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Lucas Palms Roman „Transhumania“ betrachtet Technik, Begehren und Identität

Von Juliane Prade-WeissRSS-Newsfeed neuer Artikel von Juliane Prade-Weiss

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 14.02.2016 wurde Sophia aktiviert, ein in Hongkong gebauter Roboter, dessen Konstruktion und Funktion der Gestalt und dem Verhalten von Menschen nachempfunden ist. 2017 wurde Sophia die Staatsbürgerschaft von Saudi-Arabien verliehen. Transhumania. Der Suizid, der zweite Roman von Lucas Palm, kreist um den humanoiden Roboter Sofia, jenes Datum des 14.02., und stellt die Frage, welche Rolle Identität und Selbstbestimmung im – allem Anschein nach anbrechenden – Zeitalter künstlicher Intelligenz spielen können. Identität heißt dabei zum einen kulturelle Herkunft oder gewählte Zugehörigkeit zu einer Gruppe, wie sie sich in der jeweiligen Sprache zeigt. Palms Roman verhandelt dieses Moment menschlicher Selbstverortung als Auseinandersetzung zwischen Geschichts- und Neurowissenschaften: Ist Identität kontextuell – und das heißt für ihn: vor allem historisch bestimmt – oder basiert sie vorrangig auf Hirnstrukturen? In Palms Roman geht es nicht darum, zwischen diesen Polen zu vermitteln, sondern darum, welches Paradigma der Weltbetrachtung künftig das gesellschaftliche Miteinander bestimmt. Als Text, der eine Geschichte erzählt – genauer: in dem der Sohn die letzten Tage des Vaters zu rekonstruieren versucht –, neigt der Roman seine Sympathien deutlich der Ansicht zu, Identität sei geschichtlich bestimmt. Zugleich sieht der Text diese Position im Hintertreffen gegenüber dem Versprechen der künstlichen Intelligenz auf Selbstvervollkommnung des Menschen. Doch „Mensch“ ist zu allgemein gesprochen, denn Identität heißt in Transhumania zum anderen, und ebenso grundlegend, Geschlechtsidentität. Hier macht der Titel des Romans auf eine weitreichende gesellschaftspolitische Schwierigkeit aufmerksam: Die Technik der künstlichen Intelligenz transzendiert keineswegs die geläufigen Unterteilungen der Menschen in männlich und weiblich, wie Donna Caraway dies 1985 im vielzitierten Cyborg Manifesto erhoffte.

Wie es prominent bei Sophia der Fall ist, erscheint die Technik der künstlichen Intelligenz in vielen ihrer gegenwärtigen Produkte vielmehr als, wie Ivana Bartoletti 2018 im Guardian schreibt, „ultimate expression of masculinity“: Ohne lästigen Umgang mit Nebenmenschen verfertigt sie sich die erwünschte Form von Weiblichkeit selbst. Diese Form ist meist fürsorglich oder befriedigend, Pflegeroboter oder Sexspielzeug. Hier bewegt sich Transhumania auf dem schmalen Grat zwischen der Darstellung des Problematischen und affirmativer Reproduktion. Denn weibliche Figuren sind in Palms Roman Mutter, Hure oder Roboter. Über sie diskutieren männliche Geschichts- und Neurowissenschaftler, Ärzte und Ingenieure – selbstverständlich alles Koryphäen auf ihren Gebieten –, die sich auf Bergwanderungen mit „Meine Herren“ ansprechen. Bereits E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann zeigt, was Transhumania variiert: Dass die technische Herstellung der idealen Frau den Mann, der den Automaten begehrt, in den Irrsinn zu stürzen vermag – weil er weder einem Menschen begegnet noch, genau genommen, dem Bild seinem Begehrens, sondern einem Produkt, dass andere Männer für ihn gebaut haben, damit er es begehre. So enthebt sich die Sexualität der Ingenieure der Notwendigkeit des Umgangs mit dem anderen Geschlecht. Zugleich wird so jedoch alles Weibliche zum, wie Palm schreibt, „verlässlichen Schwachpunkt“ der selbst verfertigten Welt, wird der Unterschied zwischen Maschine und Leib nicht allein wie bei Descartes der Vernunft, sondern vor allem dem Begehren unerkennbar. Dass das Unbekannte sich dem Blick des Rationalismus, der sich selbst als männlich begreift, als weiblich zeigt, ist ein stehendes Faszinosum der Populärkultur, sei es in Fritz Langs Metropolis (1927), sei es in der Star Trek-Folge Requiem for Metuselah (1969), oder in Alex Garlands Ex Machina (2014). In Transhumania folgt der Protagonist der Spur Sofias, scheint dabei aber je schon von ihr eingeholt, sofern die Nummerierung der Kapitel ihrem binären Code folgt – als sei nicht (allein) sie eine Funktion seines technoiden männlichen Begehrens, sondern (zugleich) umgekehrt er ihre Simulation. Leider gestaltet Palms Text die suggestive Interaktion zwischen Erzählung und Form ebenso wenig, wie er die dargelegten Positionen zu Identität und Selbstbestimmung erschüttert oder weiterentwickelt – der Text endet dort, wo die recht holzschnittartige Kontrastierung von europäischer Geschichtsverliebtheit mit chinesischer Technisierung ausgerollt ist.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Lucas Palm: Transhumania.
Müry Salzmann Verlag, Salzburg 2018.
130 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783990141762

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