen Bildern des winterlichen Venedig eine ergreifende Stimmung aufbaut, er bringt vielmehr mit seiner Figurenriege durchaus stringente Gestalten auf die Leinwand, die vielleicht charakterlich nicht so angelegt sind wie die Romanfiguren, doch als Kinokörper im Zusammenwirken mit dem filmischen Raum ein eindringliches Filmerlebnis mit vielen bloß erlebbaren, kaum nacherzählbaren Momenten kreieren (ganz im Sinne von Jean Epsteins Photogénie-Begriff).

Auch nach der DVD-/Blu-Ray-Veröffentlichung von Schwarzer Kies bleibt also zu hoffen, dass sich die sekundärmedialen Labels weiterhin mit dem Oeuvre von Helmut Käutner beschäftigen, auf dass sein Werk als Filmregisseur wieder sichtbarer und diskutierbarer werde. Ganz zu schweigen von einigen Filmen, die er produziert hat – dass es von Kirmes (1960, Wolfgang Staudte) nach wie vor keine DVD gibt, grenzt an einen Skandal.     

 

Literaturangaben:

Niehoff 1961: Karena Niehoff: „Käutners deutsche Geröllhalde“. In: Der Tagesspiegel vom 18.5.1961. Nachdruck in: Wolfgang Jacobsen/Hans Helmut Prinzler: Käutner. Berlin: Edition Filme 1992, S. 249-252.   

Dillmann/Möller 2016: Claudia Dillmann/Olaf Möller: Geliebt und verdrängt. Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963. Frankfurt/M.: Deutsches Filminstitut 2016.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen