Blut und Boden im Kinoformat

C. E. Morgans Südstaaten-Saga „Der Sport der Könige“ setzt ganz aufs Gefühl

Von Karl-Josef MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karl-Josef Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Henry, du hast die Beine deiner Tochter gespreizt, so wie du einen Baum gespalten hast, um ein Haus zu bauen.“ Muss man solcherart Vergleiche noch kommentieren? Henrietta, die Tochter des Pferdezüchters Henry Forge, wird bei der Geburt ihres ersten Kindes sterben. Allerdings ist ihr leiblicher Vater, ein wohlhabender Pferdezüchter, nicht der Vater des Kindes, sondern Henriettas Liebhaber, ein Pferdeknecht und – horribile dictu aus Sicht von Henry Forge – ein Schwarzer, genauer gesagt der Sohn eines weißen Vaters und einer afroamerikanischen Mutter.

Als Henry Forge erfährt, dass seine Tochter mit einem Farbigen sexuell verkehrt, muss er, quasi als Hengst, eingreifen, als könne er so die drohende Vermischung des Blutes verhindern. Während die Mutter stirbt, wird das Kind geboren, eine Szene, die an Melodramatik kaum zu überbieten ist:

[…], während ein neuer Arzt sich abmühte, den Griff des Todes mit nutzlosen, brachialen Stromstößen zu lösen, so dass ihr toter, verlassener Körper immer wieder heftig, entsetzlich zuckte, bis die Wahrheit bestätigt wurde: Sie war tot, und der Geburtshelfer, der sich für sie abgerackert hatte, während die anderen um ihr Leben kämpften, hielt ein frisch geborenes Baby hoch und sagte mit vor Erschütterung angespannter Stimme: „Er lebt. Er ist vollkommen. Er ist vollkommen.“ Die Worte – so undenkbar – durchbrachen das strahlend weiße Licht von Henrys Entsetzen.

Dieses Kind lebt nicht nur und ist gesund, nein, es ist vollkommen, und, noch wichtiger, er ist vollkommen, ein männlicher Nachfolger, ein perfekter Zuchterfolg offensichtlich, trotz des schwarzen Vaters.

Die Autorin C.E. Morgan ist keine Rassistin, wenn sie in ihrem Roman, der 2017 auf der Shortlist des Pulitzerpreises stand, Verbindungen herstellt zwischen Pferde- und Menschenzucht. Unübersehbar möchte sie sich kritisch mit dem historisch gewachsenen Rassismus auseinandersetzen, insbesondere in den Südstaaten der USA. Dennoch bedient sie das rassistische Klischee, dass farbige Männer aufgrund ihrer körperlichen Attraktion weiße Frauen verführen. Denn nicht nur Henrietta hat eine sexuelle Beziehung zu einem Schwarzen, auch ihre Großmutter hat ihren Mann mit einem Afroamerikaner betrogen. Als John Henry, der Großvater von Henrietta, davon erfährt, verschwindet der Schwarze von einem Tag auf den anderen, sein Schicksal bleibt ungeklärt, doch deutet einiges darauf hin, dass er seinen vermeintlichen Übergriff mit dem Leben hat bezahlen müssen.

Sexualität schildert C.E. Morgan durchweg ohne romantische Note als triebhaften Akt. Es ist Maryleen, die farbige Köchin der Familie Forge und spätere Schriftstellerin, die ihre taubstumme Herrin und deren schwarzen Liebhaber in der Speisekammer beobachtet:

 […] und plötzlich wusste sie genau, was sie vorfinden würde, denn sie spürte Dinge, weil ihr Verstand durch viele Romane vorbereitet war, aus denen sie alles erfuhr, was sie über den menschlichen Sexualtrieb wissen musste, […] und dann sah sie die beiden, Filip und die Dame des Hauses, wie sie einander umklammerten, die Frau machte scheußliche Rachenlaute an seinem Mund, wahrscheinlich weil sie taub war […].

