„Nennt mich Ishmael“ versammelt Friedhelm Rathjens Aufsätze und Miszellen zu Leben und Werk von Herman Melville

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Herman Melville, 1819 in eine großspurige Familie hineingeboren, die jedoch nach Bankrott und Tod des Vaters in finanzielle Bedrängnis gerät, verbringt ab 1839 fünf Jahre auf See und in fernen Ländern. Mit gerade einmal 20 Jahren geht er auf seine erste Fahrt als Seemann, mit 22 auf die erste Walfangfahrt, die damit endet, dass er in der Südsee aufgrund der Gewalt an Bord desertiert. Einige Wochen lebt er unter Eingeborenen (vielleicht auch „unter Kannibalen“), lässt sich dann erneut auf einem Walfänger anheuern, desertiert ein zweites Mal, kehrt schließlich auf einem Schiff der Kriegsmarine nach Amerika zurück und heiratet in eine betuchte Familie ein. Innerhalb von fünf Jahren hat er praktisch den gesamten Erfahrungsschatz angesammelt, den er fortan zu Literatur macht.

Zunächst hat er einigen Erfolg mit Büchern über seine Abenteuer in der Südsee, doch dann kommen dieser Karriere seine weitergehenden literarischen Ambitionen ins Gehege. Mittlerweile hatte er sich quer durch die Literaturgeschichte gelesen und will die Tragödienkunst William Shakespeares und Johann Wolfgang Goethes auf die Lebenswelt seiner Zeit übertragen. Diesen Anspruch löst er mit Moby-Dick; oder: der Wal ein, dem ersten genuin amerikanischen Meisterwerk der Literatur. Als solches ist es seiner Zeit allerdings so sehr voraus, dass die Publikation Melville einen Karriereknick beschert, von dem er sich zu Lebzeiten nicht erholt. Die zweite Hälfte seines Lebens verdämmert er als Gescheiterter und schreibt nur noch sporadisch Gedichte, die er auf eigene Kosten in Kleinstauflagen drucken lässt.

Anlässlich des bevorstehenden 200. Geburtstags von Melville versammelt der Band Nennt mich Ishmael Arbeiten zur Biografie, vor allem aber zum Werk des Autors mit Moby-Dick im Zentrum. Friedhelm Rathjen betrachtet diesen Roman als vorweggenommenes Werk der literarischen Moderne, analysiert ihn als gebrochene Weltbewältigung im Sinne eines James Joyce und eines Samuel Beckett und erläutert, warum er ihn auch als solche übersetzt hat.

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Titelbild

Friedhelm Rathjen: Nennt mich Ishmael. Sieben Aufsätze und Miszellen zu Leben und Werk von Herman Melville.
Edition ReJOYCE, Südwesthörn 2019.
124 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783947261109

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