Zwei Menschen und eine Stadt

„Unvollendete Symphonie“: Die Liebesbeziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Hans Weigel im Wien der Nachkriegszeit

Von Bettina SchabertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bettina Schabert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich bin kein Dichter: dies festzustellen, ist keine Kunst. Aber was bin ich? Autor, gewiss, Schriftsteller, aber doch auch Journalist, Bearbeiter, Herausgeber, Übersetzer … ich finde, lange nachgedacht habend, dass mein Beruf am stimmendsten als ‚Verfertiger von Texten‘ zu bezeichnen ist.“ Diese Selbsteinschätzung formulierte Hans Weigel (1908–1991), der wohl noch immer einer breiten Öffentlichkeit als bedeutender Wiener Theaterkritiker der Nachkriegszeit bekannt sein dürfte. Sein Roman Unvollendete Symphonie aus dem Jahr 1951 wurde vom Verlag Edition Atelier neu aufgelegt und stellt in mehrerlei Hinsicht ein Zeitdokument dar.

Weigel, Sohn eines jüdischen Fabrikdirektors, studierte zunächst Rechtswissenschaften in Hamburg und Berlin, arbeitete jedoch nach einer kurzen Tätigkeit im Paul Zsolnay Verlag und einem einjährigen Aufenthalt in Paris ab 1933 als freischaffender Schriftsteller, Theaterkritiker, Journalist und Librettist in Wien. 1938 floh er in die nahe Schweiz, kehrte jedoch bereits im Juli 1945 und damit wenige Wochen nach Kriegsende wieder nach Wien zurück, wo er sich zum einflussreichsten Kritiker Österreichs entwickeln sollte und stets junge Schriftsteller förderte. Legendär ist der von ihm betreute Literatenzirkel, der sich oftmals im Wiener Café Raimund traf und in dem sich so bedeutende Persönlichkeiten wie Ilse Aichinger, Milo Dor oder Reinhard Federmann zu Gesprächen einfanden. Es sind dies auch die Wiener Jahre der noch jungen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (1926–1973), und sie markieren – auch wegen der Aufnahme in eben jenen Kreis – ihr Entrée in das literarische Leben der Stadt. Die sich in diesem Rahmen entwickelnde Liebesbeziehung zwischen Weigel und Bachmann bildet das erzählerische Substrat des Werks. Dabei stellte die zeitliche Nähe dieser Verbindung zur Romanerstellung den Autor vor darstellerische Probleme, war er doch um eine distanzierte Erzählhaltung bemüht. In einer dem eigentlichen Text vorangestellten Vorrede klärt Weigel folglich über die von ihm gewählte „indirekte Darstellungsart“ für die Beschreibung „zweier Menschen miteinander und mit einer Stadt“ auf. Nicht nur weist Weigel Bachmann den Beruf der Malerin zu, überdies erzählt der Text aus ihrer Perspektive. Der Handlungsverlauf ist ebenso eingängig wie schablonenhaft: Eine junge Frau aus der Provinz zieht in die österreichische Hauptstadt, um sich dem Studium der Kunst zu widmen. Dort angekommen, trifft sie auf den gerade aus dem Schweizer Exil zurückgekehrten Theater- und Literaturkritiker „Peter Taussig“ und verliebt sich in den deutlich älteren Mann. Dass es sich bei der erzählten Liebschaft tatsächlich um die Personen Bachmann und Weigel handelt, darf als sicher gelten, denn darüber klärt der Autor in seinem Nachwort aus seinem Todesjahr 1991 den Leser ebenso unmissverständlich auf wie über fiktionale Freiheiten, die er sich für die Textgestaltung nahm. Diese Freiheiten betreffen beispielsweise eine Abweichung des erzählten Zeitrahmens, der nicht ganz den Tatsachen entspricht. So lernten sich Weigel und Bachmann im Herbst 1947 kennen, der Autor verlegt die Handlung jedoch in den Winter 1945/46. Konstruktiv bedeutungsvoll sind ebenfalls die Gefühle und Gedanken, die Weigel der weiblichen Protagonistin in den Mund legt und die problematisch für das Werk sind. Die gewählte Sicht- und Erzählweise gibt dem Leser eben nur scheinbar Aufschluss über die tatsächlichen Emotionen Bachmanns innerhalb dieser Verbindung, streng genommen suggeriert sie diese lediglich.

