Eine Lanze für den Universalismus

Vojin Saša Vukadinovićs „Freiheit ist keine Metapher“ ist eine überfällige Kritik an antisemitischen und antidemokratischen Tendenzen in der postmodernen Linken

Von Anja ThieleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Thiele

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass es Antisemitismus auch im linken Spektrum gibt, ist keine grundlegend neue Erkenntnis. Die Liste der historischen Beispiele ist lang und erdrückend: Man denke an die stalinistischen Säuberungen in der Sowjetunion, bei denen sogenannte „Kosmopoliten“, ein Synonym für Juden, massenhaft verfolgt und getötet wurden. Man denke an den stramm antizionistischen Kurs realsozialistischer Länder und ihren notorischen Hass auf Israel als Statthalter des „imperialistischen“ Westens im Nahen Osten. Man denke aber auch an die Kooperation von westdeutschen linken Terrorgruppen wie der RAF mit der palästinensischen Terrororganisation PLO, die so weit reichte, dass z.B. die Geiselnahme der israelischen Olympiamannschaft im Jahr 1972 begrüßt wurde.

Der renommierte Antisemitismusforscher Samuel Salzborn hat in seiner kürzlich erschienenen, lesenswerten Studie Globaler Antisemitismus. Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne argumentiert, dass die zentrale ideologische Grundlage des linken Antisemitismus das Weltbild des Antiimperialismus ist. Trotz gewisser Transformationen erhalte sich diese Ideologie in der postmodernen Theoriebildung, die seit den 1970er Jahren zunehmend Eingang in die Geistes- und Sozialwissenschaften gefunden hat und von dort auf soziale und politische Bewegungen zurückwirkt: Linke Emanzipationsbewegungen, die sich auf die postmodernen Gender- oder Postcolonial Studies sowie die sogenannte Critical Whiteness-Forschung berufen, so Salzborns Ergebnis, sind folglich teilweise durch offen antizionistische und antiisraelische Einstellungen, aber auch durch ein strukturell anti-aufklärerisches Denken geprägt.

Diesen Befund teilen auch die AutorInnen des kürzlich im Querverlag erschienenen Sammelbands Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik. Ziel des Bandes, so der Herausgeber Vojin Saša Vukadinović im Vorwort, sei die Aufklärung über antidemokratische Tendenzen des zeitgenössischen Genderfeminismus, des Queerfeminismus sowie des Antirassismus am konkreten Beispiel. Damit knüpft der Historiker und ehemalige Gender Studies-Student an eine bereits im Frühjahr 2017 entbrannte Kontroverse um das Fach ‚Gender Studies‘ an, die durch den im selben Verlag erschienenen Sammelband Beißreflexe. Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten ausgelöst wurde. Beißreflexe, verstanden als Abrechnung mit dem akademisierten und aktivistischen Queerfeminismus, konzentrierte sich darauf, repressive Mechanismen innerhalb queerfeministischer Gruppen zu beschreiben und die immanenten Widersprüche der sprach- und diskurspolitischen Gender-Theorie aufzudecken. Aufgrund seines polemischen, oft verknappten Zugriffs wurde den AutorInnen nicht ganz zu Unrecht mangelnde analytische Schärfe vorgeworfen, der Band löste aber auch noch stärkere Gegenwehr aus, am prominentesten von Judith Butler höchstpersönlich.

Freiheit ist keine Metapher legt den Finger in eine andere Wunde: Nämlich in die klaffende Leerstelle jenes postmodernen Weltbilds, wenn es um die Kritik nicht-westlicher Misogynie und Homophobie – allen voran im Islam – und insbesondere um die Kritik des Antisemitismus geht. Der Band erhebt den Vorwurf der Apologie regressiver und antisemitischer Ausrichtungen des Islams durch die postmoderne Ideologie, ja mitunter sogar dessen offener Flanke gegenüber dem Islamismus. Demgegenüber fordern die AutorInnen eine universalistische, materialistische Kritik von Religion, Antisemitismus und Rassismus, nicht zuletzt, um das Feld nicht dem antiliberalen rechten Diskurs zu überlassen. Doch gelingt es dem Band, diese notwendigen Analysen abseits von polemischen Pauschalurteilen auszubuchstabieren?

