Eine Neubegegnung mit dem Erfinder des modernen Gesellschaftsromans

Hans-Dieter Rutsch beleuchtet das eigenwillige Leben Theodor Fontanes

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An seinem Lebensende war Theodor Fontane in Deutschland noch weitgehend unbekannt. Man kannte zwar seine Romane als Fortsetzungsgeschichten, doch die gebundenen Ausgaben waren schwer verkäuflich. Dabei hatte ihn immer der Traum von einer Existenz als freier Schriftsteller angetrieben, seine Familie wollte er mit dem Schreiben ernähren. Doch erst nach dem Tod des Dichters 1898 begann der Fontane-Kult, vehement von seinen Anhängern vorangetrieben.

Nun, zu seinem 200. Geburtstag, gibt es wieder einen Medienrummel mit zahlreichen Veröffentlichungen über den berühmten märkischen Wanderer. Fontane hat tatsächlich sein Leben reisend und schreibend verbracht. Die dabei zurückgelegten Strecken hat noch niemand berechnet. Die Einschränkung „Dichter der Mark“ wird Fontanes Werk jedoch nicht gerecht, wie der Autor, Dramaturg und Regisseur Hans-Dieter Rutsch bereits in der Einleitung seiner Fontane-Biografie Der Wanderer. Das Leben des Theodor Fontane betont. Vor dem Fontane-Denkmal in Neuruppin beginnt die „Wanderung“ in elf Kapitel durch das „eigenwillige Leben des Theodor Fontane“. In der selbsternannten „Fontanestadt“ sind jedoch die Spuren des Dichters so einfach nicht auszumachen. Selbst vor dessen Geburtshaus, der heutigen Löwen-Apotheke, wird die Neugier des Autors nicht gestillt. Ein paar Schritte weiter, in einer Buchhandlung stößt er auf dann auf Fontane in Form von zahlreichen Buchtiteln. In den letzten Jahrzehnten haben Literaturwissenschaftler sein Werk systematisch und akribisch abgeklopft.

Nach der Neuruppin-Stippvisite befasst sich Rutsch ausführlich mit Fontanes Vorfahren, die Ende des 17. Jahrhunderts als Glaubensflüchtlinge aus dem katholischen Frankreich nach Preußen kamen. Lange blieb die Herkunft des Familiennamens „Fontane“ im Dunkel und konnte erst nach 1989 durch Funde in den europäischen Archiven und Kirchenbüchern geklärt werden.

Es ist überhaupt ein Merkmal dieser Biografie, dass die Chronologie immer wieder durch Ausflüge in die Familiengeschichte und zahlreiche Geschichten und Begebenheiten unterbrochen wird. So hinterfragt Rutsch beispielsweise die Depressionen der Mutter und die Trunksucht des Vaters. Erst in Kapitel 6 wird die Biografie mit dem Weggang von Neuruppin (1827) fortgeführt. Die nächsten Lebensstationen waren Swinemünde, Berlin und Burg, wo Fontane eine Stelle als Apothekergehilfe annahm. Hier entstanden auch erste Gedichte. 1849 entschloss sich Fontane, den Apothekerberuf (Fontane gebrauchte den Begriff „Giftmischer“) aufzugeben und als Schriftsteller zu leben. Zunächst ohne großen Erfolg; nur wenig trennte ihn manchmal vom Dasein eines Bettlers. Er verfasste zunächst politische Texte und ernährte die Familie schließlich als Theaterkritiker und Kriegsreporter. Vielfach widmete sich Fontane auch der Reiseliteratur (z.B. über Schottland); so entstanden Anfang der 1860er Jahre seine berühmten Wanderungen durch die Mark Brandenburg.

1876 beendete Fontane schließlich seine jahrzehntelange journalistische Arbeit und widmete sich fortan der Tätigkeit als freier Schriftsteller. Es folgten die Jahre, in denen er zum großen frühmodernen Romancier wurde. Diese Schaffensperiode der großen Romane beleuchtet Rutsch auf wenigen Seiten. Ausführlicher geht er dagegen auf den Fontane-Nachlass ein, der bis zum heutigen Tag eine abenteuerliche Geschichte ist. So haben viele Faktoren verhindert, dass sein Nachlass als Ganzes erhalten blieb. Auch gibt es keine klaren Vorstellungen, was mit seinen Tagebüchern geschehen ist. Die Verherrlichung Fontanes im nationalsozialistischen Deutschland und das Chaos mit seinem Werk in den ersten Nachkriegsjahren werden ebenfalls gestreift.

Rutsch geht es weder um eine strenge Chronologie von Fontanes Lebenslauf noch um eine Rezeption seines Werkes. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Frage „Wer verbirgt sich eigentlich hinter dem Namen Theodor Fontane?“ Die Biografie will die Augen öffnen für einen „Wanderer“, der im Jahr 1819 geboren wurde, aber auch im 21. Jahrhundert unterwegs sein könnte.

Titelbild

Hans-Dieter Rutsch: Der Wanderer. Das Leben des Theodor Fontane.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2018.
334 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783737100267

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