Weigels Roman beschreibt das Entstehen dieser zunächst zarten Liebe, erzählt von den Wünschen und Hoffnungen der jungen Frau und ihrer emotionalen Abhängigkeit von dem deutlich erfahreneren Mann. Insgesamt wird hier das Bild einer in den kargen Nachkriegsjahren der Großstadt mitunter emotional und materiell verloren wirkenden Protagonistin vermittelt. Im Gegensatz zu der von Weigel im Nachwort der Unvollendeten Symphonie verankerten Sentenz „Ingeborg Bachmann hat dieses Buch noch erlebt und war davon angetan.“, weist Andrea Stoll in ihrer 2013 erschienenen Ingeborg Bachmann-Biografie Der dunkle Glanz der Freiheit jedoch klar eine Ablehnung des Werks seitens Bachmanns nach, die durch ihren Bruder Heinz Bachmann zudem verifiziert wurde.

Das Ringen der jungen Frau um die Aufmerksamkeit und die Liebe Peter Taussigs im Roman wirkt auf den heutigen Leser bisweilen konstruiert:

In meiner hilflosen Verwirrtheit habe ich dann auch arme und kleine Tricks anzuwenden versucht, wie man sie als bewährt rühmen hört: habe mich „rar gemacht“, bin launisch und kokett geworden. Aber das ist alles ganz sinnlos und erfolglos gewesen. […] Vielleicht ist’s in Ordnung so, Peter, und ich bin nur zu wenig gewandt, bin auch darin noch zu weit zurückgeblieben. Vielleicht ist’s nicht dein Fehler, so zu sein, sondern meiner, daß ich so sehr drunter leide.

Dass es sich hier um eine recht männliche Situationsbeschreibung handelt, die die junge erzählende Frau in die Position einer Bittenden zwingt, dürfte manch heutigem Leser seltsam anmuten.

Der Text entwickelt Stärke, wenn anhand der Figur Peter Taussig die Themenfelder Heimat und Identität berührt werden: „Es mag für euch ja im Krieg ähnlich gewesen sein. Aber wir sind von Station zu Station weitergewandert, ohne Aussicht und Hoffnung auf Wiederkehr, unsere Leute sind in der ganzen Welt versprengt.“ Die Entscheidungskraft, sich zu einem Ort (Wien) trotz aller widrigen Umstände samt damit einhergehenden Gefühlen der Fremdheit zu bekennen, stellt eine bedeutungsvolle Botschaft des Werks dar. Brisanz gewinnt der Text zudem mit der Thematisierung von Täterschaft in den Kriegsjahren. Die junge, verliebte Erzählerin erscheint darin als Tochter eines NSDAP-Mitglieds und wandelt sich somit von der jungen unbedarften Frau zur Tätertochter. Das ursprünglich recht klischeehafte Bild vom erfahrenen Mann und der unerfahrenen Frau gewinnt hier durch die Erweiterung der Bedeutungsebene (Beziehung von jüdischem Remigranten und österreichischer Tätertochter) an Tiefe. Darüber hinaus informiert der Roman über die Lebensart und das Lebensgefühl der Wiener Künstler- und Schriftstellerkreise und belegt damit einmal mehr seine Funktion als Zeitdokument. Die Diskussionskultur und die allgemeine Gastfreundschaft, der Zusammenhalt trotz kontroverser Gespräche, die Treffen in bereits erwähntem Café Raimund als prominentem Ort, markieren die ergiebigsten Passagen für den literaturgeschichtlich interessierten Leser.

Kein Bild

Hans Weigel: Unvollendete Symphonie.
Wiener Literaturen. Herausgegeben von Alexander Kluy.
Edition Atelier, Wien 2015.
182 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783903005105

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch