Walty und die Frauen

Ursula Muscheler berichtet von Walter Gropiusʼ Liebeshändeln – zumindest einigen

Von Kai SammetRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Sammet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Muttis Liebling war er wohl nicht, mit Begabungen auch nicht so gesegnet wie seine Schwester oder sein Bruder (der zu früh 1904 verstarb), auch in der Schule war er kein Primus – aber dafür, so weiß Ursula Muscheler, Architektin und Autorin mehrerer Publikationen zur Kunstgeschichte, besaß Walter Gropius „eine ganz andere, nicht weniger angenehme Eigenschaft: Er wusste andere für sich einzunehmen“ – wie zum Beispiel seine Großmama, die ihren „Walty“ vergötterte. Suggeriert das nicht, dass Gropius etwas von einem Blender hatte, dem es ansonsten an Können fehlte? Immerhin war er ein erfolgreicher Architekt. Überdies: Vielleicht war, was ihn auszeichnete, noch anderes und mehr – Menschen, Ideen und Dinge zusammenzubringen, sodass sich daraus eine der wirkmächtigsten Kunstschulen der Moderne entwickeln konnte. Gropius stammte aus dem Berliner akademischen Bürgertum. Sein Vater war Architekt, es gab also schon früh ein attraktives Netzwerk. Gropius nutzte sein soziales Kapital – und das ist eine Begabung, kein Defizit, eine Begabung, die dem Bauhaus zugutekam.

Vom Schluss her wird klar, was Mutter, Muse und Frau Bauhaus. Die Frauen um Walter Gropius mitteilen will. Dort schreibt Muscheler zusammenfassend über die vier Hauptprotagonistinnen (neben Mutti und Oma), es habe sich um „vier Frauen“ gehandelt, „die neben großen Unterschieden einige bemerkenswerte Gemeinsamkeiten aufweisen. Sie alle waren höhere Töchter, talentiert und künstlerisch ambitioniert. Sie alle wollten ein eigenes Werk schaffen, wussten sich aber von Herkommen und Konventionen, von dem Gedanken der Status- und Existenzsicherung durch die Ehe und von dem Vorurteil weiblicher Unfähigkeit zu großer Leistung letztlich nicht freizumachen. Sie alle waren schön, umschwärmt und dem Gesellschaftsleben zugetan und widmeten diesem die Zeit, die sie für das Werk hätten einsetzen müssen“. Da stört das Adjektiv „schön“. Warum muss dieses Stereotyp der Frauenbeschreibung hier stehen? Aber das nur nebenbei. Wichtiger ist: Teilt das Buch mit, was da steht? Nur zum Teil. Denn erstens wird zu sehr über die „großen Unterschiede“ hinweggewischt und das, zweitens, um ein allzu homogenes Bild unter Verwendung von Geniekult-, aber auch misogynen Stereotypen zu entwerfen: Wer sich zu sehr auf Partys herumtreibt und dort mit Höhere-Tochter-Plaudereien die Zeit verplempert, kann nichts schaffen? So sind sie, die Frauen, leicht durch Flitter, Glamour und „Umschwärmtheit“ ablenkbar. Dass es sich aber um Individuen handelte, wird deutlicher, wenn man den einzelnen Lebensgeschichten, jeweils verwoben mit Walty, folgt.

Der nun ist 1910 überarbeitet. Das höhere Bürgertum begibt sich in solchen Fällen zur Kur, dieses Mal in Tobelbad, wo Gropius Alma Mahler kennenlernt. Und damit nimmt ein bisschen Glück, aber viel langgezogenes Unglück und Gezicke seinen Lauf. Eine Affäre beginnt mit dem üblichen quälenden Tralala von Liebeshändeln. Wechselseitige Kränkungen, Kühle mal von der einen, mal der anderen Seite. Alma hat inzwischen Oskar Kokoschka am Start, Gropius ist sauer, aber so richtig können die beiden nicht voneinander lassen. 1915 Heirat, 1916 wird eine Tochter geboren. Man sieht sich nicht oft, Gropius ist im Krieg, im November 1917 taucht ein neuer Mann der kulturellen Premiumklasse – Franz Werfel – auf. Gropius will 1918 die Scheidung und das Sorgerecht für die Tochter. Rosenkrieg: Alma will keine Scheidung, aber weiterhin Werfel. Vorschlag ihrerseits: das eine halbe Jahr mit Gropius, das andere mit Werfel. Inzwischen, im April 1919, wird das Staatliche Bauhaus in Weimar gegründet.

