Ein willkommener Ortswechsel

Milena Bauer analysiert und interpretiert den Landpartien-Topos in ausgewählten Romanen Theodor Fontanes

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Theodor Fontanes Gesellschaftsromanen, aber auch in seinen reisejournalistischen Werken findet man immer wieder Landpartien. Die handelnden Figuren veranstalten häufig Partien in das nähere und fernere Umland – zumeist von Berlin. Fontane selbst frönte diesen saisonalen Gesellschaftsvergnügen; er hielt es im Sommer in der Stadt nicht aus, die er dann oft für zwei, drei Monate verließ. Seine Korrespondenz und seine Aufzeichnungen liefern den Beweis für seine zahlreichen Ausflüge.

Es muss also eine besondere Bewandtnis mit Landpartien in den Romanen Fontanes haben. Die Germanistin Milena Bauer unternimmt nun den Versuch, in Fontanes Werk die Landpartei als wiederkehrendes Element und eigentümliches Erzählmuster aufzuspüren und zu identifizieren. Zunächst setzt sie sich mit dem Begriff „Landpartie“ auseinander, der heute meist mit „Ausflug auf das Land“ umschrieben wird.

Danach beleuchtet Bauer das Genre des Gesellschaftsromans allgemein und analysiert, warum der deutsche Gesellschafts- oder Zeitroman im 19. Jahrhundert erst spät den Anschluss an die Entwicklung der europäischen Literatur schaffte. Darüber hinaus geht sie der Frage nach, was Fontane bewog und befähigte, im fortgeschrittenen Alter das für ihn literarische „Neuland“ zu betreten. Im Anschluss setzt sich die Autorin mit der häufigen Bearbeitung des Landpartie-Topos in Fontanes Gesellschaftsromanen auseinander. Die Landpartie dient als zeitgenössische Darstellung des Gesellschafts- und Geselligkeitsverkehrs und stellt gleichzeitig einen willkommenen Raumwechsel dar.

Das nächste Kapitel widmet sich einer ersten Analyse und Interpretation des Landpartie-Topos in ausgewählten Romanen. In L’Adultera (Fontanes erstem Berliner Gesellschaftsroman), Schach von Wuthenow, Frau Jenny Treibel und Der Stechlin tritt die Landpartie als private Geselligkeit in Erscheinung. In Cécile und Irrungen und Wirrungen dagegen steht jeweils ein einzelnes Ehe- beziehungsweise Liebespaar im Mittelpunkt der Landpartie-Schilderung. Sie versuchen mit dem Ausflug in die Sommerfrische der üblichen Geselligkeit zu entkommen.

Das nachfolgende und umfangreiche Kapitel befasst sich mit den Orten, wobei sich diese mehr oder weniger exakt lokalisieren lassen. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Verkehrsmittel zum Erreichen der Ziele eingegangen – von der vorindustriellen Kutsche bis zu modernen Verkehrsmitteln der Eisenbahn und des Dampfschiffes. Die Form der Naturbegegnung und -wahrnehmung ist ebenfalls ein Untersuchungsobjekt. Die Wechselbeziehung von Landschaften, Bildern und Figuren erfüllen in Fontanes Romanen eine wichtige poetische Funktion. Die Natur wird mit den Augen erschlossen – bei Spaziergängen, Bootsfahrten oder Ausritten.

Abschließend beschäftigt sich die Autorin mit den Wechselwirkungen von Geselligkeits- und Liebeshandlungen im Rahmen der Landpartien. So formieren sich immer wieder besondere Paarkonstellationen unter den Ausflugsteilnehmern, die in der freien Natur die Gelegenheit haben, ihr Verhältnis zu vertiefen. Hierbei erweisen sich Größe und Zusammensetzung des Teilnehmerkreises als entscheidend. Dabei kann das Zustandekommen sowohl inszeniert als auch zufällig sein.

Die Landpartien haben ihren festen Platz in Fontanes Romanen und Erzählungen und bilden oft einen Wendepunkt in der Handlung. Durch ihre Schilderungen hat der Leser außerdem die Möglichkeit, die Provinz mit den Augen des „Großstädters“ Fontane zu sehen. Mitunter treten in der Natur auch besondere Charakterzüge der Protagonisten hervor.

Die Studie wurde in der Reihe Schriften der Theodor Fontane Gesellschaft veröffentlicht. Ihr Schwerpunkt liegt zwar auf den genannten sechs Romanen, aber auch andere Fontane-Texte wie Effi Briest werden ergänzend herangezogen. Bauer hat die breite literatur- und kulturwissenschaftliche Forschungsliteratur, das 23-seitige Literaturverzeichnis zeugt davon, berücksichtigt. Außerdem verfolgt die Studie die Absicht, weitere Forschungen zur Landpartie bei Fontane zu initiieren.

Titelbild

Milena Bauer: Die Landpartie in Romanen Theodor Fontanes. Ritualisierte Grenzgänge.
De Gruyter, Berlin 2018.
357 Seiten, 99,95 EUR.
ISBN-13: 9783110570519

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