Fescher Leutnant im Wahn

Eine Neuausgabe von Ferdinand von Saars zeitdiagnostischer Darstellung einer Persönlichkeitsstörung ist erschienen

Von Karin S. WozonigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karin S. Wozonig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Marketingtechnisch ist der Titel Leutnant Burda gelinde gesagt suboptimal. Man wünscht sich für den Autor Ferdinand von Saar (1833–1906) einen Lektor, der im Jahr 1887, dem Jahr der Publikation der Novelle, dem Protagonisten im Titel wenigstens ein Adjektiv gegönnt hätte; der Titel könnte dann beispielsweise „Der besessene Leutnant Burda“ lauten. Oder, für dieses eine Mal, für die Neuausgabe, weniger Respekt vor dem Klassiker und den Mut, nicht nur den Helden beim Namen zu nennen, sondern gleich sein Problem dazu, zum Beispiel: „Leutnant Burda, der Stalker vom Regiment“. Daniela Strigl zeigt in ihrem erhellenden Nachwort zu dieser schön gemachten Ausgabe des Kampa Verlags, dass es auch in zeitgemäßer Diktion gehen könnte, sie titelt: „Ein Neurastheniker als Don Quijote“.

Der Erzähler dieser Geschichte vom neurotischen Leutnant kleinbürgerlicher Herkunft wundert sich, kann sich aber doch nicht ganz der verqueren Logik entziehen, mit der Burda jeden Zufall, jede scheinbare Übereinstimmung der Wirklichkeit mit seiner Wahnwelt daraufhin umdeutet, dass seine aus der Ferne Angebetete, die jüngste Tochter des Fürsten L., seine Zuneigung erwidert. Und nicht nur das. Er findet auch Anzeichen und Beweise dafür, dass die Prinzessin bereit ist, sämtliche Standesschranken zu überwinden – nach unten, wohlgemerkt –, um mit ihm zusammenzukommen. Burda ist überzeugt, dass ein ganzes Regiment, nämlich seines, zu diesem Zweck von einer Garnisonsstadt nach Wien und von dort nach Böhmen verlegt und dass der Spielplan des Burgtheaters auf seine sich anbahnende Verbindung mit der Prinzessin abgestimmt wird. Dieser Wahn kann nur ins Verderben führen. Ferdinand von Saar zeichnet den Weg dorthin nach und skizziert dabei all die subtilen psychologischen Manöver dahinter, das fein austarierte gesellschaftliche Gefüge, das ins Wanken gerät, und die Gefahr des Ehrverlusts, in die sich der Verblendete begibt. Der Erzähler, er ist ein Regimentskamerad und Mitbewohner des Leutnants, begleitet ihn auf seinem Weg mit einigem Verständnis, erkennt die Gefahr und kann doch nicht helfen.

Burda ist „von hoher und schlanker Gestalt“, hat ein schönes, blasses Gesicht und einen fein gekräuselten Schnurrbart, zudem „auffallend schöne graue Augen, die von langen Wimpern eigentümlich beschattet waren“. Der schöne Mann legt auch großen Wert auf den Schnitt seiner Uniform und lässt sich täglich frisieren. Dies alles sei keine zweckfreie Eitelkeit, lässt uns der Erzähler wissen: „Dass diese raffinierte und gewissermaßen verborgene Sorgfalt, die er auf sein Äußeres verwendete, im letzten Grunde mit dem Bestreben zusammenhing, bei dem anderen Geschlechte den günstigsten Eindruck hervorzubringen, braucht wohl nicht erst ausdrücklich gesagt zu werden“, sagt der Erzähler ausdrücklich und setzt die Leserin damit auf eine Fährte.

Burda hält sich für unwiderstehlich und zu diesem beachtlichen Selbstvertrauen gesellt sich auch noch ein Adelsfimmel, der dazu führt, dass Burda ausschließlich Damen von hohem Stand verehrt. Damit aber nicht genug. Als Sohn eines bürgerlichen Rechnungsbeamten versucht er sich selbst mit Tarnen und Täuschen zu nobilitieren, indem er seinen zweiten Vornamen, Gottfried, mit „Gf“ abkürzt, was man auch als „Graf“ lesen könnte und was ihn umgehend in Konflikt mit der kk-Bürokratie und einem Obersten bringt. Diesem unbeholfenen Versuch folgt das ambitionierte Unternehmen, sich einen Stammbaum suchen zu lassen. Er engagiert einen Ahnenforscher, der den Nachweis erbringen soll, dass Burda aus einem alten böhmischen Grafengeschlecht stammt, das nach der Schlacht am Weißen Berg (1620) vertrieben wurde. Eine gräfliche Familie dieses Namens in Sachsen müsste lediglich des Leutnants Legitimität anerkennen, und schon wäre er „mit gegenwärtig sehr hervorragenden Adelsgeschlechtern […] infolge von Ehebündnissen, die vor Jahrhunderten geschlossen wurden“, verwandt, wie Burda dem staunenden Freund erklärt. Auf die Unterstützung von Seiten der verehrten Prinzessin beziehungsweise ihrer Familie bei der Rückgewinnung seines Titels sei wohl zu zählen.

