Von Gender-Stars und -Sternchen

Anne Wizorek und Hannah Lühmann debattieren über Gleichberechtigung in der Sprache

Von Willi HuntemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Willi Huntemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch wenn – oder gerade weil – der Rat für deutsche Rechtschreibung auf seiner letzten Sitzung im November 2018 davon abgesehen hat, den Genderstern in das amtliche Regelwerk aufzunehmen, wird die erhitzte Debatte darüber weitergehen. Die Kür des Begriffs „Gendersternchen“ zum Anglizismus des Jahres 2018 ist ein Indiz dafür. Gendern?! Gleichberechtigung in der Sprache – Ein Für und ein Wider, der dritte Titel einer im Dudenverlag erscheinenden Debatten-Reihe, leistet einen Beitrag zur Auseinandersetzung um das Gendern in der deutschen Sprache.

Das Auffällige an diesem Band ist, dass die Kontrahentinnen, die feministische Aktivistin Anne Wizorek und die (poststrukturalistisch geschulte) Kulturjournalistin Hannah Lühmann, beide um die 30, einen ähnlichen Hintergrund haben, sodass man sich zunächst fragt, ob nicht die Kontroversenspannung darunter leidet. Doch das täuscht. Weil die erwartete und mittlerweile gewohnte Konfrontation (weibliche) Gender-Aktivistin vs. (männlichen) Sprachwissenschaftler ausbleibt, gibt es Raum für Zwischentöne und überraschende Argumente.

Wer die Debatte um das Gendern, die bis in die 1980er-Jahre zurückreicht, auch nur oberflächlich verfolgt hat, weiß, dass es keine einfache Pro-Kontra-Frontlinie gibt, weil die Lage komplexer ist. Zum einen bilden die vielen Versuche sprachlicher Sichtbarmachung den sich verschiebenden beziehungsweise erweiternden Emanzipationsdiskurs in seinen Verzweigungen ab: vom klassischen Feminismus bis zur postmodernen Gendertheorie samt Dekonstruktion binärer Geschlechtsidentitäten und der Queer-Theorie sowie LGBT-Bewegung. So ist die Position der feministischen Linguistin Luise F. Pusch, die sich seit über 30 Jahren für das Binnen-I stark macht, mittlerweile von Gender-Sternchen und Gender-Gaps überholt worden, um weiteren Geschlechtsidentitäten sprachlich Geltung zu verschaffen. Zum anderen sind sich die Linguistinnen und Linguisten untereinander uneins über Sinn und Notwendigkeit des Genderns. Befürwortern wie etwa dem Mannheimer Linguisten Henning Lobin (vgl. etwa seinen Artikel in der SZ vom 7. Juni 2018, zusammen mit Damaris Nübling) stehen prominente Kritiker wie der Grammatiker Peter Eisenberg gegenüber, der vor allem sprachhistorisch argumentiert und am generischen Maskulinum, einem der Kernstreitpunkte der Debatte, festhalten möchte (vgl. stellvertretend für zahlreiche Artikel seinen Beitrag in der SZ vom 2. März 2017 „Das missbrauchte Geschlecht“).

Die Bloggerin Anne Wizorek hatte sich bereits im Deutschlandfunk im November letzten Jahres mit dem Germanisten und Schriftsteller Rainer Moritz einen Schlagabtausch geliefert – was der Duden-Band bietet, ist diesmal jedoch kein verschriftlichtes Streitgespräch, sondern eine nach drei Leitfragen strukturierte längere Pro- beziehungsweise Kontra-Stellungnahme im Paralleldruck.
Hannah Lühmanns Gegenposition ist bei weitem die interessantere, was auch daran liegen mag, dass Gegenpositionen immer ergiebiger sind. Entweder lässt man sich von der Gegenstimme überzeugen oder, wenn man ohnehin schon dagegen war, lernt man womöglich neue Begründungen kennen. Während Wizorek nach einem hinführenden personbezogenen ersten Teil, der auch durchaus zugunsten des Hauptteils hätte entfallen können, im Kern ihrer Stellungnahme nichts verlautbart, was man nicht schon gehört hätte, und sich nicht einmal mit den „Fans des (generischen) Maskulinums“ und ihren Argumenten auseinandersetzt – sie scheint sprachhistorische Expertisen zum Verhältnis von Genus und Sexus in der Sprache ohnehin nicht zur Kenntnis genommen zu haben – ,versucht Lühmann bei aller grundsätzlichen Sympathie für die feministischen Anliegen ihr Unbehagen am Gendern auf den Begriff zu bringen.

Sie hinterfragt die Vorstellung von Gerechtigkeit, die hinter der Vorstellung einer geschlechtergerechten Sprache steht, und ist skeptisch: Kann Sprache überhaupt jemandem gerecht werden, in dem Sinne, dass er/sie einen angemessenen Anteil an Repräsentation erhält? Gegen die Vorstellung, Sprache sei nur ein Werkzeug, das man sich zur besseren Repräsentation zurechtbiegt, hält Lühmann einen weitaus ambivalenteren Begriff von Sprache sowie die fundamentale sprachtheoretische Einsicht des Poststrukturalisten und Psychoanalytikers Jacques Lacan, dass Repräsentation im Sprechen nie ganz gelingt und immer eine Lücke in der symbolischen Ordnung bleibt. „Gerechtigkeit ist etwas von einer Gesellschaft Herzustellendes, nicht etwas, das in den Signifikanten steckt“, schreibt Lühmann. Der Gedanke, dass Sprache in dem Sinne nicht repräsentationstauglich ist (der Begriff im doppelten Sinne verstanden: semiotisch wie sozial), da sich nicht jede(r) in ihr symbolisch vertreten sehen kann, ist so bestechend, dass er das naheliegende Dammbruch-Argument überflüssig macht: Was ist, wenn noch andere Sprachbenutzer ihre (Nicht-Gender)-Identitäten in der Sprache symbolisch sichtbar gemacht sehen wollen? Wo liegt die Grenze, was kann man der Sprache noch zumuten?

Was das konkret bedeutet, kann man sich gut an den immer wieder erneuerten Bezeichnungen der politisch korrekten Sprache für Menschen anderer Hautfarbe oder anderer Herkunft verdeutlichen; jeder Begriff scheint bald wieder als diskriminierend empfunden zu werden und wird durch einen neuen ersetzt (etwa „Mensch mit Behinderung“ statt „Behinderter“). Man spricht daher auch von einer „Euphemismus-Tretmühle“ (Steven Pinker).
Man kann in diesem Zusammenhang auch an das jüngste Beispiel einer gendergerechten Sprachregelung denken: nämlich die im Januar dieses Jahres von der Stadt Hannover erlassenen Richtlinien für ihren offiziellen Schriftverkehr. Sie sehen unter anderem die Neutralisierung binärer Geschlechtsmarkierung vor, auch den Wegfall der Anrede „Herr/ Frau“. Das weckt den Protest mancher Zeitgenossen, die der übergroßen Bevölkerungsmehrheit angehören und sich in ihrer traditionellen binären Geschlechtsidentität nun nicht mehr repräsentiert und gewürdigt sehen. Als hätte Lühmann dieses Beispiel bereits vor Augen gehabt, schreibt sie: „Die Schaffung eines neuen Signifikanten schafft nicht weniger Ungerechtigkeit, es schafft nur neue Ungerechtigkeit“.

Es ist sicherlich einer der Vorzüge dieses Debatten-Bändchens, dass einer selbstgewiss vorgetragenen Pro-Stellungnahme nicht eine ebenso selbstgewisse Kontra-Position folgt. Lühmann entfaltet ihren Standpunkt wesentlich reflektierter wie auch eleganter als Wizorek und ist sich der Gefahr der Verabsolutierung einer guten Sache bewusst. In der trotz Neuerscheinungen wie dem von Antje Baumann und André Meinunger herausgegebenen Sammelband Die Teufelin steckt im Detail. Zur Debatte um Gender und Sprache (Berlin 2018) langsam sich festzufahren drohenden Debatte um das Gendern hat Lühmann die Argumentationslinien der sprachwissenschaftlichen beziehungsweise -historischen Kritiker (vgl. den scharf-engagierten, aber fundierten Traktat von Tomas Kubelik, Genug gegendert! Eine Kritik der feministischen Sprache (Jena 2015), der viel zu wenig Beachtung gefunden hat) wie auch der sprachästhetisch besorgten Kritiker („Verhunzung der deutschen Sprache“) um ein interessantes sprachtheoretisches Argument bereichert.

Titelbild

Anne Wizorek / Hannah Lühmann: Gendern?! Gleichberechtigung in der Sprache – Ein Für und ein Wider.
Herausgegeben von der Dudenredaktion.
Bibliographisches Institut, Berlin 2018.
71 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783411756193

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