Wer niveauvoll Lachen will, gehe nicht in den Keller, sondern greife zum Handbuch
Das interdisziplinäre Komik-Handbuch erklärt Theorien und erzählt Mediengeschichten von Witz und Humor
Von Bernd Blaschke
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMetzlers Handbücher gehören zu den nützlichsten Handwerkszeugen in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Sie erschließen einzelne Autoren oder auch ganze interdisziplinäre Forschungsgebiete wie zum Beispiel DDR-Literatur, Globalisierung, Wirtschaftsethik, Interkulturelle Kommunikation und vieles mehr. Solides Wissen wird hier kompakt präsentiert. Meist von ausgewiesenen Forschern geschriebene Artikel raffen die aus Abertausenden von Einzelpublikationen bestehende Forschungslage eines Wissensgebiets. Handbücher sind eine ebenso ernste wie hilfreiche Sache. Und weil viele Wissenschaftler meist den Ernst der Heiterkeit oder gar Albernheit vorziehen, gibt es mehr Forschung zu Ängsten als zum Lachen, mehr Studien zur Tragödie als zur Komödie.
Doch das bessert sich womöglich gerade. Positive Psychologie wird zunehmend erforscht. Und in den Kultur- oder Geisteswissenschaften mehren sich die Studien zum Lachen, zur Komik und zum Humor. So war es an der Zeit, endlich auch ein interdisziplinäres Handbuch der Komikforschung zusammenzutragen. Uwe Wirth hat sich als Herausgeber der Sache angenommen. Das Ergebnis ist, um es gleich vorwegzunehmen, weithin gut und brauchbar geworden, auch wenn an manchen Stellen durchaus noch ein wenig nachgebessert werden könnte.
Das Handbuch zum unübersichtlichen, weil ausgedehnten und von vielen Disziplinen duchstreiften Komik-Gebiet wurde auf recht smarte Art gegliedert. Zuerst werden auf gut 60 Seiten 13 Grundbegriffe, die das zerklüftete Komik-Terrain sondieren helfen, jeweils knapp und doch historisch bis zur Antike zurückgehend erklärt. Hierzu zählen die elementaren Schlüsselwörter wie „Komik“, „Witz“, „Humor“ und „Lachen“, aber auch Genres wie „Satire“, „Parodie“ und „das Groteskkomische“, oder das „Wortspiel“, ferner Figuren wie der „Spaßmacher“.
Der zweite, gut 100-seitige Abschnitt, erläutert, wie und was einzelne Disziplinen zur Komikforschung beigetragen haben. Es beginnt mit der Philosophie, geht dann über die Anthropologie zum großen und gerade für Kulturwissenschaftler besonders interessanten – da von ihnen bislang doch eher selten rezipierten – Gebiet von Psychologie-Medizin-Hirnforschung, das beim Zürcher Psychologie-Professor Willibald Ruch und seiner Mitarbeiterin Jennifer Hofmann in besten Händen ist. Es folgen Kapitel zur Psychoanalyse, zur Linguistik und zur Literaturtheorie. Und schließlich sozialwissenschaftlich orientierte Abschnitte, die sich „Komik und Gesellschaft“, „Humor und Geschlechterverhältnissen“ sowie der „Komik der Kultur“ (etwas unglücklich formuliert für Interkulturalität und Komik) widmen. Die Beiträge sind durchweg informativ und meist auch für ein breiteres Publikum gut nachvollziehbar formuliert. Darüber hinaus offerieren sie weiterführende Literaturhinweise.
Der dritte Teil ist mit gut 200 Seiten (wie bei den Handbüchern üblich: zweispaltig gedruckt, damit man richtig viel Wissen auf beschränktem Platz verdichtet bekommt) der umfangreichste. Er bietet dafür aber auch gleichsam neun kurze, knackige Bücher in einem. Dieser letzte Teil widmet sich den medialen Formen des Komischen und bringt historische Abrisse zu den wichtigsten Ausprägungen komischer Kommunikation in der Geschichte des Abendlandes. Denn der kulturelle Horizont reicht hier dezidiert nicht nach Asien, Afrika oder Amerika. Christian Morgensterns im Handbuch erwähnten kühn-komischen Versmaß-Reim variierend möchten wir festhalten, dass den umsichtigen Nachstellungen der Komikforschungssammler nicht alles ins Netz ging: So manche Pointe noch entfloh / nach Afri- od Ameriko.