Mit diesem genealogischen Hirngespinst, abenteuerlichen Interpretationen von Kleiderfarben, Theaterstücken und von einem irrtümlich in seiner Manteltasche gelandeten Veilchenstrauß bringt Burda seinen Freund in Verlegenheit. Der möchte dessen Gefühle nicht verletzen und muss bald erkennen, dass seine sachlichen Einwände von Burda umstandslos in seine Phantasiewelt eingebaut werden. Dann wird der Erzähler auch noch vom Adjutanten des Fürsten L. zur Rede gestellt und damit beauftragt, seinen Freund zur Raison zu bringen. Die Prinzessin habe die „fortgesetzten Huldigungen“ – Anstarren, Verfolgen, Rosen in den Wagen werfen, Gedichte schicken – satt und den Vater ersucht, dem ein Ende zu bereiten. Nun spielt man, statt den Leutnant direkt zu konfrontieren und so zu desavouieren, die Angelegenheit über die Bande, nämlich über den Freund und Regimentskameraden, aber das funktioniert nicht. Als der Erzähler Burda von der Unterredung berichtet, ist dieser erleichtert. Dass sie ihn auf dem Hofball, einer Massenveranstaltung, an der auch bürgerliche Offiziere teilnehmen dürfen, ignoriert und immer nur mit dem Prinzen A. getanzt hat, erklärt sich Burda nun mit der Missbilligung des fürstlichen Vaters, den die Prinzessin nicht weiter verärgern wollte.

Der Erzähler ist da beinahe am Ende seiner Geduld mit dem Träumer. Als Burdas verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit auch sein Ansehen im Regiment zu beschädigen droht, lässt der Freund keine Rücksicht mehr walten. Doch er dringt nicht durch, Burda ist in seiner eigenen Vorstellungswelt gefangen und wittert Intrigen, die seine Verbindung mit der Prinzessin verhindern sollen, sein Wahn bekommt paranoide Züge. Am Ende erweist sich der Erzähler als wahrer Freund, aber der Phantast im strahlend weißen Uniformrock ist verloren. Ferdinand von Saar hat, in den Worten der Schriftstellerin und Kritikerin Betty Paoli (1814–1894), mit dieser Novelle ein „psychologisches Gemälde“ geschaffen. Dieses ist aber nicht nur das einfühlsame Porträt des verhaltensauffälligen Leutnant Burda, sondern mit der Steigerung seines Wahns zeigt es auch den langsamen Zerfall einer Gesellschaft, die auf Hierarchien und Schranken setzt, die sich dem Eingeweihten in kleinen Zeichen und Andeutungen erschließen, die zu missachten oder zu missdeuten eine Ambivalenz erzeugt, für die es kein angemessenes Instrumentarium gibt.

Die Frage von Sein und Schein, von Einbildung und Eingebildetsein läuft subkutan mit und lässt sich letzten Endes in der soldatischen Ordnung nur mit ritualisierter Gewalt lösen. Ferdinand von Saar hört alle sozialen Zwischentöne und macht in seiner Novelle meisterlich Gebrauch von dieser Vielstimmigkeit und Mehrdeutigkeit, mit Sinn für Spannung, aber auch für Humor, und mit Respekt vor seinem Helden. Er schafft so nicht nur ein Zeitbild, sondern gewährt auch einen Blick in die Seele eines ambivalenten, von inneren Konflikten gebeutelten Menschen, eines Zerrissenen – ein Thema, das an Aktualität seit der Zeit Sigmund Freuds nichts eingebüßt hat.

Titelbild

Ferdinand von Saar: Leutnant Burda.
Kampa Verlag, Zürich 2018.
118 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783311210047

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