„Das Unrecht stieg mir wie Mistgeruch in die Nase“

Zaimoglu über seine „Geschichte der Frau“

Von Anna Christina KöbrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anna Christina Köbrich und Carina HebgenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carina Hebgen

Der Andrang ist groß, als Feridun Zaimoglu am Donnerstagabend im Oberkeller der Moritzbastei bei der Langen Leipziger Lesenacht aus seiner vor knapp einem Monat erschienenen Geschichte der Frau liest. Er eröffnet die Lesung mit der sechsten seiner zehn Episoden, Lore Lay – Magd, die sich vom Dichter nicht bannen lässt, bevor er mit der Moderatorin und Journalistin Claudia Euen über die Beweggründe, Ambitionen und Vorgehensweisen seines letzten Schreibprojektes spricht.

Tausende Geschichten gebe es, in denen die Männer gesiegt haben. Mord und Totschlag, Kriege und Gewalt dürfen aber nicht das entscheidende Moment der Menschheitsgeschichte sein. Zaimoglu stieg dieses Unrecht „wie Mistgeruch in die Nase“: aus weiblicher Perspektive möchte er jene Geschichten aufschreiben, die zu Gunsten blutiger Männertriumphe beiseitegeschoben wurden. Nichts wisse man über die Frauen der Apostel, nichts über die Jüngerinnen Jesu – ein inakzeptables Ungleichgewicht.

Seit Jahrzehnten beschäftigt Zaimoglu sich mit überlieferten Geschichten und den ideologisch motivierten Versuchen, Dinge zu retuschieren und zu tilgen. Kanonisches Wissen werde erst zu solchem, weil im Gegenzug anderes verdrängt werde. Kritisch verweist er beispielsweise auf die „offizielle“ Geschichtsschreibung, die Schriften und Veröffentlichungen der Kirche und die Sammelkriterien der Archive.

Mehrmals spricht er über intensives Quellenstudium, das seiner Verschmelzung mit den Protagonistinnen gedient habe. Seine Recherchearbeiten führten ihn zu den entscheidenden Eindrücken und trugen dazu bei, für seine Frauenfiguren eine authentische Ausdrucksweise zu finden. Denn zu schade wäre es gewesen, ihre damaligen Geschichten in einem gegenwärtigen, unpassenden Sprachton zu erzählen. Zwar sei dieser den Leserinnen und Lesern vertrauter, hätte ihnen aber eine „touristische“ Perspektive aufgezwungen.

Auf die Frage, ob seine zehn Episoden, die insgesamt 500 Seiten umfassen, denn überhaupt einen Roman darstellten, entgegnet er, dass seine Geschichte der Frau als „großer Gesang“ auch bedeute, dass über die einzelne, unzufriedene Frau hinaus im Gesamttext eine sich fortspinnende Tradition dieser Kämpfe aufscheine.

Die eine oder andere Idee für ein „sehr gefährliches“ neues Buch existiere bereits – jedoch „im nächsten Buch werde ich, glaube ich, ein Mann sein“.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen