Gründungsakt der Ezuversity

„Der Geist der Romantik“ zeigt den jungen Ezra Pound bei der Ausarbeitung seiner Dichtungstheorie für die literarische Hochmoderne

Von Maximilian MengeringhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maximilian Mengeringhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Auch sie litten / an Czernoversität, genau der Czernoversität, / die sie studierten“, heißt es in einem Gedicht Ron Winklers. Angespielt wird auf Czernowitz, den Geburtsort Paul Celans, sowie auf die Kohorten junger Dichter, die Celan und seinem Sound nacheiferten und ihn dabei meist nicht ansatzweise erreichen konnten. Manches Erbe wiegt schwer. Das wusste Ezra Pound (1885-1972) und machte es früh zur Maxime seines Schaffens – mehr noch, zur Grundvoraussetzung allen schriftstellerischen Anspruchs. Pound bemaß die Dichtung vergangener Tage ebenso wie die Werke seiner Zeitgenossen stets an seinen, will heißen: an höchsten Maßstäben.

Nachdem der gebürtige US-Amerikaner 1908 nach Europa übergesiedelt war und in den Kunstmetropolen London und Paris avantgardistische Epoche machte, lebte er seit 1924 zwar nicht im Niemandsland, aber doch ungebundener durch den nicht weiter unmittelbaren Kontakt zu großstädtischen Künstlerzirkeln in Rapallo, am Golf von Genua. Von hier aus führte er jene wegweisenden Korrespondenzen fort, die den Grundstock dessen bildeten, was Pound selbst die „Ezuversity“ nannte: ein Netzwerk Gleichgesinnter, das sich als künstlerische Elite der Probleme der Zeit annahm – mit ihm, Ezra Pound, als spiritus rector, dessen Lehren es zu inaugurieren galt, dessen Dichtung Vorbild und zugleich unmöglich zu kopieren war.

Derartige Meister-Schüler-Mentalität mutet outdatet an, doch der Stern Pounds schwebt heute noch – entgegen anderslautender Prognosen und aller politischen Verfänglichkeit des Autors zum Trotz – hoch am Firmament der Lyrik, in aus künstlerischer Sicht ungetrübtem Glanze. Das Hauptwerk, das spätestens mit den Entwürfen der ersten Cantos, des lebenslangen Großprojektes, gen Ende des Ersten Weltkriegs einsetzt, hat ungeachtet aller Schwierigkeiten, vor die der Text die Leserschaft stellt, erstaunlich wenig Patina angesetzt. Darin waren und sind sich in ihrem eigenen Schaffen so verschiedene Dichter wie Heiner Müller, Thomas Kling, Ulf Stolterfoht oder Tom Schulz wohl einig. Gleiches gilt für Pounds Essays und Abhandlungen, zumindest wo diese genuin ästhetische Fragestellungen behandeln. Was die Entwicklung der Lyrik und ihrer Theorie angeht, hat Pound über die Jahre zentrale Aspekte seiner Konzeption als unhintergehbare Ausgangspunkte für die Lyriktheorie des gesamten 20. Jahrhunderts etabliert. Dass diese Qualität zur Setzung sich bereits im Frühwerk nicht nur andeutet, sondern in einer Vielzahl an Positionen in erstaunlichem Maße durchdacht und bereits ausgearbeitet erscheint, lässt sich im Geist der Romantik nachlesen.

Der Berliner Wolff Verlag hat sich nun der Erstübersetzung von Pounds 1909/10 an der London Polytechnic gehaltenen, für die Buchpublikation ausgearbeiteten Vorlesungsreihe angenommen. Mit seinem Verlagsprogramm, das sich laut Selbstdarstellung um ein abendländisches, europäisches Erbe bemüht, ist dem aristokratischen Tonfall Pounds, den er im Geist der Romantik deutlich hörbar anschlägt, ein gleichgestimmter Heimathafen geboten. Die Fürsorge um das Werk Pounds ist merklich. Entsprechend schön ausgestattet, in englischer Broschur, mit Leseband und einem Anmerkungsapparat samt kenntnisreichem wie im Umgang mit seinen Quellen sehr transparentem Nachwort des Übersetzers ist die Ausgabe ein Angebot an Kenner des Oeuvres wie auch an solche, die sich ihm noch nähern. Satz und Type sind trotz kleinerer Buchstabendreher und manch fehlender Leerzeile in der Gedichtzitation stimmig geraten – dem Wolff Verlag ist eine zum demokratischen Ladenpreis zu habende, rundum mustergültige Edition gelungen. Gleiches lässt sich von der Übertragung durch Florian Scherübl sagen, die den gelehrten und zeitgleich angriffslustig-rotzigen Tonfall des jungen Pound – abgesehen von kleineren, nicht schwerlich ins Gewicht fallenden Poetisierungen – gekonnt einfängt.

Nicht anders als aus einschlägigen Abhandlungen wie dem ABC des Lesens bekannt, macht bereits der junge Ezra Pound keine Konzessionen. Die Auseinandersetzung mit der Dichtung ist eine Geschichte der Lektüre ihrer Meisterwerke und es gilt, diese – in der Originalsprache selbstredend – zu kennen. Die Kunst muss man sich als Fluss denken, der zeitweilig durch die Beschaffenheit des Flussbetts gestört werden mag, eigentlich aber unabhängig von diesem verläuft. Die Metapher bietet Pound in vorangestellten Bemerkungen zur Konzeption, seinem „Praefatio Ad Lectorem Electum“, zugleich die Möglichkeit der Abgrenzung: Die Kunst ist das Tätigkeitsfeld der Künstler, sie haben nur Augen für den Fluss – während die Wissenschaftler, mit fehlendem Blick für das Wesentliche, sich bevorzugt darin ergehen das Flussbett zu durchstochern. Die verstaubte Philologie der Akademie des langen 19. Jahrhunderts hat Pound stets angeprangert; nicht ohne sich deren Lob dennoch zu ersehnen, wo die Professoren viele Jahre hingegen nichts als Unverständnis und Spott für den bewussten Außenseiter bereithielten.

Der Eigensinn der Darlegungen ist denn auch ihr Signum. Das beginnt bereits im Titel mit dem Begriff Romantik. Er bezeichnet keineswegs eine Epochen-Schwelle zur Moderne, wie man meinen könnte, ist kein um 1800ff.-Phänomen. Pound widmet sich alleine literarischen Exempeln aus der Zeit zwischen dem 12. und dem 16. Jahrhundert. Sein Augenmerk gilt dabei, darauf mag der Wortstamm im Schlüsselbegriff Romantik hindeuten, ausschließlich Werken aus den romanischen Sprachgebieten, Dichtungen auf Provenzalisch, Italienisch, Spanisch. Englischsprachige Texte werden eher zum Vergleich herangezogen – so Milton und Shakespeare, der, Dante ebenbürtig, ein Meister seines Metiers genannt wird –; die deutschsprachige Dichtung wird lediglich stichpunktartig auf eingestreuten Zeittafeln angeführt, nicht weiter thematisiert. Für Pound wie auch für T. S. Eliot – für weite Teile des anglophonen Sprachraums mag das gelten – ist das Deutsche als Literatursprache von eher untergeordneter Bedeutung gewesen. Anhand von Pounds Ausführungen wird ebenfalls deutlich, dass er die Romantik, in der Analyse ihrer Meisterwerke, vom Anspruch her klassisch denkt. Diese Werke sind ebenso in Stein gemeißelt wie stets in neuem Licht zu betrachten. Jede Dekade und künstlerische Strömung wird der Auseinandersetzung mit ihnen etwas abgewinnen können, ihre Anschlussfähigkeit ist überzeitlich und daher unendlich. Das wiederum ist im geläufigeren Wortsinne gar nicht einmal unromantisch gedacht.

Pound hat derweil ein klares Auge sowohl für Kontinuitäten als auch für Brüche. Die neue Sensibilität, die mit der Veränderung der Metrik beispielsweise durch das spätlateinische Pervigilium Veneris einhergeht, vergleicht er mit dem Wandel vom Wiener Walzer zum Jazz. Oder er sieht in einer der in späteren Ausgaben hinzugetretenen Selbstkommentierungen durchaus die Problematik, nach den Geschehnissen des Ersten Weltkriegs weiterhin die blutlüsterne Bildlichkeit eines Bertran de Born blindlings abzufeiern. Mit den Trobadors ist auch der zeitliche Auftakt der Untersuchung bestimmt. Es folgen Analysen zum Poema Del Cid und dem Rolandslied, zum verehrten Arnaut Daniel und vor allem zur dichtungshegemonialen Schlüsselfigur Dante.

Manche Invektive, wie die gegen den rein als selbstherrlich betrachteten Walt Whitman, dessen ‚cosmic sense‘ nicht mehr als einen Abglanz von Dantes Commedia biete, erscheinen im Geist der Romantik noch aus reinem Distinktionsbewusstsein zu erfolgen. Die Commedia selbst wertet Pound wiederum nicht als Epos. Im vorletzten Kapitel (zu Camões) ist er sich in Bezug auf die Großform sicher, dass sich das Epos eben nicht gegen den Geist seiner Zeit schreiben lasse. Entsprechend wird das Bewusstsein einer On-and-Off Beziehung zur eigenen Zeitgenossenschaft auch das lyrische Werk Ezra Pounds zu einem bedeutenden Teil ausmachen. Der Zug, in der Gegenwart die multiplen Vergangenheiten aufleuchten zu lassen, findet sich in seinen Übersetzungen, im Gedichtband Cathay, im Hugh Selwyn Mauberley sowie in ‚epischer Breite‘ – aber eben nicht als Epos verstanden – in den Cantos. Bei der Entfaltung dieser Technik als Mythos und Methode lässt sich Pound im Geist der Romantik über die Schulter schauen. Er war sich der dichtungstheoretischen Grundsteinlegung sehr wohl bewusst. Nun lässt diese sich auch für die deutschsprachigen Leser nachvollziehen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Ezra Pound: Der Geist der Romantik.
Aus dem Englischen von Florian Scherübl.
Wolff Verlag, Berlin 2018.
334 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783941461222

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