Theodor Fontanes Frauenfiguren hatten meist reale Vorbilder
Christine von Brühl beleuchtet das in „Gerade dadurch sind sie mir lieb“ an fünf Beispielen
Von Manfred Orlick
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseTheodor Fontanes Romane sind zu einem großen Teil Frauenromane – denken wir nur an Effi Briest, Cécile, Grete Minde, Frau Jenny Treibel, Stine oder Mathilde Möring. Etliche dieser literarischen Figuren haben dabei reale Vorbilder, unter anderen seine Ehefrau Emilie oder seine Tochter Martha. Die Frauen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mussten sich immer noch starren Gesellschaftsregeln unterwerfen. Fontane maß diesen patriarchischen Strukturen seiner Zeit große Bedeutung bei, indem er sich in seinen Werken diesem Problem aus weiblicher Sicht näherte. Zumeist zerbrachen die Frauen in seinen Romanen an diesen antiquierten Verhaltensnormen.
Nach Anmut im märkischen Sand. Die Frauen der Hohenzollern stellt die Historikerin Christine von Brühl in Gerade dadurch sind Sie mir lieb die Welt der Frauen vor, die Fontanes Leben und sein Werk bevölkern. Sie begibt sich auf eine Spurensuche nach jenen, mit denen sich der Schriftsteller umgab. Dabei geht sie immer wieder Fragen nach wie: „Woher rührte diese Leidenschaft?“, „Woher bezog er seine Informationen?“ oder „War er gar ein Mitstreiter der Frauenbewegung?“
Zweifellos gingen Fontanes präzise „Frauen“-Kenntnisse auf Frauen aus seinem direkten Umfeld zurück. Zu nennen ist zuerst seine Mutter Emilie (1797–1869), zu der er als ältester Sohn eine besonders enge Beziehung hatte, vor allem nach der Trennung der Eltern. Ein inniges Verhältnis hatte Fontane auch zu seinen beiden Schwestern Jenny (1823–1904) und Elisabeth (1838-1923), für die er als ältester der Geschwister eine starke Verantwortung empfand. Über seine heißgeliebte Ehefrau Emilie Rouanet-Kummer (1824–1902) – auf die von Brühl besonders ausführlich eingeht – gibt es in der Literaturkritik widersprüchliche Ansichten. Die Ehe verlief nicht immer harmonisch, doch die Eheleute blieben zusammen und fanden immer Wege, ihre Probleme zu lösen. So ist für die Autorin das Bild einer nörgelnden Gattin unhaltbar. Martha (1860–1917, genannt Mete) war die einzige Tochter des Ehepaars und Lieblingskind des Schriftstellers. Sie wurde zum Vorbild mehrerer seiner Romanfiguren: Korinna in Frau Jenny Treibel, Grete Minde, Effi Briest oder Melusine in Der Stechlin. Weitere Frauen in Fontanes Umfeld sind die Diakonissin Emmy Danckwerts, die Nachbarin Henriette von Merckel oder die Stiftsdame Mathilde von Rohr.
Anschließend widmet sich von Brühl Fontanes weiblichen Romanfiguren, bei denen sich Eigenschaften und Charakteristika mit möglichen realen Vorbildern mischten. In fünf Kapiteln werden die Werke näher beleuchtet, deren Hauptprotagonistinnen eindeutig auf historische Vorbilder zurückgehen: Grete Minde, L’Adultera, Schach von Wuthenow, Cécile und Effi Briest. Bereits mit den Kapitelüberschriften „Die Brandstifterin“, „Die Ehebrecherin“, „Die Salonière“, „Die Fürstengeliebte“ und „Die Liebhaberin“ wird auf die Konflikte hingewiesen, in die der Autor die Frauen geraten lässt. Er beschrieb dabei ihre Gefühle, erklärte ihr Handeln und machte so die Figuren für den Leser gewissermaßen sichtbar.
In ihrer Schlussbetrachtung betont die Autorin, dass weibliche Schicksale für Fontane „ein Mittel der Zeitanalyse und der Zeitkritik“ waren. Anhand ihres Handels und Leidens beleuchtet er die gesellschaftlichen Verhältnisse. Dabei sammelte er seine Beobachtungen über viele Jahre hinweg. Diese notwendigen Informationen konnte er durch seinen unbefangenen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht erlangen. Nicht zuletzt war sein entscheidendes Motiv jedoch Sympathie für die Frauen.
Im Anhang findet der Leser neben biografische Angaben zu Theodor Fontane eine Auswahlbibliografie. Die Neuerscheinung ist ein gelungener Vorbote des großen Fontane-Jubiläums im Dezember 2019.
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