Ein Stück Familien- und deutsch-jüdischer Zeitgeschichte

Barbara Honigmanns Romanbiografie ihres Vaters zeichnet das Leben eines deutsch-jüdischen Weltbürgers im 20. Jahrhundert

Von Felix HaasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Haas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit ihrem neuen, kaum 160 Seiten langen Roman baut Barbara Honigmann weiter an ihrer literarischen Biografie. Nach ihrem 2004 erschienenen Buch Ein Kapitel aus meinem Leben in dem sie sich dem Leben ihrer Mutter widmet, erzählt sie in Georg nun das ihres Vaters, dem deutschen Journalisten Georg Honigmann.

Wie ihr Vater, so hat auch die Autorin selbst ein bewegtes Leben geführt. 1949, im Gründungsjahr der zwei Deutschlands, wird sie in Ostberlin geboren, studiert Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität, arbeitet als Dramaturgin und Regisseurin unter anderem an der Volksbühne und dem Deutschen Theater, bevor sie 1984, dem Todesjahr ihres Vaters, in den Westen übersiedelt und schnell in Straßburg sesshaft wird, wo sie noch heute lebt.

Ihren Vater Georg stellt sie als lakonischen, manchmal tragisch wirkenden Mann mit viel Charme dar, der sein Leben lang stets Frauen um die 30 heiratete. Georg Honigmann wird 1903 in Wiesbaden geboren, geht auf die Odenwaldschule, einem berühmten Internat der Reformpädagogik, wo er Ruth kennenlernt. Diese wird viele Jahre später, im Londoner Exil, seine erste Frau. Ebenfalls in London lernt er Litzy, die Mutter der Autorin, kennen. Litzy ist eine österreichische Kommunistin und anfänglich mit dem sowjetischen Spion Kim Philby verheiratet. Sie legt den Grundstein dazu, dass Georg und sie 1946 nach Ostdeutschland übersiedeln und schnell Teil ostdeutscher Kultur- und Intellektuellenkreise werden. Georg wird erst Chefredakteur der Berliner Zeitung, dann Chefredakteur der BZ am Abend. Später leitet er die Produktion einer satirischen Kurzfilmreihe für die Deutsche Film AG der DDR und wird schließlich Direktor des Kabaretts Die Diestel. Während seiner Arbeit mit und in Film und Theater lernt er seine dritte Frau, die Schauspielerin Giesela May kennen, die über ihre Scheidung von Georg hinaus auf seine Tochter einen starken Einfluss haben wird. Mit Liselotte, seiner vierten und letzten Frau, wird Georg noch ein zweites Mal Vater, als er schon weit über 60 ist.

Georg passt nirgends so richtig rein, fasst nirgends Fuß. Er springt von Ehe zu Ehe, von Beruf zu Beruf und hat sein Leben lang nur einen einzigen Freund, den kommunistischen Kämpfer des „Roten Wien“ und Spanischen Bürgerkrieges Martin, den er in einem Internierungslager für „Enemy Aliens“ in Kanada kennenlernt. Georg war „für die Engländer ein Deutscher geblieben, aber für die Deutschen ein Jude. Für die Genossen war er zu bürgerlich […]. Für die richtigen Bürger war er zu bohèmehaft“. In einer Zeit, die Menschen und Familien spaltete, hatte es sowohl ein Deutscher Jude während des Krieges in England wie auch ein Mann aus dem Wiesbadener Bildungsbürgertum in der DDR nicht leicht, alle Aspekte seiner Identität zu leben.

Barbara Honigmann erzählt das Leben ihres Vaters in Episoden, zwischen denen die Autorin immer wieder in Sprüngen wechselt. So lernen wir Georg an einem seiner Tiefpunkte kennen, als bereits 60-jährigen Mann, der alleine, nach seiner Trennung von der Schauspielerin, in einem möblierten Zimmer eines Berliner Vorortes lebt, ein Weltbürger gefangen in kommunistischer Trostlosigkeit. Oft führen uns diese Sprünge auch in die Kindheit der Autorin, als Georg in der Theaterwelt Ost-Berlins lebt und seine Tochter mit dieser bekannt wird. Dort, in den 1960er Jahren, zwischen ihrem Haus in Bad Saarow und der Wohnung im Hugenottenviertel, finden viele Spaziergänge der Autorin mit ihrem Vater statt, bei denen sie ihn immer wieder auffordert: „Erzähl weiter, Pappi!“ Wir sehen Georg als Auslandskorrespondenten und jungen Bohemien auf der Londoner Fleet Street. Und wir lernen auch immer ein weiteres Stück seiner Familienhistorie kennen: Ob über Georgs Vater, der erst Leiter einer Klinik und später Professor in Gießen war, seine Großmutter, die ihn nach dem frühen Tod der Mutter zu sich nahm, oder seine Verwandtschaft bei der er während seiner Studienzeit in Breslau lebte und von denen später die Älteren ihren Kindern Vortritt bei den wenigen Ausreisemöglichkeiten und Visas ließen, um selbst „siebzig- oder achtzigjährig schließlich aus ihren Bürgerhäusern und Villen herausgeholt und nach Theresienstadt deportiert“ zu werden.

Georg ist ein auffallend distanziert erzählter Roman, doch schafft es die Autorin aus dieser Distanz nicht, Kälte oder gar Vorwürfe erwachsen zu lassen, sondern ihren Vater trotz, oder gerade wegen seiner Makel, als liebenswerten Menschen zu zeichnen: „Ein charmanter, unwiderstehlicher Misanthrop“, der „immer nur mit dem was er gerade auf dem Leib trug, von einer Ehe in die andere“ zog, ohne dabei einen guten Wein oder seine maßgeschneiderte Anzüge missen zu wollen.

Honigmanns Roman ist nicht nur ein weiteres Stück ihrer Familien- sondern auch deutsch-jüdischer Zeitgeschichte, das mit leiser Sicherheit erzählt, oft komisch und stets interessant bleibt.

Titelbild

Barbara Honigmann: Georg.
Carl Hanser Verlag, München 2019.
166 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783446260085

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