Die knapp vierzig Beiträge lassen sich grob betrachtet zwei Textsorten zuordnen: Zum einen finden sich persönliche Berichte von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund über ihre Erfahrungen mit einer linken und queerfeministischen Szene bzw. Wissenschaft. Diese Beiträge sind mitunter mit historischen oder soziologischen Informationen über das jeweilige Herkunftsland der AutorInnen, etwa den Iran, kontextualisiert. Ausgehend von den persönlichen Erlebnissen münden sie in analytische Betrachtungen. Bei der anderen Textsorte handelt es sich um rein analytische Texte, die die persönliche Erfahrung größtenteils außen vor lassen.

Vorwegnehmend sei gesagt, dass Menschen, die regelmäßig ein Auge auf antisemitische Umtriebe haben und sich bereits mit der Kritik an postmodernen Theorien und ihren aktivistischen Ablegern beschäftigt haben, in diesem Band keine grundlegend neuen Erkenntnisse finden werden. Dennoch leistet Freiheit ist keine Metapher zwei relevante Beiträge zur gegenwärtigen Debatte um Gender Studies und Co.:

Das erste Verdienst des Bandes besteht darin, denjenigen Menschen eine Stimme zu geben, die in diesem Diskurs bisher einer doppelten Stigmatisierung und Marginalisierung ausgesetzt waren: Nämlich nach Deutschland oder Österreich emigrierten liberalen, kritischen oder ehemaligen Muslimen, die sowohl von ihren (ehemaligen) GlaubensgenossInnen und ihrer Familie verachtet werden, als auch von dem Großteil der deutschen Linken in der Regel nicht gehört oder aufgrund ihrer Positionen gar erneut diskriminiert, als „rechts“ beschimpft oder bedroht werden. Die Beiträge von Fathiyeh Naghibzadeh, Tara Falsafi, Amed Sherwan, Kacem El Ghazzali oder Sercan Aydilek – um nur einige zu nennen – zeichnen ein dilemmatisches Bild des linken Umgangs mit migrantischen Individuen: Einerseits werden Geflüchtete/MigrantInnen als „authentische“ Stimme einer jeweiligen, als feststehend gedachten „Kultur“ idealisiert bzw. als a priori unfehlbare Stimme der „Betroffenheit von Rassismus“ für die eigene Politik instrumentalisiert. So schreibt Amed Sherwan in seinem Beitrag Mein nackter Hintern treffend, dass „totale Widerlinge, die Juden hassen, Ex-Muslime verachten und frauenfeindlich sind“ in der deutschen Linken allein deshalb, weil sie „Flüchtlinge“ sind, zu „Kulturexperten“ avancieren. Damit werden stereotype Zuschreibungen, wie etwa frauenverachtendes Verhalten, über das Paradigma einer vermeintlichen „kulturellen Identität“ essenzialisiert und rassistische Kategorien hinterrücks wieder installiert. Die damit einhergehende Zementierung des Opferstatus verunmöglicht die Kritik am Verhalten von Personen mit Migrationshintergrund und ihres vermeintlichen „Kollektivs“ – insbesondere hinsichtlich misogyner, homophober oder antisemitischer Positionen.

Andererseits werden diejenigen Stimmen, die nicht ins Bild der antiimperialistisch-postmodernen Denkweise passen, ausgegrenzt oder mitunter gewalttätig unterdrückt. Tara Falsafi, die sich selbst als Antifaschistin beschreibt, berichtet im Beitrag Für immer fremd-bestimmt? davon, wie ihr von deutschen AntirassistInnen vorgeworfen wurde, sie würde ihre muslimische Identität „verraten“ und sich der „westlichen, weißen“ Vorherrschaft unterordnen – weil sie für universale Frauenrechte kämpft und das Kopftuch als patriarchales Symbol entschieden ablehnt. Der Beitrag endet mit dem erschütternden Bekenntnis der Autorin, sie fürchte „vermeintliche Linke“, die „über Kontakte an meine Adresse, an meine Freund*innen, Genoss*innen und meine Familie herankommen“ mehr als „Nazis“.