Ebenfalls 1919 lernt Gropius in Stuttgart Lily Hildebrandt kennen. Auch sie stammt aus dem gehobenen Bürgertum, ist Künstlerin, Autorin eines Kinderbuchs, stellt unter anderem im Württembergischen Malerverein aus. Sie heiratet 1908 den Kunsthistoriker Hans Hildebrandt, ihr Haus in Stuttgart ist Anlaufpunkt der dortigen Kunstszene. Hildebrandt und Gropius verlieben sich. Erneut: Entwicklung von Kompliziertheiten. Doch hat die Beziehung Hildebrandt-Gropius auch einen handfesten professionellen Aspekt. Hildebrandt ist so etwas wie eine Kulturmanagerin, die im Süden für Bauhaus, Gropius et al. wirbt. Sie akquiriert Spenden, bringt Gropius mit Avantgarde-Künstlern zusammen und bereitet 1922 eine Bauhaus-Ausstellung vor, die in Weimar und Berlin gezeigt wird. Kurz: Lily Hildebrandt bringt Menschen, Ideen und Dinge zusammen.

Die dritte Frau, die Muscheler beschreibt, ist Maria Benemann, sie taucht im März 1920 auf. Benemann schrieb einen Roman und Gedichte, deren Qualität doch eher hm ist. Ihr Mann fällt im Krieg, es wird finanziell prekär, sie versucht unter anderem mit Novellen zu reüssieren, die von der Kritik verrissen werden. Recht schnell zieht sich Gropius von einer Frau zurück, bei der man den Eindruck gewinnt, dass sie im Leben nicht so richtig zurechtkommt und sich allzu sehr an ihn hängt, worauf Gropius abweisend reagiert: „Nicht drohen! Nicht fordern! Nicht erwarten! Denn alles ist Geschenk, was sich Menschen einander geben.“

Die Dreierreihung im Titel des Buches – Mutter, Muse und Frau Bauhaus – suggeriert, dass Mahler, Hildebrandt und Benemann Gropiusʼ Musen gewesen seien (zu „Frau Bauhaus“ gleich mehr). Hinter jedem großen Mann eine große, inspirierende Frau, die ihm den Rücken freihält, von der aber auch die eigentlichen Ideen kommen. Das ist doch wohl verzerrt.

Im Jahr 1923 schließlich lernt Gropius in Hannover die 26-jährige Ilse Frank kennen, wieder: Tochter aus gutem Haus. Gropius verliebt sich sofort in sie. Frank ist verlobt, zaudert, gibt sich aber einen Schups. Im August fährt sie nach Weimar, im Oktober wird geheiratet. „Ise“ (so will Walty sie genannt wissen) wird schnell in Gropiusʼ Leben und Arbeit eingespannt: „In ihren Händen lag fast die gesamte umfangreiche private und berufliche Korrespondenz ihres Mannes. Sie war Geliebte, Ehefrau, Gastgeberin, Lektorin, Organisatorin und Sekretärin in einer Person.“ Sie „warb neue Förderer, sammelte Spenden, lektorierte Vorträge und Artikel, organisierte musikalische Soireen, korrespondierte mit Gott und der Welt und stabilisierte den immer wieder erschöpften und verzagten Ehemann“ (der sich aber auch um sie kümmert, wenn sie wegen Überarbeitung psychosomatische Beschwerden entwickelt). Doch Ise Gropius bleibt kein bloßes Anhängsel. Sie arbeitet und schwimmt sich frei. Sie entwirft für das Bauhaus Küchengeräte und -einrichtungen (ja, schon etwas weiblicher Beritt). Sie wird, wie sie stolz bemerkt, als „Frau Bauhaus“ bezeichnet. Dieses Epitheton mag ambivalent sein – denn wird sie da nicht bloß mit Waltys Lebenswerk identifiziert? Man kann es anders sehen: Sie steht für das Bauhaus als solches, unabhängig von ihrem Mann. Und schließlich lebt sich Ise Gropius auch frei. Sie hat eine Affäre mit dem Bauhäusler Herbert Bayer und lässt sich von Gropius davon nicht abbringen, über Jahre hinweg lebt sie offen eine Dreiecksbeziehung.

Waren das also nicht sehr unterschiedliche Frauen, die weder in ihrer Beziehung zu Gropius noch in zu einfachen Deutungen aufgehen? Das hätte man gern etwas differenzierter berichtet bekommen als in Ursula Muschelers Buch.

Titelbild

Ursula Muscheler: Mutter, Muse und Frau Bauhaus. Die Frauen um Walter Gropius.
Berenberg Verlag, Berlin 2018.
160 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783946334415

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