Seelisches Schreiben
„Die harte Seite des Himmels“ von Crauss ist über den lyrischen Interessantismus erhaben
Von Konstantin Ames
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseZiemlich selbstbewusst wirkte der Essayist und Dichter Crauss eigentlich von Anfang an. Sein Debüt hat den Titel Crausstrophobie. Diese Mischung aus Trotz und Augenzwinkern hat sich der gebürtige Siegener über die zwei Jahrzehnte erhalten, die er fester Bestandteil des deutschsprachigen Literaturbetriebs ist. Crauss stellt mit Die harte Seite des Himmels einmal mehr unter Beweis, dass er zu den amüsabelsten Gegenwartsdichtern gehört. Sein neuestes Buch versammelt frenetische Liebesgedichte, es ist aber ebenso ein Fliegerbuch und ein Lektürejournal.
So vielseitig die Inspirationsquellen (von Pop bis Chanson, von Rolf Dieter Brinkmann bis Antoine de Saint-Exupéry und Trivialliteratur) auch sein mögen, im Mittelpunkt der Sammlung stehen Reaktionen auf die lyrische Prosa der Wiener Dichterin Friederike Mayröcker, mit der Crauss durch langjährige Freundschaft verbunden ist. Die Mayröcker-Passagen im Buch sind in Form von Fußnoten unterhalb der Gedichte (sozusagen als Fundament) platziert. Als Erklärung der Bezugnahme findet sich der etwas zu lakonisch geratene Satz: „die untertexte entstammen friederike mayröckers prosa brütt, wurden aber bearbeitet und neu geprittet.“
Thrillerfans fällt sofort auf, dass es sich beim Titel um eine Coverversion des gleichnamigen Fliegerromans von Gavin Lyall aus den 1960ern handelt. Crauss geht es indes nicht um das schiere Vorzeigen von Strandgut. Eine Ähnlichkeit mit den Frisiersalons des Uncreative Writing wird stets durch wuchernde Sprachbilder vermieden, die jedoch, anders als es der Klappentext verlautbart, nie arabeskenhaft verschlungen sind; sie sind klar und dringlich, voller Seele: „das leben / ist so einfach wie die worte, die man gebraucht / dafür. der mittag wird heiss und ganz unerträglich / werden; abseits des rollfelds weiden einige stuten“. So endet das titelgebende Gedicht „landung / die harte seite des himmels“ – und endet wiederum nicht, sondern wird in eine bacchantische Szenerie („nackt in athen“) gespiegelt und dann abermals, diesmal unter düster-romantischen Vorzeichen, wiederholt („die harte seite der nacht“). Poetische Wahrheit scheint dreifaltig zu sein, was Fake News immerhin verhindert: Crauss verortet sich schon seit Jahren weitab der gängigen Lager von Tradition und Experiment. Im Zentrum seiner Poetik steht der Begriff Schönheit. Mit den Romantikern verbindet Crauss aber auch ein Faible für die literarische Kopie. Seine hellwache Neugierde unterscheidet seine Sprachkunst markant vom derzeit tonangebenden Interessantismus, von einer Stimmungslyrik, die das eigene Labeling gleich mitliefert. Crauss geht einen völlig anderen Weg, seine Gedichte sind Gespräche, die er zwischen Texten anzettelt. Wer es gefühlig mag, wird diese Texte als zu wenig authentisch empfinden, was eine bittersüße Ironie ist, weil hier eine urromantische Stimme zu hören wäre, die keine Simulacren erzeugt, sondern Liebe und Trauer zu den Worten bringt: „pestgeruch / und das toben der kinder vorm fenster fault / in den abend hinein wir liebten uns doch. liebten / einander. du versäumst meinen tag.“
Das erotisch-deftigste und zugleich Nonsense-affinste Kapitel trägt den Titel „Akte II“, ein Motivkreis, der bereits im Gedichtband Alles über Ruth (2004) angelegt und in Lakritzvergiftung (2011) fortgesetzt wurde, wo bereits Mayröckers tod durch musen umspielt wurde („tut durchmoosen“). Die vorliegende, abermals vorzüglich edierte Publikation des Verlagshauses Berlin schließt mit einer Hommage an den Song From the Air von Laurie Anderson: „für uns alle gehts abwärts. gemeinsam. / und ich sage: aha. so wird das eines tages also gehen. / warteposition beibehalten / jetzt wird es zeit. und dies ist die aufzeichnung der zeit.“ Die Übersetzung ist gleichzeitig eine performative Lektion, die den Unterschied zwischen Lyrik (Stimmungskunst) und Poesie (Spracharbeit) verdeutlicht.
Die harte Seite des Himmels ist eine schöne Zumutung geworden, eine großartige Mixtur aus simuliertem Parlando und weiser Permutation. Ein weiterer Teil eines großen Gesamtwerks! Zu dem von allem Anfang an, bei aller Proteushaftigkeit, eine manifeste Haltung gehört: Die auffällige Beschwörung von Brüderlichkeit ist in deutschsprachigen Versen so oft wie bei Crauss nur in der Poesie der Expressionisten anzutreffen. Deren Humanitätssehnsüchte finden ein Jahrhundert später ihr Pendant im Crauss’schen Imperativ an uns alle: „poetisiert euch.“ Die Illustrationen von Felix Bauer sind witzig-traurige Intermezzi und so gut, dass man sie sich in Farbe gewünscht hätte.
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