Im Halbzeughaus der Metapher

Anselm Haverkamp durchleuchtet Hans Blumenbergs Phänomenologie der Geschichte zur Bildung der Menschheit

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Metapher war die längste Zeit ein Mauerblümchen in den Denksystemen von Rhetorik und Philosophie. Sie zu einer maßgeblichen Selbstdeutungsfigur der Neuzeit gemacht zu haben, die sich dadurch legitimiert, dass sie ihrer Eigendynamik in Begriffen und Sprachbildern auf die Spur kommt, ist das Verdienst von Hans Blumenberg. Der Philosoph (1920–1996) ist ein merkwürdiges Phänomen. Dissertation und Habilitation sind seinerzeit nicht publiziert worden, dafür eine Menge an umstürzenden Zettelkästen und Stenodiktaten, die auch aus dem Nachlass erschienen. Er hat keine Interviews gegeben und sich der Öffentlichkeit nur in Vorlesungen gezeigt. Da aber war er ungeheuer populär. Diese wissenschaftliche Aura ist der Stoff, aus dem nicht nur Sibylle Lewitscharoffs Roman Blumenberg (2011), sondern auch Christof Rüters gleichnamiger Dokumentarfilm (2018) und das Buch von Anselm Haverkamp gemacht sind, einem der wohl findigsten Blumenberg-Exegeten. Metapher – Mythos – Halbzeug ist ein exzellenter Führer durch das Blumenberg-Universum, das die richtigen Fragen stellt und vorschnelle Antworten im Sinne des Titels meidet.

Wer Blumenberg war, wird aus den Essays dieses Bandes insofern ersichtlich, als sie zeigen, wie und zu welchem Zweck er ‚getickt‘ hat. Blumenberg ist in Haverkamps Auslegung ein Denker der streitbaren Stille. Er hat es nicht nötig, sich in Disputen mit konkurrierenden Denkmodellen (etwa der begriffsgeschichtlichen Schule von Joachim Ritter oder der Ontologie Heideggers) zu verzetteln. Stattdessen habe er einen „Konsens über Abgründe“ praktiziert, meint Haverkamp.

Rüters Film gibt einmal mit anekdotischer Evidenz Blumenbergs Denkbewegung wieder: „Philosophie lernt man dadurch, dass man zusieht, wie es gemacht wird. Das ist in vielen Fächern ganz genauso. Deshalb sind Seminare der Philosophie so sehr und besonders ungeeignet, weil sie Versammlungen von Leuten sind, die gemeinsam nicht wissen, wie es gemacht wird.“ Der Satz fiel in einer der legendären Blumenberg-Vorlesungen im Hörsaal 8 des Münsteraner Schlosses. Die Zuhörer haben gelacht, wie man in der Dokumentaraufnahme in Rüters Film hört. Das ist nur ein kleines Beispiel für Blumenbergs metaphorologischen „Wirklichkeitsbegriff“, den Haverkamp in einem Beitrag über den Humor als provokative „Latenz der Form“ weiterdenkt.

Was überhaupt ist und was leistet eine Metapher? Blumenberg, so Haverkamp, vertritt einen postaristotelischen Metaphernbegriff. Die Metapher ist Sinn-Bild für unfertiges Denken, Weitergedachtes, retroping. Sie ist Teil eines metakinetischen Moments der Moderne: metaphorisch erst, als Selbst-Bildung, kann das moderne Denken seine Selbstbeschleunigung wahrnehmen und auf den Begriff bringen – mit anderen, nämlich den eigensinnigen Blumenbergschen Worten: „mit welchem Mut sich der Geist in seinen Bildern selbst voraus ist und wie sich im Mut zur Vermutung seine Geschichte entwirft“. Das ist auch eine Phänomenologie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. Blumenberg hat also weit mehr als nur eine Metaphernlehre oder eine Theorie der Metapher hinterlassen. Die Metapher bricht eine Bahn durch die „Gesagtseinsgeschichte“. Sie ist ein Werkzeug zur Textanalyse und Textbehandlung, eine „methodische Kralle“, mit der wir die Wege der Metaphern verfolgen können wie in Blumenbergs wunderbarem Band über Quellen, Ströme, Eisberge (2012). Und wenn die Metapher über sich selbst Auskunft geben soll, dann ist sie Leitfossil, Paläonym, ohne Definition, „Halbzeug“ eben.

Titelbild

Anselm Haverkamp: Metapher – Mythos – Halbzeug. Metaphorologie nach Blumenberg.
De Gruyter, Berlin 2018.
291 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783110483710

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