Geflüchtete, Menschen mit Migrationshintergrund und Muslime, so machen diese persönlichen Beiträge deutlich, werden von den mehrheitlich postkolonial/queer/intersektional argumentierenden Linken tendenziell ihrer Mündigkeit beraubt und als entindividualisierte Abziehbilder einer vermeintlich irreduzibel feststehenden kulturellen „Identität“ abgestempelt. Es ist Vukadinovićs Verdienst, diesen doppelt marginalisierten Stimmen eine Öffentlichkeit zu geben und damit entgegen dem Kulturrelativismus jener Linken zu zeigen: Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit ist eben nicht von einer Kultur- oder Religionsangehörigkeit abhängig, sondern universal.

Die andere bemerkenswerte Qualität des Bandes besteht darin, eine regelrechte Flut an „Beweismaterial“ zusammenzutragen, um die oben genannten Vorwürfe gegenüber Gender- und Queerfeminismus sowie Antirassismus empirisch dingfest zu machen. Das besondere Augenmerk der Analysen liegt dabei überproportional auf deren antisemitischen Umtrieben. Judith Sevinç Basad etwa hat für ihren Beitrag Queere Salafistinnen zum Teil preisgekrönte Dissertationen der deutschsprachigen Gender Studies recherchiert, die weibliche Genitalverstümmelung und islamistische Selbstmordattentate relativieren oder gar verteidigen. Gleich mehrere Beiträge widmen sich dem antizionistischen Werk der „Gallionsfigur“ Judith Butler. In einem close reading von Butlers Texten, die den Nahostkonflikt zum Thema haben, fördert Marco Ebert Butlers Strategien der Kritikabwehr und –immunisierung zutage und entschlüsselt den irrationalen Gehalt einer vermeintlichen Theorie, die mehr antizionistisches Ressentiment als Argumentation ist. In anderen Texten werden u.a. zeitgenössische (queer-)feministische Bewegungen und Blogs sowie akademische und feuilletonistische Diskurse um die Kölner Silvesternacht oder die Boykott-Bewegung BDS untersucht. Auch wenn gelegentlich die Materialanhäufung zu Lasten einer überzeugenden Analyse geht, demonstrieren die Beiträge, dass die ideologische Klammer zwischen islamistischem und postmodernem Denken der Antisemitismus, und mit ihm der Hass auf den „Westen“ und dessen universalistisches, modernes Denken als Synonym für Aufklärung und Freiheit ist.

Neben der zum Teil gebetsmühlenartig wiederholten Kritik an Antisemitismus, Islam und Postmoderne wird der Band durch einige eigenständige, innovative Beiträge bereichert: Hervorzuheben sind hier Dennis Schnittlers Versuch einer materialistisch-historischen Kritik des Rassismus, die die Verschränkung von Rassismus und Kapitalismus aufzeigt; Krsto Lazarevićs luzide historisch-materialistische Analyse der strukturellen Nähe von deutschsprachiger kritischer Weißseinsforschung und dem Ethnopluralismus der Neuen Rechten, ohne den richtigen Grundgedanken von Critical Whiteness preiszugeben, sowie Jasmina Krauss‘ Parallelisierung des Orientalismus-Paradigmas des 19. Jahrhunderts mit der heutigen linken Islambegeisterung.

Trotz der spitzen Zunge, mit denen die Beiträge fast durchgehend formuliert sind, sowie seiner bisweilen redundanten Längen und Wiederholungen ist Freiheit ist keine Metapher ein überfälliges Überblickswerk zur Kritik an der postmodernen Linken.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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Vojin Saša Vukadinovic: Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik.
Querverlag, Berlin 2018.
496 Seiten, 20€ EUR.
ISBN-13: 9783896562692

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