Der Kampf um die Frau
Robert Louis Stevensons grandiose Novelle „Der Pavillon in den Dünen“
Von Georg Patzer
An Sommertagen war der Ausblick licht und sogar beseelend, doch im September, bei sinkender Sonne, einer steifen Brise und einer hoch gegen die Dünen schäumenden Brandung, kündete dieser Ort allenfalls von toten Matrosen und Katastrophen zur See. Ein mühsam gegen den Wind kreuzendes Schiff am Horizont und der mächtige Rumpf eines Wracks, halb im Sand zu meinen Füßen versunken, vervollständigten die Szenerie.
Ein einsames Häuschen in den schottischen Dünen, zwei skurrile Männer, eine hübsche junge Frau und ein geheimnisvoller alter Mann. Es sind nur wenige Charaktere, die der Zufall zusammengeführt hat: Northmour, der Ich-Erzähler Frank Cassilis, Clara und ihr Vater. Northmour und Cassilis verbindet eine seltsame Freundschaft. Sie wohnen eine Zeitlang zusammen in diesem kleinen Haus abseits der Welt, diskutieren über Gott und die Welt, zerstreiten und trennen sich und treffen sich Jahre später zufällig an ebendiesem Haus wieder, als der herumvagabundierende Frank in der Nähe zeltet und sonderbare Beobachtungen macht: Bei Nacht und Nebel schleichen sich Clara und ihr Vater von einem Schiff an Land und verbarrikadieren sich mit Northmour im Haus. Bei mehreren Gelegenheiten treffen sich Frank und Clara in den Dünen und verlieben sich ineinander. Nach und nach stellt sich heraus, dass der alte Mann ein Bankrotteur ist, ihm auf den Fersen sind italienische Revolutionäre, die er betrogen hat. Clara wird auch von Northmour begehrt, er will sie als „Belohnung“ für die Rettung ihres Vaters. Und dann greifen die Italiener an.
Meisterhaft entwirft Stevenson in Der Pavilion in den Dünen eine düstere, oft gespenstische Atmosphäre, in der man den Seewind ebenso beklemmend spürt wie die Bedrohung durch die Italiener und den Treibsand, in dem so mancher versinkt. Stevenson ist nun mal kein Kinderbuchautor, als der er wegen der „Schatzinsel“ betrachtet wird. Er ist ein psychologisch delikater Autor, der Beziehungen aller Art genau beobachtet, der die Brüche in den Menschen deutlich macht – am deutlichsten wohl in seinem nach Die Schatzinsel bekanntesten Werk Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Aber auch in Der Pavillon in den Dünen sind die Menschen fein gezeichnet, es geschehen überraschende Wendungen und plausible Entwicklungen. Es ist eine kleine, zudem autobiografisch gefärbte Erzählung, mit der Stevenson 1879 um seine Geliebte, die zehn Jahre ältere und unglücklich verheiratete Amerikanerin Fanny, kämpft. Was sie noch heute spannend und lesbar macht, sind die lebendigen Details, das großartige Szenario, die zwischen Gut und Böse schwankenden Charaktere, die Sicherheit der Sprache und die stringent komponierte Dramaturgie. Sofort erkannte das literarische England die Erzählung damals als Meisterwerk und Stevenson als den größten Autor seiner Generation. Seine Fanny gewann Stevenson dann auch noch.
Mit diesem schmalen, gut übersetzten und schön gestalteten Buch setzt der Mare Verlag seine Ausgabe mit Werken von Stevenson fort, nach der Abenteuergeschichte Der Master von Ballantrae erschien Fannys Tagebuch unter dem Titel Südseejahre: Stevenson lebte, nach langen Wanderjahren in Europa, über die er wunderbare Bücher geschrieben hat (z.B. Reise mit dem Esel durch die Cevennen), die letzten Jahre seines Lebens auf Samoa, wegen seiner stets angegriffenen Lunge. Hier war seine produktivste Zeit; viele Erzählungen wie Der Flaschenteufel entstanden in der Südsee, hier mischte er sich auch aktiv in die Kolonialpolitik seiner Zeit ein, stand auf der Seite der Samoaner und wurde von den Deutschen mit Verhaftung und Ausweisung bedroht.
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