John Henry wird sich an seiner Frau rächen, indem er sie brutal vergewaltigt. Auch diese Szene kann die Autorin nicht drastisch genug schildern, doch wie so oft reproduzieren ihre Bilder und Vergleiche eher Klischees, als dass sie in der Lage wären, der brutalen männlichen Gewalt glaubhaft Ausdruck zu verleihen: „Er ließ Hose und Unterhose runter, rammte sein Glied, von der Heftigkeit seiner Wut ganz steif, trocken in sie hinein, und die ruppigen, fleischigen Stöße seiner Hüften klatschten an ihre Flanken. Er atmete wie ein Gladiator und starrte die Rückseite ihres betrügerischen Körpers an.“ Der Leser wird zum Voyeur, die Frau im Moment der Lektüre quasi nochmals vergewaltigt und zutiefst erniedrigt.

Durchgängig bedient sich die Autorin einer hochdramatischen Sprache, gespickt mit einer Fülle von mehr oder eher weniger treffenden Vergleichen und Superlativen. Diese Sprache erzeugt eine geradezu hysterische Intensität, die nicht zuletzt dadurch zustande kommt, dass der allwissenden Erzählerin nichts, aber auch gar nichts verborgen bleibt. Noch die letzten Gedanken der sterbenden Gebärenden kennt die Erzählerin und muss sie selbstredend ihren Lesern mitteilen: „Das Kind musste frei sein. Tief im Wasser sah sie ein Licht, doch das schien gar kein Widerspruch zu sein, nur ein Kuriosum. Es war wunderbar.“ Wunderbar und groß muss alles sein, nicht nur grün, sondern intensiv grün das Gras, der Himmel ultra blau. Die alltägliche Mittelmäßigkeit sucht man in diesem neunhundertfünzig Seiten langen Roman vergebens. Alles ist bedeutungsschwanger, kaum etwas banal und nur es selbst.

Mit moderner Literatur oder Lebenserfahrung hat all das nichts zu tun, wohl aber mit den Überwältigungsstrategien aus Hollywood. C.E. Morgan setzt all diese Mittel bewusst ein:

Oder ist all das zu violett, zu blumig? Ist mehr zu viel – die Welt, die Worte? Hast du deine Geschichte lieber knapp, kräftig und trocken, alles Überflüssigen entkleidet und auf einen einzigen verdaulichen Punkt zusammengeschrumpft? Habe ich die Grenzen der Form überschritten, eine literarische Sünde begangen? Ich behaupte, so etwas gibt es nicht – jedes Streben ist nichts als Asche angesichts der Wärme der stetig wachsenden Welt, ihrer Endlosigkeit und Pracht, die weder dir noch mir gehört. […] Schau, bevor du stirbst, schau – wende aus Angst, blind zu werden, den Blick nicht ab; die Dunkelheit senkt sich noch früh genug herab. Bis dahin, brenne!

Andreas Kilb spricht in einem Artikel der F.A.Z. über Florian Henckel von Donnersmarcks Film Werk ohne Autor von der „großkotzigen Kino-Rhetorik“ des Streifens, der für zwei Oscars nominiert ist. Und er verweist darauf, dass der Film in Deutschland eher kritisch aufgenommen wurde. All das, was Kilb über diesen Film sagt, trifft auch auf den Roman von C.E. Morgan zu, nicht zuletzt weil der Text in seiner überbordenden Dramatik wie eine perfektes Hollywood-Drehbuch daherkommt.

Es ist schade um den Stoff dieses Romans, der zu den Wurzeln des andauernden Rassismus in den USA vordringen möchte. Die Autorin kann schreiben, doch sie will einfach zu viel. Sie lässt sich selbst von ihrem Thema emotional überwältigen und sieht ihre Aufgabe als Autorin darin, dieser Überwältigung Ausdruck zu verleihen. Als „Überwältigungskino“ kategorisiert Andreas Kilb den Film von Donnersmarck. Es würde uns nicht wundern, wenn die Überwältigungsprosa von C.E. Morgan demnächst auf der Leinwand zu bewundern wäre.

Titelbild

C. E. Morgan: Der Sport der Könige. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel.
Luchterhand Literaturverlag, München 2018.
955 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783630872995

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