Harter Job in einer Männerwelt

In Melissa Scrivner Loves Thrillerdebüt begegnet dem Leser eine Heldin, wie es sie nicht oft gibt

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lola Vasquez gehört zur „Crenshaw Six“, einer kleinen Gang, die an sechs Straßenecken der Kleinstadt Huntington Park in South Central/L.A. Drogen des mexikanischen Los-Liones-Kartells vertickt. Allerdings sind die Crenshaw Six nur ein unbedeutendes Puzzleteil im Verteilernetz, das die Mexikaner rund um Los Angeles mit Stoff beliefern. Doch als die Polizei eines der Warenlager des Großdealers Darrel King hochnimmt, bekommt die Gang eine Chance, auf die Garcia, Lolas aktueller Lebensgefährte und offizieller Anführer der Bande, nur gewartet zu haben scheint. Damit es in der Gegend nicht an Stoff mangelt, dürfen die Crenshaw Six nämlich ihr angestammtes Revier, auf das ohnehin kaum ein anderer scharf ist, um ein paar Straßenzüge erweitern und in der Dealer-Hierarchie aufsteigen.

Doch die Mexikaner haben noch ein weiteres Problem: Aus heiterem Himmel ist Konkurrenz für sie aufgetaucht. Ein neuer Lieferant mit besserer Ware, die er aus Afghanistan bezieht, will dem Kartell das Wasser in der Gegend abgraben und hat bereits einen erfolgreichen Start hingelegt, indem er offenbar Darrel King als Abnehmer gewonnen hat. Und hier kommen Lola, Garcia und ihre vier „Soldaten“ ins Spiel. Denn sollte es den Crenshaw Six gelingen, eine Übergabe von Stoff im Wert von zwei Millionen Dollar zu sabotieren und sowohl die Drogen als auch das Geld an sich zu bringen, versprechen ihnen die Mexikaner eine goldene Zukunft.

Lola ist der erste Thriller von Melissa Scrivner Love, die an der New York University einen Studienabschluss in Englischer Literatur erworben hat und anschließend nach Los Angeles zog, um sich fast ein Jahrzehnt lang ihre Brötchen als Drehbuchschreiberin für eine Reihe von Fernsehserien zu verdienen. Als Mitautorin von CSI: Miami, Life und Person of Interest musste sie sich automatisch Kenntnisse über jene Welt aneignen, die sie in ihrem literarischen Erstling so überzeugend aus der personalen Perspektive ihrer Titelheldin beschreibt. Hinzu kamen ihr Interesse an starken Frauen in einer von Männern geprägten Gesellschaft, die Liebe zu Los Angeles sowie der Einfluss unterschiedlicher literarischer Vorbilder – von Don Winslow über Kate Atkinson bis hin zu Vladimir Nabokov und Stephen King.

Entstanden ist unterm Strich das Porträt einer Frau, die, zunächst unauffällig aus dem Hintergrund agierend, mehr und mehr die Geschäfte an sich reißt, bis niemand mehr übersehen kann, dass sie es ist, die die Crenshaw Six in Wirklichkeit anführt. 26 Jahre alt und mit ihren 48 Kilo nicht unbedingt von furchteinflößender Statur, macht sie mit Intelligenz, Chuzpe und – wenn es sein muss – vor nichts zurückschreckender Brutalität wett, was die Männer ihr in einer Machowelt vorauszuhaben scheinen. Dass sie dabei gelegentlich einstecken muss und stets mit Ultimaten konfrontiert ist, deren Ablauf ihren Tod bedeuten könnte, steigert nur ihre Zähigkeit und ihren Überlebenswillen in einer Umgebung, in der sie auf niemanden vertrauen kann außer auf sich selbst.

Denn natürlich erweist sich der Plan, den Austausch von Drogen eines neuen Lieferanten am Markt gegen Geld eines der etablierten örtlichen Dealer zu sabotieren und damit dem mexikanischen Kartell die weitere Vorherrschaft zu sichern, als genau das Himmelfahrtskommando, das Lola von Anfang an erwartet hatte. In der Folge hat sie alle Hände voll zu tun, nicht nur ihr eigenes Leben zu retten, sondern sich zusätzlich um die Sicherheit ihrer drogensüchtigen Mutter Maria, ihres mehr chaotischen als organisierten jüngeren Bruders Hector und eines Lebensgefährten, dem letztendlich das Hemd näher zu sein scheint als der Rock, zu kümmern.

Bezeichnenderweise sind es ebenfalls zwei weibliche Figuren, die Lola dazu die nötige Kraft geben. In der fünfjährigen Lucy, deren heroinsüchtige Mutter das Kind für Stoff an Päderasten verkauft, findet sie den wichtigsten Grund, gegen alle Widerstände anzukämpfen und weiterzuleben. Und die Staatsanwältin Andrea Whitely samt der undurchsichtigen Rolle, die sie zwischen korrupten Polizisten, der Verteidigung von durch häusliche Gewalt bedrohten Frauen und der wohltätigen Unterstützung von Einrichtungen spielt, die sich um Drogenopfer kümmern, scheint endlich jene ebenbürtige Gegnerin zu sein, die Lola für sich immer herbeigesehnt hat. Wie es zwischen diesen beiden Frauen weitergeht, wird sich in dem von Suhrkamp für 2020 angekündigte Folgeband American Heroin zeigen. Ein bisschen Geduld müssen die Leser also noch haben. Lohnen wird es sich aber bestimmt.

Titelbild

Melissa Scrivner Love: Lola. Thriller.
Herausgegeben von Thomas Wörtche.
Übersetzt aus dem Englischen von Sven Koch und Andrea Stumpf.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
392 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783518469453

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