Der Intimfeind von Karl Kraus

Walter Schübler veröffentlicht seine Anton Kuh-Biografie

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Karl Kraus zu den einflussreichsten Polemikern und „Sprachschriftstellern“ seiner Zeit gehört, ist ohne Frage unumstritten. Aber es gibt noch einen zweiten, der es genauso verdient hätte, so große Aufmerksamkeit wie Kraus zu erhalten: Anton Kuh. Kuh und Kraus waren zu Lebzeiten wahrlich keine Freunde, Kraus konnte wunderbar im großen Bogen austeilen, die Wenigsten, die er angriff, konnten sich so wortgewaltig wie Kraus verteidigen. Jedoch fand er in Kuh jemanden, der genauso gut – wenn nicht sogar besser – ausholen konnte und sich gegen die Kraussche Übermacht wehrte. Legendär war seine Stegreifrede am 25. Februar 1925, die den Titel Der Affe Zarathustras trug und die sich mit dem Wirken und der Persönlichkeit Karl Krausens beschäftigte. In dieser Rede beschimpfte er Kraus als „Intelligenz-Plebejer“ oder „Interpunktionsmönch“, der eine „Nachhausebegleitungssprache“ entwickelt habe und seine Leser in die Realitätslosigkeit treiben würde. Kuh sparte nicht mit ätzender Kritik, die in wunderbaren Sprachbildern verpackt ist. Noch mehr Spaß, als die Biografie von Schübler zu lesen, macht es nur, Kuh im O-Ton zu lesen, was jedem hiermit wärmstens empfohlen wird.

Anton Kuh ist jüdischer Herkunft und wird 1890 in Wien geboren, wo er schnell mit seiner witzigen und dekadenten Art in der Literatenszene im Café Central und Café Herrenhof rund um Peter Altenberg und Alfred Polgar Anschluss findet. Kuh trägt Monokel und handgefertigtes englisches Tuch, wobei er immer wieder betont, dass er ein „Besitzloser aus Überzeugung“ sei. Er entwickelt sich jedoch zu einem Meister des Schnorrens: Nicht nur weiß er ganz genau, wo er sich Geld ohne große Arbeit beschaffen kann, er lässt sich auch gerne auch finanzielle Vorschüsse auf seine redaktionellen Arbeiten geben, die er dann natürlich nicht abliefert – dabei hegt er eine tiefe Verachtung für seine Kollegen, die ihre Vorschüsse gewissenhaft abarbeiten. Kuh war ein scharfzüngiger Dandy, der sich in seiner Neurasthenie sehr wohl gefühlt zu haben scheint.

Walter Schübler schafft es schon auf den ersten Seiten seiner exzellent recherchierten Biografie, Anton Kuh plastisch und eindrucksvoll zu porträtieren. Dies mag nicht verwundern, denn Schübler ist Experte, was Anton Kuh angeht: So hat er bereits eine Anton Kuh-Gesamtausgabe gestiftet und diverse wissenschaftliche Vorarbeiten zum Autor publiziert. Die vorliegende Biografie ist demnach als Quintessenz seiner langjährigen Beschäftigung mit Kuh zu verstehen. Schübler kennt diesen sehr genau, nicht nur in biografischer Hinsicht, sondern dessen Œuvre. Leider ist von Kuhs Werk nur ein Bruchteil erhalten geblieben, was, wenn man genauer darüber nachdenkt, auch nur logisch ist, da Kuh vorrangig Stegreifreden hielt und diese selten bis gar nicht schriftlich fixiert worden sind. Schade ist es dennoch: Wer weiß, welche Früchte uns von Kuh verlorengegangen sind? Die erhaltenen Texte jedoch werden von Schübler in der Biografie genauer unter die Lupe genommen und enthüllen dem aufmerksamen Leser, dass in den anklagenden, polemischen Texten auch ganz viel Selbstkritik von Kuh steckt – Anklage und Selbstreflexion verbinden sich bei ihm auf ganz wundersame Weise miteinander.

Schübler beschreibt und analysiert auf sehr unterhaltsame Weise und hebt Kuh aus dem Abgrund der Vergessenheit empor, was mehr als zu begrüßen ist. Jeder, der diese wunderbare Biografie gelesen hat, wird anschließend nach Kuhs originalen Texten greifen wollen, um sich selber ein Bild von seinen „Frotzeleien“ machen zu wollen, dies sei garantiert.

Titelbild

Walter Schübler: Anton Kuh. Biographie.
Wallstein Verlag, Göttingen 2018.
575 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783835331891

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