Doch wurden auch so schon, eurozentrisch, viele und hinreichend diverse geschichtliche und mediale Ausprägungen komischer Kommunikation sortiert und analysiert. Jedenfalls sind Herausgeber und Beiträger des Komik-Handbuchs deutlich weiter gekommen als die Reisenden in Joachim Ringelnatzʼ berühmtem Gedicht Die Ameisen:
In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Dann auf den letzten Teil der Reise.
So will man oft und kann doch nicht
Und leistet dann recht gern Verzicht.
In weiser Beschränkung auf Europa und ein wenig auf US-Amerika (für Film- und Fernsehkomik unerlässlich) bekommt der Komikfreund auf den 200 Seiten der medial aufgefächerten Komikgeschichten auch so schon reichlich aufgetischt: historisch gut informierte Kompaktgeschichten der Theaterkomik von der antiken Komödie bis zum Vaudeville, ein sehr informatives und souverän gegliedertes Kapitel zur Komik in der Musik, Abrisse der komischen Prosa- und Lyrikgeschichte, ferner zur Komik mit bildkünstlerischen Mitteln. Dazu obendrein ein schönes Kapitel zur Komik in Comics. Wie Ole Frahm darlegt, marginalisierte die noch junge Comic-Forschung, welche um ihren Status als ernstzunehmende Wissenschaft wie auch um das Ansehen ihres Gegenstandes noch kämpfen muss, das Komische oftmals. Die Forscher fokussierten vorrangig ernste Themen in den Comicstrips oder den Büchern der ‚Graphischen Literatur‘. Frahm versammelt trotzdem einleuchtende Beobachtungen zur Geschichte und Struktur der Komikkommunikation im Comic-Hybridgenre. Anschließend findet man noch Kurzbücher zur Komik in der Radio- und Fernsehgeschichte, um schließlich mit der Komik in digitalen Medien zu enden. Wobei es hier weniger um das völlig unübersehbare Komikgemetzel im Internet geht, sondern um theoretisch tief gründelnde, heikle Fragen wie: Kann eine Maschine Humor haben? – oder: Operieren digitale Medien nicht eher diabolisch als symbolisch?
Meist gut strukturiert und pointiert präsentiert überzeugen diese Geschichtsbücher der Komikbibel, die stark selektiv die Jahrhunderte überfliegen. Für den Komikforscher, der sich dem Thema in der Regel von einem bestimmten Medium aus (sei es der Literatur oder der bildenden Kunst oder dem Film) annähert und sich nun an den Geschichten der Anderen, zum Beispiel der Radio- und Fernsehkomik amüsieren und bereichern kann, sind das allemal nützliche und manchmal geradezu spannende Parforcemärsche durchs Komikgelände. Nur gelegentlich, etwa bei der Kurzfassung von Bernhard Greiners genialem, dicken Buch Die Komödie, die hier – eingedampft aufs Wesentlichste – als Abriss der europäischen Komödiengeschichte dient, fragt man sich, ob hier nicht allzu voraussetzungsreich und überpointiert referiert wird.
Diese medial aufgefächerten neun geschichtlichen Überblicke des Handbuchs sind weithin informativ und unterhaltend, Horaz hätte seine Freude daran. Aufgrund ihrer Zitate von Highlights und Pointen der medialen Komikgeschichte ist dies gewiss auch der lustigere Teil der ernsten Komikwissenschaft. Denn lustig oder komisch ist die Komikforschung ja oftmals eher nicht; oder höchstens, wie schon Jean Paul wusste: unfreiwillig komisch. Das zeigt sich hier bei der Vorstellung einiger Grundbegriffe, die so ernst präsentiert werden, dass sie den Komikbezug nicht nur performativ missachten, sondern ihn gänzlich aus den Augen verlieren. Seltsam, geradezu komisch mutet an, dass der Artikel des Herausgebers Uwe Wirth zum Grundbegriff „Ironie“ zwar gewissenhaft deren Theoriegeschichte von der antiken Herkunft aus Rhetorik-Traktaten über die Romantiker und ihre literaturwissenschaftlichen Erforscher bis zur Dekonstruktion Paul de Mans und zu analytischen Sprachphilosophen wie Paul Grice und John Searle nacherzählt. Doch tut er dies staubtrocken, fokussiert auf Erkenntnistheorie und Rhetorik, jedenfalls gänzlich ohne Bezug zu den Komik- und Lachpotenzialen ironischer Verfahren und ohne Horizonterweiterung zu medialen Ironie-Künsten jenseits der Sprache – und das, obwohl das interdisziplinäre Handbuch gerade den medialen Formen des Komischen nachspüren möchte und, so das Vorwort, nicht nur den Stand der Forschung zusammenfassen, sondern auch einen Beitrag zur Forschung leisten möchte. Dieser Ambition wäre mit knappen Beispielen, etwa Verweisen auf ironische Musik, Film- oder Bildkünste gedient. Wie wenden diese Ironie an? Mit welchem komischen Effekt? Die völlige Abstinenz von Komik-Bezügen des Ironie-Artikels im Rahmen eines Komik-Handbuchs ist eventuell einer extrem feinen Ironie des Autors geschuldet, bei der nicht jeder Leser hinterherkommt.
Doch überrascht stellt der Rezensent bald fest, dass auch der Artikel zum Grundbegriff „Dummheit“ ganz ähnlich komik-abstinent daherkommt. Bei den (klug) referierten Theorien der Dummheit, etwa im Fall von Pierre de Bourdieus und Theodor W. Adornos / Max Horkheimers Ausführungen zu dieser Geistesschwäche, wird übersehen, dass nicht jede Dummheit komisch ist und dass nicht jede Theorie der Dummheit Aspekte der Komik an derselben entwickelt. Wenn Dummheit vor allem im mechanischen, unreflektierten Verknüpfen von Aussagen besteht, im Verfehlen der Relevanz von Zusammenhängen, dann trifft diese dem Dummheitsartikel entnommene Definition womöglich auf den Artikel selbst zu. Er arbeitet die Relevanz von Dummheit für Komik zu wenig heraus, setzt zu sehr auf Tragiker der Dummheit (wie Adorno) und referiert kaum Ansätze einer komischen Deutung von Dummheit. Im Übrigen wäre es hier bereichernd gewesen, einen Gegenbegriff zur Dummheit wie etwa Wissen, Weisheit oder Klugheit einzubeziehen, denn Komik- und Humortheorien von Jean Paul über Georg Wilhelm Friedrich Hegels Verortung der Komödie und Friedrich Nietzsches Lachen als (höchster) Weisheitstechnik bis zu Joachim Ritters faszinierenden Meditationen über Lachen als Inklusionspraxis (1942 mitten im NS-Faschismus!) argumentieren dahingehend, dass Lachen oder Humor die höchste Stufe von Wissen und mithin der Gegenpol zur Dummheit sei.
Doch referieren und argumentieren die meisten der Grundbegriff-Artikel durchaus gründlich, umfassend und überzeugend. So etwa der glänzend informierte, zudem Forschungsperspektiven aufzeigende Artikel von Hans Rudolf Velten, der die Metamorphosen der uralten, sich stetig wandelnden Figur des Spaßmachers von der Antike bis zum Fernseh-Comedian nachzeichnet. Ein sehr gelungener Beitrag von Rüdiger Zymner adressiert die Satire. Zwar ist dieser Artikel vorrangig auf literarische Verfahren und literaturgeschichtliche Hauptbeispiele des Satirischen fokussiert, doch verweist er immer wieder auf die Bezüge zur Komik und zum Lachen. Und er reißt immerhin an, dass es satirische Verfahren auch im Alltag, im Film oder im Kabarett gebe und dass sogar in Musik und Architektur satirische Verfahren denkbar seien. Auch Christiane Vossʼ Artikel zum Lachen rafft pointiert vorliegende Lachtheorien und bietet anregende Ausblicke auf zu Erforschendes. Wiewohl Voss ein Fehlerchen unterläuft, wenn sie das sogenannte Duchenne-Lachen, also das physiognomisch echte Lachen, verwechselt mit dem willkürlich manipulierbaren, aufgesetzten, unechten Lachen ohne Augenmuskelbeteiligung.
