Morden zwischen Pizza und Pastetchen
Hartmuth Malorny setzt in „Die Mafia bittet zu Tisch“ erneut Ex-Journalist Harry in Szene
Von Benedikt Hengstl
Von der Polizei wegen seiner im Vorgängerroman Harry in Not aus dem Jahr 2017 erzählten mörderischen Fahrt nach Südfrankreich verhaftet, landet der vermeintlich schwer krebskranke Harry im Gefängnis Les Baumettes. Dort stellt sich bald heraus, dass er an Sarkoidose leidet und überleben wird, jedoch aufgrund seiner Verbrechen an die deutschen Behörden ausgeliefert werden soll. Während des Gefangenentransports wird er befreit und wenig später von seinen Rettern mit einer neuen Identität als Angestellter einer Vermögensverwaltung in Berlin ausgestattet. Tatsächlich steht er von nun an im Dienst des „Marseille-Kartells“ und steigt rasch im Unternehmen auf. Hartmuth Malornys Roman hinterlässt allerdings den Eindruck eines sich wiederholenden, 200 Seiten langen Prologs ohne wahren Höhepunkt zu einem möglichen dritten Teil, obwohl Die Mafia bittet zu Tisch durchaus spannende Unterhaltung hätte bieten können.
Harrys Leben in Berlin wird gänzlich vorhersehbar und wenig abwechslungsreich geschildert: Er erscheint in der Tarnfirma, scherzt mit Miriam, der Assistentin seines Vorgesetzten, die ihn nebenbei mit Drogen versorgt, trinkt Automaten-Kaffee und nimmt seine Aufträge entgegen. Mal einen Mord in Hannover oder Cannes, mal eine Kurierfahrt. Diese werden dann auch pflichtbewusst und gewissenhaft abgearbeitet. Problematische Situationen werden schnell gemeistert, man wähnt den frisch gebackenen Berufskiller höchstens absatzweise in tatsächlicher Gefahr. Ansonsten bewegt er sich fast ausschließlich zwischen seinem Büro, der ihm zur Verfügung gestellten Wohnung und den immer gleichen drei Lokalen, die er nahezu täglich mit Miriam und dem Kollegen Kevin frequentiert: Einer Brasserie, dem „Q-Tip“ und der schlecht besuchten Pizzeria, die – natürlich – zur Geldwäsche und als „Lohnbüro“ dient. Sitzt er gerade nicht in einem der Restaurants, vertreibt er sich die Zeit mit seinen allgegenwärtigen Lebensbegleitern Marihuana, Kokain und Alkohol auf der heimischen Couch oder beim Online-Shopping.
Dies alles wird in knappen Sätzen, bei denen sich stellenweise ein Korrekturdurchgang gelohnt hätte, strikt aus der Perspektive Harrys geschildert, der mit seinem alten Ich schnell abgeschlossen hat. Das Neue wird wie selbstverständlich angenommen. Mögliche moralische Fragen werden nicht ausgelotet, eine Selbstreflexion über sein jetziges Leben findet nur in Ansätzen statt. An eine psychologisch tiefgründige Charakterzeichnung, die womöglich sogar Brüche erkennen ließe, ist nicht zu denken. Nur zu wenig ergiebigen, phrasenhaften, teils metaphysisch angehauchten Überlegungen zur Welt, der Menschheit und der eigenen Lage lässt er sich hinreißen. Als Mafia-Neuling wird Harry dadurch schlechterdings nicht greifbar. Dafür weist er eine hervorragende Beobachtungsgabe auf, die in ihrer Schärfe zumindest unterhaltsam ist. Präzise stellt er zu seinem kurzzeitigen Versteck nach der Befreiung fest: „Die Küche ist erstaunlich leer, weil hier wenig rumsteht.“
Generell besitzen die Figuren in ihrer Darstellung wenig Tiefe, allerdings sind sie umso klischeehafter. Das könnte auch der gewählten Erzählperspektive geschuldet sein. Der Kopf der Organisation, François, ist der reiche, den schönen Dingen des Lebens zugewandte Pate aus Marseille mit hervorragenden Umgangsformen. Sam ist die Schnittstelle zur Chefetage, Kevin der sympathische Kollege und spätere Verbindungsmann zum Kartell, der den Quereinsteiger in weitere Geschäftsfelder einführt. Einzig Miriam, zu der sich der Protagonist hingezogen fühlt, schert mit ihrer mysteriösen Stellung innerhalb der Firma sowie ihrer lange im Dunkeln bleibenden Lebensgeschichte etwas aus dieser Eindimensionalität aus. Doch auch die Aufdeckung ihres Geheimnisses verschenkt Potenzial, ihr persönlicher Hintergrund erscheint zu konstruiert, zu stereotyp.
Zudem wirken die Dialoge hölzern und entbehren oftmals jeder Glaubwürdigkeit. Gerade die Ansätze eines Flirts zwischen Miriam und dem neuen Mitarbeiter driften in manchen Passagen ins Komische ab. Beispielsweise schafft sie es bei einem der Pizzeria-Besuche, den Auftragsmörder mit einer äußerst gewagten Formulierung aus dem Konzept zu bringen: „Hättest du statt Tonno die Vier Jahreszeiten, würde ich jetzt den Frühling bei dir kosten.“ Bereits im ersten Aufeinandertreffen zwischen dem Protagonisten und François, dem Strippenzieher hinter seiner Flucht, ist es nicht gelungen, den Figuren eine authentische Stimme zu verleihen. So, als Harry zugibt, dass es ihn durchaus interessiere, von wem und weshalb er befreit wurde: „Fürwahr, ich hätte die Mafia oder einen reichen Typen vermutet, der sich rächen will, aber tauge ich als Studienobjekt? Sie machen mich neugierig.“
Die Sprache des Romans ist darüber hinaus durchsetzt von wenig stimmigen, teils pseudo-poetisch anmutenden Analogien und Metaphern, die fehl am Platz scheinen, wie etwa bei der Schilderung einer Erschießung: „Das Geräusch ist nicht lauter als ein in der Mikrowelle explodierendes Maiskorn. Plopp. Sein Kopf kippt zur Seite, durchs Loch spritzen Hirn und Wasser, die Todesenergie des Kleindealers steigt zum Firmament.“ Einzig an den haargenauen Ausführungen zu den jeweiligen Speisefolgen in Lokalen oder bei Geschäftsessen im privateren Rahmen kann dies nicht kritisiert werden. Sie klingen wie minutiös abgeschriebene Menükarten aus der meist höheren Gastronomie, auch die dazu genossenen Getränke werden in jeder Einzelheit beschrieben – inklusive Angabe des Alkoholgehalts. Solche Passagen tauchen in einer Fülle auf, die schon fast die Vermutung aufkommen lässt, eine Reihe von Restaurant-Rezensionen und Rezepten vor sich zu haben, um die ein dünner Plot im Mafia-Milieu gestrickt wurde. Demnach ist zumindest der Buchtitel passend.
Malornys zweiter Harry-Roman hat mit vielen Problemen zu kämpfen, die ein wirkliches Abtauchen in die Niederungen des organisierten Verbrechens zwischen Spree und Côte d’Azur unmöglich machen. Deshalb bleibt zu hoffen, dass eine eventuelle Fortsetzung mehr zu bieten haben wird, als „Blätterteig-Pastetchen mit Steinpilz-Füllung auf Rucola-Bett in Zitronen-Thymian-Vinaigrette“ und ständige Wiederholungen.
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