Sehnsucht nach dem Festland

Ulrike Barows Roman „Baltrumer Krimitage“ verliert sich in Details

Von Jeannie LukaszewiczRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jeannie Lukaszewicz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie gut kann ein Krimi sein, wenn es sieben Din-A4-Seiten Notizen benötigt, um den Faden nicht zu verlieren? Diese Frage drängt sich bei der Lektüre von Ulrike Barows Roman Baltrumer Krimitage auf.

Wie der Titel verrät, handelt das Buch von einer Veranstaltung, die sich „Baltrumer Krimitage“ nennt und von Jens Campen, einem Mitglied der Stadtverwaltung, erstmalig organisiert wird. Im Rahmen dieser Veranstaltung sollen über mehrere Tage hinweg einige Krimiautoren Lesungen abhalten, aber auch Podiumsdiskussionen, Geocaching und Führungen stattfinden. Ziel ist es, Touristen außerhalb der Saison auf die Insel zu locken und dadurch für mehr Einnahmen zu sorgen.

Plötzlich, noch vor Beginn des Events, verschwindet die Autorin Sibyll Zahn auf unerklärliche Art und Weise von der Insel und kann auch bei ihrem Mann auf dem Festland nicht ausfindig gemacht werden. Merkwürdig an der Sache ist, dass Jens Campen behauptet, er habe sie persönlich zur Fähre gebracht, das Gepäck und das Auto der Schriftstellerin sich jedoch noch immer auf der Insel befinden. Als Campen dann auch noch wie zufällig einen der größten Stars der Krimiszene als Ersatz ankündigt, liegt der Verdacht nahe, dass er etwas mit Sibylls Verschwinden zu tun haben könnte. Kurz darauf wird noch eine zweite Autorin namens Johanna Meckseeper vermisst, die wenig später mit einem unerklärlichen Hämatom tot aus einem Teich gezogen wird.

Bis hierhin kann man noch folgen, doch dann ereignen sich immer mehr verworrene Vorfälle, flankiert von zahlreichen sinnlosen Informationen, die nicht dazu beitragen, die Handlung voranzubringen. Der Leser erfährt zwar etwas über das Privatleben der eingeladenen Autorinnen und kann mitraten, wer Johannas Mörder sein könnte und wo sich Sibyll vermutlich aufhält, doch der Fokus der Erzählstrategie wird nicht auf die Ermittlungen gerichtet. Stattdessen erhält man Einblicke in das Leben der Polizisten und jeder noch so unwichtigen Nebenfigur. Diese werden zudem alle mit vollem Namen vorgestellt, um sie dann abwechselnd und möglichst verwirrend mal beim Vor- und dann wieder nur beim Nachnamen zu benennen. Doch damit nicht genug: Jede Katze, jeder Hund werden benannt, sodass ohne Notizen komplett der Überblick verloren geht. Neben der Haupthandlung und etlichen weiteren Nebensträngen kommt es außerdem noch dazu, dass ein Maibaum geklaut und eine Katze vergiftet werden. Zusätzlich gibt es Eifersuchts- und Betrugsdramen, um im letzten Viertel des Buches unvermittelt einen weiteren Handlungsstrang zu eröffnen, der sich um Jens Campens Nachbarschaftstreit dreht und dazu führt, dass dieser einen Tag danach tot in seiner Wohnung gefunden wird. Befremdlich, weil ohne benennbare Funktion für den  Erzählzusammenhang ist zudem die gehäufte Erwähnung von Details. So wird etwa die BVB-Tasse eines Polizisten alle drei Seiten erwähnt, ohne dass sich daraus irgendein Nutzen für die Narration ergäbe. Dass der Lektor einige Fehler übersehen hat, sei nur am Rande bemerkt.

Kurz vor Schluss werden die beiden Fälle der verschwundenen Autorinnen in einem Eiltempo geklärt – beinahe so, als hätte die Autorin jetzt selbst keine Lust mehr, sich weiter in ihrer eigenen Geschichte zu verstricken. Sibyll Zahn taucht wieder auf und erklärt, dass sie eine kurze Auszeit brauchte und der Mord an Johanna wird damit erklärt, dass sie ertränkt wurde. Und das unerklärliche Hämatom? Das kommt natürlich davon, dass Johanna vor ihrem Mord auf die Jugendlichen getroffen ist, die den Maibaum gestohlen haben und, wie sollte es anders sein, die Autorin unter Alkoholeinfluss aus Versehen mit dem Maibaum gerammt haben. Wieso die Katze vergiftet wurde, wird nie aufgeklärt, auch nicht, wer im Nachbarschaftsstreit um Jens Campen eigentlich im Recht war, und das, obwohl dieser Streit, wie alles andere auch, mehr als ausreichend beschrieben wurde. Das belegt exemplarisch das konzeptionelle Problem: Die Konstruktion leidet unter zu vielen unnützen Details und Handlungssträngen, verliert dabei aber die Morde zeitweise aus den Augen. Allen interessierten Lesern sei empfohlen, sich ganz eigene „Krimitage“ zu gestalten: mit der Wahl eines anderen Kriminalromans.

Titelbild

Ulrike Barow: Baltrumer Krimitage. Inselkrimi.
Leda Verlag, Leer 2018.
314 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783864122125

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