Ein paar hier fehlende Grundbegriffe könnte man monieren oder für Folgeausgaben vorschlagen: Aus der in der letzten Dekade sich stark entwickelnden Stimmungs-Forschung möchte man das Konzept der Heiterkeit (und ihre Erforschung) hier gerne als Grundbegriff erörtert sehen, ferner Artikel zu weiteren Grundbegriffen wie „Karneval“, „Albernheit“, „Nonsense“ oder „Körperkomik/Slapstick“. Körperkomik findet sich hier noch nicht bei den Grundbegriffen, doch liefert Lutz Ellrich im dritten Teil brillante Überlegungen dazu im Abschnitt „Komik mit theatralen Mitteln“. Und schon als Hors d’œuvre gibt es Körperkomik vom Feinsten, da das Buchcover mit vier Standfotos aus Monty Pythons Silly Walk-Filmchen geschmückt ist – womit gleich auf dem Buchcover auf einen Höhepunkt der Körperkomik im Rahmen der Fernsehkomik hingewiesen wird.
Zwar macht ein nützliches Personenregister diese Schatztruhe einer theorie- wie geschichtsgesättigten Komikreflexion vermeintlich gut handhabbar für schnelle Recherchen, doch ist dieses Register keineswegs vollständig, weil es offenbar nur die Haupterklärungen zu Autoren (wie Aristoteles oder Kant oder Daniel Dennett u.v.m.) auflistet, nicht aber alle Nennungen dieser und weiterer häufig erwähnter Personen. Praktisch ist dieses Register also fragwürdig, ja mangelhaft. Denn man findet hier mitnichten alle Nachweise für die gesuchten Namen. Zudem fehlt ein Sachregister, das für den Handbuchnutzer gewiss hilfreich gewesen wäre, denn damit könnte man etwa die Spielarten der Ironie, des Sarkasmus, der Groteske oder Stimuli und Stimmungslagen von Heiterkeit, Trunkenheit oder Albernheit quer durch die vielen Artikel auffinden und nachverfolgen.
Ein Glück – was Glück alles sein kann, möge man im Metzler Handbuch Glück nachlesen – ist dieses Handbuch gleichwohl für alle Humor- und Komikforscher. Wenn Lachen wie Nietzsche formulierte, Angstauflösung indiziert, dann ist dieses Handbuch auch eine heitere Antwort auf Metzlers schon 2013 publiziertes interdisziplinäres Handbuch Angst. Es wird die Evolution (zu allen theoretischen, biologischen und sozialen Aspekten des Evolutions-Denkmodells vgl. das Metzler Handbuch Evolution) der Komikforschung zu neuen Erkenntnisblüten treiben. Zu hoffen ist, dass dieses Komik-Kompendium als Informations- und Verständigungswerkzeug den Austausch der unterschiedlichen Disziplinen und Theorieschulen befruchten möge und Reibungsverluste verringern wird. Denn nun kann man sich relativ einfach und weitgehend zuverlässig auf die Grundlagenvermittlung der hier versammelten Artikel stützen.
Das gebildete und über Forschungen informierte Nachdenken oder Reden über Komik oder Humor wird dadurch einfacher. Ob das auch für die Produktion sowie Zirkulation gelehrter Witze und für das kultivierte Lachen gelten mag, nach denen sich schon Immanuel Kant und Jean Paul vor gut 200 Jahren sehnten, das sei dahingestellt. Leider ist der Preis der gebundenen Ausgabe etwas prohibitiv und dürfte der weiten Verbreitung des Komik-Kultur-Kompendiums ein wenig im Wege stehen. Aber vielleicht bringt der Verlag ja bald eine günstigere Paperback-Ausgabe heraus? Dann hätte niemand mehr eine Ausrede, wenn er unter Niveau lachen oder allzu dumm darüber reden würde.
|
||