Marcel Reich-Ranickis Veröffentlichungen über Günter Kunert: Sonderausgabe von literaturkritik.de

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Die erste Rezension, die Marcel Reich-Ranicki über ein Buch von Günter Kunert veröffentlichte, war so kritisch, dass er sie 1970 in seine Sammlung Lauter Verrisse aufnahm. Als 1985 Lauter Lobreden von Reich-Ranicki erschienen und dabei auch Kunert gepriesen wurde, war das allerdings keine Überraschung. Denn in hohen Tönen gelobt hat der Kritiker den Dichter schon viel früher. Bereits zehn Monate nach dem „Verriss“ seines Romans Im Namen der Hüte in der Zeit vom 1. Dezember 1967 erschien in der gleichen Zeitung Reich-Ranickis Rezension zu Kunerts Erzählungen Die Beerdigung findet in aller Stille statt. Schon der erste Satz kündigte an: „Nein, heute wird nicht genörgelt, sondern endlich einmal kräftig in die Harfe gegriffen“.

Kritisiert hat er danach keine Bücher mehr von ihm. Sie wurden Freunde. Nachdem Reich-Ranicki Ende 1973 Leiter der Literaturredaktion in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geworden war, bat er etliche namhafte und von ihm geschätzte Autoren um Mitarbeit, so auch den von ihm besonders als Lyriker bewunderten Günter Kunert. Vor allem an der von Reich-Ranicki im Juni 1974 begründeten Reihe der Frankfurter Anthologie, in der an jedem Wochenende ein deutsches Gedicht und eine kurze Interpretation dazu erschien, war Günter Kunert von Beginn an maßgeblich beteiligt. Bis zu Reich-Ranickis Tod im September 2013 erschienen in der Reihe etwa 40 Interpretationen von ihm – und 16 Interpretationen anderer über Gedichte von ihm selbst.

Eine davon, im Jahr 2000, schrieb Reich-Ranicki. Was ihn mit Kunert freundschaftlich verband, ist allerdings deutlicher an Beiträgen über ihn ablesbar, die er 1979 und 1980 veröffentlichte: keine Rezensionen, sondern Würdigungen eines Menschen und Schriftstellers im Zusammenhang mit einer entscheidenden Wende in dessen Leben. Im Oktober 1979 verließ Kunert die DDR und lebte seither in der Bundesrepublik. Der Sohn einer Jüdin, bis dahin einem sozialistischen Staat verbunden, hatte mit Reich-Ranicki, der zwei Jahrzehnte vorher aus Polen in den Westen Deutschlands übergesiedelt war, einiges gemeinsam. Wenn Reich-Ranicki über Kunert schrieb, schrieb er auch über sich selbst …

Der 90. Geburtstag Günter Kunerts am 6. März 2019 ist ein Anlass, die Beiträge Marcel Reich-Ranickis über ihn erneut zu veröffentlichen – zunächst als Sonderausgabe von literaturkritik.de, die für Online-Abonnenten unserer Zeitschrift frei zugänglich ist, sowie als E-Book, am 19. März auch in gedruckter Form.

 

Marcel Reich-Ranicki: Über Günter Kunert.
Hg. von Thomas Anz. Sonderausgabe von literaturkritik.de.
Verlag LiteraturWissenschaft.de, Marburg 2019
(https://literaturwissenschaft.de/buch/marcel-reich-ranicki-guenter-kunert.html)