Naturwissenschaft als Voraussetzung für Kunst

Walter Isaacson hat zum 500. Geburtstag Leonardo da Vincis eine Biografie vorgelegt

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zum bevorstehenden runden Geburtstag von Leonardo da Vinci im Mai sind mehrere Neuerscheinungen geplant oder bereits erschienen, die sich den vielfältigen Aspekten im Schaffen des Künstlers widmen. Dazu zählt auch die folgende umfangreiche Monografie des US-Amerikanischen Schriftstellers Walter Isaacson, der zuvor bereits mit anderen Biografien, unter anderem über Albert Einstein und Steve Jobs, hervorgetreten ist.

Im Gegensatz zum Historiker Volker Reinhardt, der bereits ein schmaleres Werk über Leonardo vorgelegt hat, ist Isaacson kein Fachwissenschaftler. Das bringt Vorzüge mit sich, namentlich seine durchgängig äußerst anschauliche und flüssige, auf einen breiten (mutmaßlich amerikanischen) Leserkreis ohne Vorkenntnisse abzielende vorurteilslose Art der Darstellung. Andererseits wirkt es für den hiesigen Geschmack vielleicht plakativ, wenn er in der Schlussbemerkung unter der Überschrift „Genie“ Merksätze in Bezug auf das von Leonardo zu Lernende formuliert. Doch kann man hierin andererseits auch einen lobenswerten Versuch sehen, den Künstler von seinem Sockel zu holen und seine Lebenswelt der unsrigen anzunähern.

Zu Recht hebt der Autor hervor, dass er die namhaften Koryphäen der Leonardo-Forschung für seine Recherchen zu Rate gezogen hat. Jedoch gehen deren Zuschreibungen an den Künstler mangels archivalischer Quellen oft auf stilkritische Überlegungen zurück: Diese sind meines Erachtens für die nicht einschlägig vorgebildeten Lesenden nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen. Positiv hervorzuheben ist, dass Isaacson in seine Ausführungen auch die jüngsten, in der Fachwelt nicht unumstrittenen, Zuschreibungen an Leonardo einbezieht: Namentlich erwähnt sei an dieser Stelle das Gemälde Salvator Mundi.

Wie Reinhardt stellt auch Isaacson die Zeichnungen der naturwissenschaftlichen Experimente und anatomischen Studien Leonardos in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen, die er auf ausgesprochen anschauliche Weise beschreibt und historisch kontextualisiert. Besonders Letztere bilden die Grundlage vieler von Leonardos Werken als Maler, was man anhand der dem Buch beigegebenen vielen farbigen Abbildungen sehr gut nachvollziehen kann.

Jedoch kommt der tiefe Skeptizismus Leonardos gegenüber althergebrachten Überzeugungen als Motor seiner leidenschaftlichen Suche nach Erkenntnis in Reinhardts Buch viel eher zum Ausdruck. Wie dieser wertet auch Isaacson die Notizbücher des Künstlers aus und stellt sie in den Kontext von Leonardos Biografie und seinen Werken als Bildender Künstler in den drei Hauptgattungen der Kunst sowie als Naturwissenschaftler, Anatom, Ingenieur und Philosoph. Hierbei hebt Isaacson immer wieder auf Leonardos Homosexualität und seine Vorliebe für rosafarbene Kleidung ab, seinen Vegetarismus, seine unvollendeten Werke, sein Linkshändertum sowie seine Stellung als Häretiker.

Das ist problematisch, weil beispielsweise der Begriff der Homosexualität, wie wir ihn heute verwenden, damals noch gar nicht existierte. Daraus wird auch deutlich, dass Isaacson offensichtlich dazu neigt, Leonardo durch die Brille der heute Lebenden zu sehen, was diesen besonders mit Bezug auf sein Vegetariertum wie einen Naturpostel oder Anhänger der Lebensreformbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirken lässt.

Die affirmative Art der Annäherung Isaacsons an den Porträtierten ist sicher gut geeignet, das Interesse der Leserin / des Lesers zu wecken und auch wach zu halten, aber Reinhardt gelingt es im Gegensatz dazu, die aus der Biografie des Künstlers gewonnenen Erkenntnisse mit der tiefgründigen Analyse von dessen Werken zu verbinden und diese inhaltlich „gegen den Strich zu bürsten“. Als Fazit lässt sich somit festhalten, dass Isaacsons Werk sich gut als erster Einstieg in die Auseinandersetzung einer breiten Leserschaft mit Leonardos Leben und Werk eignet. Die oder der ernsthaft an Leonardos Schaffen Interessierte ist jedoch weitaus besser mit Reinhardts Buch bedient.

Titelbild

Walter Isaacson: Leonardo da Vinci. Die Biografie.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Karin Schuler und Andreas Thomsen.
Propyläen Verlag, Berlin 2018.
752 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783549076439

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