Mitteleuropa im Herzen

Jaroslav Rudiš‘ neuer Roman „Winterbergs letzte Reise“ ist für den Preis der Leipziger Buchmesse 2019 nominiert

Von Lea BittnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lea Bittner

In seiner Heimat Tschechien wird Jaroslav Rudiš für seine Werke gefeiert. Dort zählt er laut einer Umfrage zu den 30 wichtigsten Persönlichkeiten des Landes. Seine Romane thematisieren meist die Geschichte Mitteleuropas, deutsch-tschechische Beziehungen und damit seine eigene Geschichte und Heimat. Sein neuester Roman Winterbergs letzte Reise hat es auf die Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse geschafft.

Der Roman handelt von einer Reise, die im wahrsten Sinne durch die Geschichte Mitteleuropas führt. Altenpfleger Jan Kraus, geboren in der Tschechoslowakei, 1986 nach Deutschland emigriert, soll seinen Patienten Wenzel Winterberg in seinen letzten Lebenstagen begleiten. Winterberg wurde 1918 in Liberec geboren und als Sudetendeutscher nach dem Krieg aus der Tschechoslowakei vertrieben. Die Erzählungen des Altenpflegers erinnern den alten Mann an seine Heimat und alte Sehnsüchte werden wach. Winterberg überredet Kraus, mit ihm eine letzte Reise zu unternehmen, um seine verlorene Liebe zu suchen und die Heimat noch einmal wiederzusehen. Gemeinsam brechen sie zu einer Fahrt auf, die für Winterberg gleichzeitig einen Abschied und eine nie stattgefundene Hochzeitsreise symbolisiert. Mit Winterbergs Baedeker Österreich/Ungarn von 1913 im Gepäck geht es von Berlin über Reichenberg, Prag, Wien und Budapest bis nach Sarajevo.

Winterberg schlug sein kleines rotes Buch auf. Sein Geschichtsbuch. Seine Bibel. Seinen Reiseführer von 1913. Den Baedeker für Österreich-Ungarn. Den Baedeker für sein Leben. Sein Buch, das so dunkelrot ist wie das vergossene preußische und sächsische und österreichische Blut von Königgrätz, wie er sagte. Cornus sanguinea. Sein Buch, das Winterberg und mich bis ans Ende der Welt begleiten sollte. Bis ans Ende unserer Reise, an der ich unfreiwillig teilnehme. Bis ans Ende seiner Schicksalsreise, wie er sagt. Bis nach Sarajevo.

Auf ihrer Eisenbahnfahrt durch Mitteleuropa kommen Geheimnisse zum Vorschein, die keiner der beiden hinter sich lassen kann. Geheimnisse, welche die Reisenden an die Geschichte der Umgebung binden. „Winterbergs letzte Reise ist eine Liebeserklärung – Liebeserklärung an die Eisenbahn, an die Geschichte, an Europa und an die ewige Liebe an sich“, so Rudiš im Interview über seinen neuesten Roman.

Der Schriftsteller, Drehbuchautor und Dramatiker, der auch als Publizist und Musiker arbeitet, wurde 1972 in Turnov in der Tschechoslowakei geboren, lebt heute in Berlin und schreibt auf Tschechisch und Deutsch. Nach eigener Aussage ist es ihm wichtig, beide Sprachen zu beherrschen; nur so könne er die Geschichte verstehen und nur so sei er imstande gewesen, Winterbergs letzte Reise zu schreiben: seinen ersten auf Deutsch verfassten Roman. Ihm gingen zahlreiche Romane, Theaterstücke, Hörspiele, Drehbücher und Essays voraus; seine bisherigen Romane wurden ins Deutsche sowie in neun weitere Sprachen übersetzt. Die Romane Nationalstraße (2016), Grand Hotel (2008) und die Graphic-Novel-Reihe Alois Nebel (ab 2003) wurden als Kinofilme adaptiert, weitere Werke für Bühne und Hörfunk. Die Verfilmung der Alois Nebel-Reihe, die von dem Grafiker Jaromír 99 illustriert wurde, feierte nicht nur international große Erfolge, sie gewann außerdem 2012 den Europäischen Filmpreis in der Kategorie Bester Animationsfilm. Im publizistischen Bereich arbeitet Rudiš für internationale Medien, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt, Deutschlandfunk, WDR, der Tschechische Rundfunk und die BBC. Gemeinsam mit Jaromír 99 gründete Rudiš 2007 die Band Jaromír 99 & The Bombers und 2013 die Kafka Band.

Rudiš wurde bereits mit etlichen Preisen ausgezeichnet. Für seinen Debütroman Himmel unter Berlin (2002 unter dem Originaltitel Nebe pod Berlínem erschienen) erhielt er im gleichen Jahr den Jiří-Orten-Preis. 2014 wurde ihm der Usedomer Literaturpreis verliehen, 2012/13 die Siegfried-Unseld-Gastprofessur an der Humboldt-Universität zu Berlin und 2018 zuletzt der Preis der Literaturhäuser.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen